3. Juli 2024Präventionsprogramme

ÖSG: Viele Sportverletzungen wären vermeidbar

Einfache Präventionsprogramme helfen, den gesundheitlichen Nutzen von Bewegung voll ausnutzen zu können und nicht durch Verletzungen zunichtezumachen.

Person mit Sportverletzung hockt am Boden.
Jo Panuwat D/AdobeStock

Als Ärztin oder Arzt rät man Patientinnen und Patienten zwar zu mehr Bewegung und Sport, doch genau dadurch kommt es bei einigen von ihnen zu Verletzungen. Daher war es Priv.-Doz. Dr. Karin Pieber, Ärztliche Direktorin am Universitätsklinikum St. Pölten – Lilienfeld, ein Anliegen, auf das Thema Prävention einzugehen.

Der gesundheitliche Nutzen des Sports werde durch diese Verletzungen um bis zu 40% heruntergestuft. Durch Prävention könnten

  • 50% der vorderen Kreuzband(VKB-)Rupturen,
  • 67% der VKB-Rupturen bei Jugendlichen und weiblichen Sportlerinnen,
  • Re-Verletzungen beim oberen Sprunggelenk (70% Rezidivrate, wenn nach der ersten Verletzung des Sprunggelenks keine Therapie gemacht wurde) und
  • 50% der Hamstring-Verletzungen, die besonders häufig bei Fußballerinnen und Fußballern auftreten,

verhindert werden, so Pieber, die auch Fachärztin für Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation ist.

Welche Risikofaktoren für Sportverletzungen gibt es?

Unterschieden wird nach intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren. Zu den internen Risikofaktoren für Sportverletzungen generell zählen neben Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) und angegangenen Verletzungen vor allem die physische Fitness. „Bei fast jeder Verletzung im Sport ist die fehlende Fitness einer der Risikofaktoren“, betonte Pieber. Die individuelle Anatomie, Geschicklichkeit und Balance spielen darüber hinaus ebenso eine Rolle wie psychologische Faktoren (Risikobereitschaft).

Externe Faktoren sind sportabhängige Faktoren (Regeln, Schiedsrichter etc.), Umwelt (Böden, Wetter etc.) und die Ausrüstung (Schuhe, Helme, Schoner etc.).

Die Prävention dieser Faktoren kann unterteilt werden in:

  • Primäre Prävention: v.a. die Risikoanalyse
  • Sekundäre Prävention: diese betrifft die Früherkennung, aber auch die Return-to-Play(RTB-)Testungen, die v.a. im Leistungssport, aber auch bei allen anderen Sportlerinnen und Sportlern gemacht werden sollten, bevor sie wieder mit dem Sport starten
  • Tertiäre Prävention: die Rezidivprophylaxe

Was sind die Risikofaktoren für Verletzungen des Knies?

In ihrem Vortrag fokussierte sich Pieber auf Knieverletzungen. Die Risikofaktoren für diese Verletzungen sind ähnlich wie die, die Pieber allgemein für Sportverletzungen aufgezählt hat. Neben Vorverletzungen betonte sie die fehlende Regeneration. „Ich glaube, viele Sportlerinnen und Sportler übersehen, dass man nur besser wird, wenn man sich entsprechend regeneriert“, erinnerte Pieber. Und auch bei den Knieverletzungen finden sich neuromuskuläre Funktionsdefizite unter den Risikofaktoren, und das in der gesamten kinetischen Kette. „Gibt es Schwächen im Bereich Bauch-Bein-Po, der Hüfte oder der Standmuskulatur, kommt es gehäuft zu Verletzungen im Knie“, legte Pieber dar.

Bekannte Risikofaktoren für VKB-Rupturen sind weibliches Geschlecht (2- bis 8-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu Männern) sowie neuromuskuläre und biomechanische Risikofaktoren. Zu diesen zählen ist „X-Beine“, reduzierte Knie- und Hüftflexion, reduzierte „Core Strength“, also eine zu schwache Bauch- und Rückenmuskulatur und v.a. auch ein schlechtes Verhältnis zwischen der Oberschenkelmuskulatur der Vorder- und Rückseite. „Typischerweise ist der Quadrizeps gut ausgebildet, die Hamstrings im Vergleich dazu schlecht – das ist ein Risikofaktor für eine Kreuzbandruptur“, so Pieber.

Bei Kindern und Jugendlichen spielt eine frühe Spezialisierung eine große Rolle bei Sportverletzungen, war es Pieber wichtig zu betonen. Und auch an Überforderung sei bei Kindern besonders zu denken.

Was gibt es für Programme?

