5. Feb. 202518th European Headache Congress in Rotterdam

Migräne und Kiefergelenk – kombinierte Schmerzen

Nicht selten tritt Migräne vergesellschaftet mit einem temporomandibulären Schmerzsyndrom auf. Die Kombination ist mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik assoziiert und bedeutet für die Betroffenen hohen Leidensdruck. Es gibt allerdings Hinweise, dass bestimmte Therapien bei beiden Erkrankungen hilfreich sein können.

schönes Mädchen im weißen T-Shirt, das unter Kopfschmerzen leidet, isoliert auf grauem Panoramafoto
Abbildung: LIGHTFIELD-STUDIOS/AdobeStock

Zu den häufigsten Komorbiditäten der Migräne zählen temporomandibuläre Erkrankungen (Temporomandibular Disorders - TMD), die sich unter anderem als temporomandibuläres Schmerzsyndrom äußern können.

Typische Symptome von TMDs sind Muskelschmerzen und Verspannungen um den Kiefer herum, eine eingeschränkte Kieferöffnung sowie Kopfschmerzen und Schmerzen in anderen Bereichen von Kopf und Hals. Dabei können unterschiedliche Schmerzformen alleine oder in Kombination auftreten. Nozizeptiver Schmerz ist ebenso möglich, wie neuropathischer oder noziplastischer Schmerz, erläutert Prof. Dr. Tara Renton vom King’s College London.

Zur Prävalenz gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Personen mit der myogenen Form des TMD haben zu 40 bis 87 Prozent auch Migräne. In der Migräne-Population wird für das TMD eine Häufigkeit zwischen 15 und 56 Prozent angegeben.1

Das temporomandibuläre Schmerzsyndrom ist die am häufigsten auftretende Erkrankung des Kiefergelenks und kann sich in einer myogenen oder einer artikulären Form äußern. Ungeachtet der Häufigkeit ist die Datenlage zu dieser Erkrankung und insbesondere zur Assoziation mit Migräne unzureichend, so Renton. Eine Longitudinalstudie zeigt, dass bei Personen, die unter TMD leiden, die Wahrscheinlichkeit, eine komorbide Migräne zu entwickeln, mit der Dauer der TMD zunimmt.2

Ausgeprägte Schmerzsymptomatik bei Migräne und TMD

Renton weist auf noch unpublizierte Daten hin, die zeigen, dass innerhalb der TMD-Population eine komorbide Migräne zu einem hohen Prozentsatz mit schmerzhaften Präsentationen der TMD, und dabei besonders häufig mit der myogenen Form assoziiert ist.

Unter den Migräne-Formen ist die chronische Migräne deutlich häufiger mit TMD vergesellschaftet als die episodische. Man habe es also in der Klinik besonders oft mit chronischer Migräne in Kombination mit myogenem temporomandibulärem Schmerzsyndrom zu tun, erläutert Renton. Dabei werden die Migräne-Schmerzen mehrheitlich im Versorgungsgebiet des Nervus ophthalmicus empfunden.

Bei knapp einem Drittel sind alle drei Hauptäste des Trigeminus beteiligt und bei 11,3 Prozent der Betroffenen treten Schmerzen nur in den Versorgungsgebieten von Nervus maxillaris und Nervus mandibularis auf. Bei letzterem handelt es sich um ein erst kürzlich beschriebenes Phänomen, so Renton, nämlich um einen neuro-vaskulären Gesichtsschmerz.

Die Kombination von TMD und Migräne ist mit hohem Leidensdruck verbunden. Fast die Hälfte der Betroffenen geben ihre Schmerzsymptomatik mit Grad 4 an, was einer starken Beeinträchtigung im täglichen Leben entspricht.

Angesichts des häufigen gemeinsamen Auftretens von TMD und Migräne stellen sich die Fragen nach einer möglichen gemeinsamen Ätiologie sowie nach der Wirksamkeit der etablierten Migränetherapien auf die TMD bzw. das temporomandibuläre Schmerzsyndrom. Zur Ätiologie liegen aktuell keine Daten vor, so Renton. In der Therapie besteht jedoch für einige Migräne-Medikamente schwache Evidenz für Wirkung auf das temporomandibuläre Schmerzsyndrom.

Renton unterstreicht, dass vor der Behandlung von TMD Zahnschmerzen, Malignome und Arteriitis temporalis als alternative Schmerzursachen ausgeschlossen werden müssen. Das Auftreten von „red flags“ wie Lymphadenopathie, Gewichtsverlust oder Nachtschweiß verlangt sofortige Abklärung.

Chirurgische Interventionen sind bei TMD nur indiziert, wenn es sich um bestimmte Formen einer Erkrankung der Kiefergelenke handelt. Zahnbehandlungen sind bei TMD nicht indiziert, sofern Zahnschmerz ausgeschlossen wurde.

Migräne-Therapien möglicherweise hilfreich bei TMD

In der Behandlung von TMD stehen an erster Stelle nicht-pharmakologische Maßnahmen, wie zum Beispiel Patienten-Edukation, Wärmetherapie oder verschiedene psychologische Verfahren (kognitive Verhaltenstherapie, Mindfulness etc.) für die Evidenz-Level A besteht.

Renton weist darauf hin, dass für psychologische Therapien auch bei Migräne Empfehlungen bestehen, die allerdings auf relativ schwacher Evidenz beruhen. Physiotherapie und Akupunktur werden bei TMD, nicht jedoch bei Migräne empfohlen.

Für sämtliche medikamentöse Therapien liegt bei TMD schwächere Evidenz vor, wobei NSAR und Duloxetin mit Level B noch am besten gesichert sind. Für die Wirksamkeit von Migräne-Therapien auf komorbide TMD ist die Datenlage schwach. Es gäbe Hinweise, so Renton, dass zur Migräneprophylaxe eingesetztes Propanolol auch günstige Effekte auf komorbide TMD hat.  Ähnliches gelte für die in der Migräne-Prophylaxe empfohlenen Anti-CGRP-Antikörper. Bei TMD gibt es keine Evidenz für Wirksamkeit für Triptane, Botulinum-Toxin A (appliziert nach dem Migräne-Protokoll) oder die Vagus-Stimulation.

Quelle: EHC 2024, Session „How do temporomandibular disorders and migraine interact?“,  4. Dezember 2024 in Rotterdam

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum neuropsy