22. Jän. 2025Die Gesichter Seltener Erkrankungen – Teil 33

Angelman-Syndrom: Die Physiotherapeutin als Wegbegleiterin

Der heute 16-jährige Yannick erhielt im Alter von neun Monaten die Diagnose „Angelman-Syndrom“. Seine Mutter Yvonne Otzelberger schrieb in ihrem Buch „Supermom“ über ihren Sohn – einen „Angel“.

Jürgen, Yvonne und Yannick Otzelberger.
Foto: Privat
Jürgen, Yvonne und Yannick Otzelberger.

Vom Zeitpunkt seiner Geburt an hatte Yvonne Otzelberger das Gefühl, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt. Es war eine Physiotherapeutin, Eva Zwerina, die sich Yannick im Alter von drei Wochen erstmals genauer angesehen hat, berichtet Otzelberger. „Zum ersten Mal zeigte jemand ehrliches Interesse an meinem Kind und setzte sich mit seinen Symptomen genauer auseinander“, erinnert sie sich.

Eva Zwerina, MSc.
Foto: Privat

Eva Zwerina, MSc.

„Mütter sind die Expertinnen für ihre Kinder und wissen oft intuitiv, wenn etwas nicht stimmt“, sagt dazu die Physiotherapeutin Eva Zwerina. Sie ist Lehrbeauftragte an der FH Campus Wien und hat in ihrer Praxis bereits Kinder mit Angelman-Syndrom betreut. „Wenn sich ein Kind auffällig bewegt und unruhig schläft, so ist es immer ein Hinweis, dass etwas nicht stimmt.“

Familienärztin initiierte Untersuchungen

Mit den deutlicher werdenden Entwicklungsproblemen und der Verformung seines Kopfes war es bei Yannick schließlich die Familienärztin, die weitere Untersuchungen initiierte. In der Folge wurde im Alter von neun Monaten die genetische Diagnose Angelman-Syndrom gestellt. Schon zuvor hatte Otzelberger aufgrund von Recherchen eine entsprechende Vermutung geäußert. Doch ärztlicherseits wurden ihre Vermutungen erst dann ernst genommen, als ein Video von Yannick bei einem Ärztekongress vorgestellt wurde und sich dort der Verdacht erhärtete.

Regelmäßige Physiotherapie ist unverzichtbar

Mit therapeutischen Übungen hat Yannicks Mutter seit den ersten Physiotherapie-Einheiten im Alter von wenigen Wochen begonnen. Bis heute ist die regelmäßige Physiotherapie unverzichtbarer Bestandteil von Yannicks Krankheitsmanagement. „Wir haben meist eine Stunde pro Woche Zeit für die Kinder und ihre Familien“, sagt Eva Zwerina, „Das ist eine große Ressource. Und oft begleiten wir sie bis zum Erwachsenenalter.“

„Die Therapieziele richten sich nach der Ausprägung der Symptome und der Entwicklung. Da steht mitunter eine gute Nahrungsaufnahme oder das Erarbeiten von Fortbewegungsmöglichkeiten im Mittelpunkt: Sind die Kinder gehfähig oder muss der Alltag im Rollstuhl bewältigt werden? Dann sehen wir uns an, wie Transfers im Haushalt möglich und zugleich rückenschonend für die Eltern möglich sind.“ Auch in der Hilfsmittel-Versorgung arbeiten Physiotherapeuten eng mit Eltern und Pädagogen zusammen.

Die Gehfähigkeit ging verloren

Yannick selbst war zunächst mit Unterstützung gehfähig, „allerdings hatte er durch die fehlenden Reflexe ein großes Sturzrisiko“, schildert Otzelberger. Nach einer Operation zur Behandlung einer Fehlstellung entwickelte er jedoch Morbus Sudeck, womit seine Gehfähigkeit wieder verloren ging. „Es bedeutet schon eine Erleichterung, wenn er stehen kann. Immerhin ist er mittlerweile größer als ich“, sagt Otzelberger.

Nach wie vor steht für Yannick Physiotherapie im Vordergrund, wobei Familie und Therapeutin sich am Bobath-Konzept orientieren. Hier geht es darum, die Kinder zu gezielten Bewegungen zu motivieren, im Alltag so viel wie möglich zu üben, aber auch Pausen zu schaffen. „Die Therapeutin wird einfach zur Wegbegleiterin, da sie sehr nahe an unserem Familienleben dran ist.“ Zudem wird Yannick von Fachärzten orthopädisch sowie neurologisch wegen seiner Epilepsie betreut.