Das FIFA 11+ ist ein spielerisches Programm, das es auch für Kinder gibt. Gestartet wird mit Laufübungen, an die Übungen zur Kräftigung der Bauch- und Rückenmuskulatur sowie der Gesäßmuskulatur anschließen. Den Abschluss bilden Laufübungen mit Stop-and-Go-Bewegungen und Richtungswechseln.

Weitere Programme, die Pieber nannte, waren „Stop X“, ein Programm der deutschen Kniegesellschaft, und „Get Set“, bei dem der Sport und welche Region trainiert werden soll, ausgesucht werden können. Auf Basis dessen wird gratis ein individuelles Präventionsprogramm zusammengestellt.

Derzeit fehle allerdings oft noch das Problembewusstsein für die Prävention, besonders auch in Sportvereinen. Ein Problem stelle auch die Finanzierung dar, da Prävention entweder schlecht oder überhaupt nicht bezahlt werde. Vor allem mit den Möglichkeiten der neuen Medien versuche man, Kinder und Jugendliche zu erreichen und so das Wissen um Prävention zu steigern, erklärte Pieber.

Präventionsprogramme wirken

Ein rezenter Review von Mattu et al. (2022) zeigte, dass durch Präventionsprogramme bei jungen Sportlerinnen und Sportlern das VKB-Ruptur-Risiko um 64% verringert werden konnte. Wichtig war, dass das Programm verschiedene Komponenten enthielt und nicht nur Kraft, sondern auch Beweglichkeit, Agilität, Sensomotorik und Plyometrie trainiert wurden. Die Präventionsprogramme sollten optimalerweise zwischen 10 und 20 Minuten lang sein und mind. 2- bis 3-mal wöchentlich durchgeführt werden. „Und zwar nicht nur vor, sondern auch während der Saison! Das war eigentlich der große Fehler vieler Fußballvereine, die in der Zeit, in der es viele Spiele gab, zu wenig an die Prävention dachten“, betonte Pieber.

Dem Krafttraining komme nicht nur in der Prävention von Knieverletzungen, sondern auch gegen Schmerzen im Rücken und gegen Hamstringverletzungen eine besondere Rolle zu, erklärte sie weiter. Hier riet sie zu exzentrischem Krafttraining des Ischios, um eine größere Beweglichkeit und eine reduzierte Verletzungsrate zu erreichen.

Mögliche Ansätze im Kindes- und Jugendalter sind:

  • Multimodales Training (Polymetrie, Kraft, Rumpfstabilität, Flexibilität, Balance, sportartspezifische Agilität, körperliche Fitness)
  • Regelanpassung und Schutzausrüstung: z.B. keine „Bodychecks“ bei Kindern bis 12 Jahre, keine vermehrte Hyperextension beim Abgang vom Balken etc.
  • Sportartspezifische Belastungsbegrenzung: z.B. eine Reduzierung der Kopfbälle, die, so Pieber, schon länger gefordert, aber in Österreich und Deutschland noch immer nicht umgesetzt wurde
  • Krafttraining
  • Techniktraining: Fangtechniken gegen Fingerverletzungen, Sprungtechniken und v.a. auch kein zu früher Beginn mit bestimmtem Training (z.B. Krafttraining für die Finger beim Klettern, das in zu jungem Alter zu vermehrten Epiphysenfugenverletzungen führt)

Take-Home-Messages für Ärztinnen und Ärzte

Die sportärztliche Untersuchung sei besonders wichtig, so Pieber. „Hier erkennen wir die Risikofaktoren wie die Beinachse, fehlende Fitness, ein Kraftdefizit zwischen vorderer und rückwärtiger Oberschenkelmuskulatur.“

Man müsse als betreuende Ärztin bzw. Arzt auch die sportspezifischen Belastungen und Regelwerke kennen, um zu wissen, wo vielleicht hilfreich beigesteuert werden kann. Außerdem brauche es Wissen hinsichtlich der vorhandenen Präventionsprogramme und darüber, wie wichtig die „Core Stability“ ist. Ein wichtiger Punkt, so Pieber, ist auch, das Wissen in die Praxis zu bringen. „Wir wissen relativ viel über Prävention, aber wir müssen das in die Sportvereine bringen und die Trainerinnen und Trainer dazu bringen, dass sie es einsetzen. Wenn man Sportlerinnen und Sportlern vermittelt, dass sie in ihrer Sportart besser werden können und Sportverletzungen verhindern können, wenn sie z.B. die Rücken- und Standmuskulatur stärken, sind die meisten von ihnen gerne bereit, Präventionsübungen zu machen“, betonte Pieber abschließend.