Komorbide Hypersexualität: Datenlage wird besser
Zwanghaftes sexuelles Verhalten tritt bei verschiedenen neurologischen Krankheiten auf, doch die Befunde sind uneinheitlich. Eine Übersichtsarbeit bringt endlich Licht ins Dunkel – zumindest ein wenig.
Obwohl Hypersexualität oder „Sexsucht" als Krankheitsbild schon lange bekannt ist, mangelt es an wissenschaftlich fundierten Daten dazu. In die ICD-11 wurde erstmals die „zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung" aufgenommen. Sie ist gekennzeichnet durch die Unfähigkeit, intensive und wiederkehrende sexuelle Impulse zu kontrollieren, was zu erheblichen Beeinträchtigungen im persönlichen, sozialen oder beruflichen Bereich führt – etwa durch den exzessiven Konsum von Pornografie, zwanghafte Masturbation oder Sex mit häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern. Seit geraumer Zeit weiß man, dass Hypersexualität mit verschiedenen neurologischen Krankheiten assoziiert sein kann. Ein Team um Prof. Dr. Natalie Tayim vom Institut für Graduiertenstudien in Doha, Katar, wertete 79 Arbeiten aus, um mehr darüber herauszufinden, welche Charakteristika Patientinnen und Patienten mit sekundärer Hypersexualität bei primären neurologischen Erkrankungen aufweisen.
Die mehrheitlich nach 2010 publizierten Untersuchungen aus 24 Ländern umfassten 32.662 Patientinnen und Patienten, davon waren 42% Frauen. In mehr als der Hälfte der Studien war die primäre neurologische Diagnose Morbus Parkinson (56%), gefolgt von demenziellen Erkrankungen (17%), Restless-Legs-Syndrom (RLS, 7%) und traumatischer Hirnverletzung (4%).
Das höchste Risiko für zwanghaft gesteigerte Sexualität fand sich beim Kleine-Levin-Syndrom: Rund 40% der Betroffenen wiesen entsprechende Symptome auf. Unter den Demenzerkrankten lag der Anteil bei 11%, bei Parkinsonwaren es knapp 9%. Auffällig war die Nutzung dopaminerger Medikamente als Risikofaktor. So litten Patientinnen und Patienten mit RLS, die mit Dopaminagonisten behandelt wurden, zu 14% an Hypersexualität.
Es ließ sich kein klares Muster bestimmter sexueller Verhaltensweisen bei einzelnen Erkrankungen erkennen. Allerdings zeigten Parkinson-Betroffene eine Tendenz zu zwanghafter oder impulsiver Sexualität, während Demenzerkrankte eher durch inadäquates und enthemmtes Verhalten auffielen.
Wenige Therapieversuche wurden dokumentiert
Die Diagnostik erfolgte vor allem mithilfe von standardisierten Fragebögen zur Selbstauskunft. Diese Methode müsse in Zukunft durch strukturierte Diagnosekriterien und klinische Interviews ergänzt werden, schreiben die Autorinnen und Autoren. Therapieversuche waren in den meisten Fällen nicht dokumentiert. Sofern eine Maßnahme genannt wurde, war das am häufigsten eine Anpassung der Medikation. Auch Psychotherapie und Beratung sowie tiefe Hirnstimulation kamen zum Einsatz. Wichtig ist laut Tayim, pharmakologische Ursachen für ein gesteigertes Sexualverhalten im Blick zu behalten. Neben Dopaminagonisten gelten anfallssupprimierende Medikamente, Acetylcholinesterasehemmer und Tranquilizer als Trigger für Hypersexualität.
Die optimale Behandlungsstrategie für Hypersexualität umfasst wahrscheinlich eine Kombination aus pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen (z.B. kognitive Verhaltenstherapie, Gruppen- oder Paartherapie, Schulungen für Betreuungspersonen), unter Berücksichtigung von Symptomen, kognitivem Status und zugrundeliegender neurologischer Erkrankung der Betroffenen.
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