Jede Nacht drei bis fünf Stunden wach

Erleichterung bringt die seit kurzem erfolgte medikamentöse Einstellung, die Yannick ein besseres Durchschlafen ermöglicht. „Kinder mit Angelman-Syndrom schlafen sehr wenig, denn sie können Melatonin schlecht verstoffwechseln.

Yannick (L) und Yvonne (R) Otzelberger.
Fotos: Privat

Yannick und Yvonne Otzelberger.

So war Yannick jede Nacht drei bis fünf Stunden wach und musste beschäftigt werden“, berichtet Otzelberger. Das war eine Herausforderung für die Eltern und auch für das Kind selbst, das tagsüber vor Erschöpfung immer wieder eingenickt ist. „Jetzt sind Fortschritte im Alltag besser möglich als in der ständigen Übermüdung.“

„Eltern machen so viel wie sie können“

Um mit ihren Sorgen und der Bewältigung des Familienalltags zurechtzukommen, hat Otzelberger für sich selbst Psychotherapie in Anspruch genommen. „Eltern machen immer so viel wie sie können, wir dürfen ihnen nie das Gefühl geben, sie machten zu wenig“, sagt Physiotherapeutin Zwerina über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Familien mit behinderten Kindern. Yannicks ältere Schwester, die heute 19-jährige Valentina, machte ihrer Mutter das schönste Geschenk, als sie versicherte, sie habe nie das Gefühl gehabt, zurückstecken zu müssen.

„Wir haben uns unsere eigene kleine Welt zurechtgelegt, in der jeder Raum für individuelle Bedürfnisse hat“, sagt Yvonne Otzelberger. Betreuungspersonen zu finden, auch nur für wenige Stunden, sei allerdings schwierig.

Yannick besucht zur Zeit eine private Schule für Kinder mit Behinderungen, sodass Otzelberger wieder in Teilzeit berufstätig sein kann. „Auch dort bekommt er therapeutische Angebote und wird gezielt gefördert.“ Otzelberger hat zudem die Selbsthilfegruppe Angelman Verein Österreich gegründet, wo bereits 60 Familien vernetzt sind.

Faksimile Buchcover Supermom

Yvonne Otzelberger

SUPERMOM – Wenn dich das Leben zwingt, eine Heldin zu sein …

Hardcover, 266 Seiten Zu bestellen unter www.angelman.at

Fakten-Check: Angelman-Syndrom

Das Angelman-Syndrom ist die Folge einer seltenen Genbesonderheit auf Chromosom 15 (Mikrodeletion auf dem mütterlichen Chromosom oder uniparentale Disomie 15q11-13), die unter anderem mit psychischen und motorischen Entwicklungsverzögerungen, kognitiver Behinderung, Hyperaktivität und einer stark reduzierten Lautsprachentwicklung einhergeht.

Benannt ist das Syndrom nach dem britischen Kinderarzt Harry Angelman (1915–1996), der es 1965 erstmals unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten beschrieb. Angelman nannte es selbst zunächst „Happy-Puppet-Syndrom“ aufgrund der auffälligen Bewegungsmuster und des häufigen Lachens der Kinder.

Die Besonderheit tritt mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 1:15.000 bis 1:20.000 auf. Dabei wird das Angelman-Syndrom vermutlich vielfach nicht als solches diagnostiziert, sondern beispielsweise als Autismus.

Neben dem oft objektiv unbegründeten Lächeln und Lachen gehören Hyperaktivität, Konzentrationsschwierigkeiten, eingeschränkte lautsprachliche Artikulation ebenso wie Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen zu den Symptomen.
Die motorische Entwicklung ist verzögert, auch Epilepsie und andere Besonderheiten im EEG treten auf.
Menschen mit Angelman-Syndrom fallen zudem durch eine intensive Suche nach Körperkontakt auf.

Die Diagnose wird im Schnitt zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr durch Fachärzte für Neurologie anhand auffälliger EEG-Werte oder durch den zytogenetischen oder molekulargenetischen Befund gestellt.

Detaillierte Informationen:
Angelman Verein Österreich
www.angelman.at