Sex auf Reisen: So vermeiden Sie unerwünschte Mitbringsel
Gelegenheitssex im Urlaub ist häufiger als gedacht, oft ohne Schutz. Reisende sind damit wichtige Vektoren für Geschlechtskrankheiten und auch für Resistenzen, warnt Dermatologe Prof. Helmut Schöfer auf der 26. Linzer Reisemedizinischen Tagung (LRMT) vor venerischen Souvenirs.
Weltweit gibt es über 30 verschiedene bakterielle, virale, mykotische und parasitäre Erreger für sexuell übertragbare Infektionen und Krankheiten (STI/STD), zitiert Prof. Dr. Helmut Schöfer, Fachbereichsleiter Dermatologie, Deutsche Klinik für Diagnostik (DKD) Helios Kliniken Wiesbaden, WHO-Daten zur Prävalenz und Inzidenz: Täglich komme es zu etwa 1 Million neuen STI, das seien „enorme Zahlen“.
Die geschätzte Inzidenz von heilbaren STI (15–49-Jährige, 2022) beträgt weltweit ca. 374 Millionen: Syphilis ca. 7,1 Millionen, Chlamydien ca. 129 Millionen, Gonorrhoe ca. 82 Millionen, Trichomoniasis ca. 156 Millionen. Die geschätzte Prävalenz von nicht heilbaren (viralen) STI macht global ca. 1,1 Milliarden Infizierte aus. Davon sterben jährlich ca. 1,76 Millionen Menschen: 820.000 an chronischer Hepatitis B (ca. 269 Millionen Infizierte), 630.000 an HIV (39 Millionen Infizierte) und 311.000 Frauen am Zervixkarzinom (>300 Millionen HPV-Infizierte).
Neue Bewertung von M. genitalium
Bei den bakteriellen Erregern kam es zu einer Neubewertung von Mycoplasma genitalium. Früher nur als Teil des Mikrobioms im Genitalbereich betrachtet, weiß man heute, dass es für ein Viertel aller Urethritiden verantwortlich ist, informiert Schöfer. Neuere tropische Virusinfektionen sind seit rund einem Jahrzehnt Zika- und Ebola-Viren. Auch nach überstandener Infektion sind replikationsfähige Viren noch viele Monate lang im Ejakulat nachweisbar, bei Ebola sogar 9 Monate lang.
Neu ist auch das Mpox-IIb-Virus („Affenpocken“), das sich 2022 mit großer Geschwindigkeit weltweit ausbreitete. Bei den Pilzen gibt es seit 2015 Berichte über Trichophyton mentagrophytes VII, anfangs auch als „Thailand-Pilz“ bezeichnet. Weiters spielen noch Parasiten, Einzeller u.a. wie etwa Trichomonas vaginalis, die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei) oder die Filzlaus (Phthirus pubis) eine Rolle.
Über ein Drittel der Reisenden hat Gelegenheitssex
Dass Sex eine beachtliche Rolle auf Reisen spielt, hat eine Metaanalyse von 49 Publikationen gezeigt (Svensson et al., 2018): Die gepoolte Prävalenz von Gelegenheitssex bei Reisenden beträgt 35%. Davon verzichten 17% auf Kondome „als erste und wichtigste Schutzmaßnahme“. Zudem sei bei intimen Kontakten mit Sexworkerinnen und Sexworkern das STI/STD-Risiko 3-fach erhöht. „Und damit sind Reisende wichtige Vektoren sowohl für STI-Erreger als auch für die Resistenzen, die dann mitgebracht werden“, betont Schöfer.
Besonders bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), reicht die Zahl der sexuellen Kontakte laut Studien von 3–120 pro Jahr. Zu weiteren Risikogruppen für STI-Mitbringsel zählen insbesondere junge Erwachsene, aber auch verheiratete Männer auf Kurzreisen, Geschäftsreisende, die kurze anonyme Abenteuer (u.a. Hotelprostitution) suchen, und Sextouristen, die ganz gezielt reisen, um sexuelle Abenteuer zu erleben.
Für Letztere ist besonders Thailand interessant. Weitere sextouristische Reiseziele sind politisch „sichere“ afrikanische Länder – auch für alleinreisende Frauen auf der Suche nach einem „Boy“ –, die Karibik (z.B. Dominikanische Republik, großes Angebot an Sexworkern) sowie Brasilien, Costa Rica, Vietnam u.a.
OTC-Antibiotika fördern resistente Gonokokken
Was Thailand betrifft, gehen Schätzungen aus 2015 von ca. 400.000 deutschen Sextouristen pro Jahr aus. Die Folge: eine hohe Rate an importierten resistenten Gonokokken, „weil dort Antibiotika over the counter erhältlich sind“, erklärt Schöfer. Wie viele Tripper-Fälle tatsächlich eingeschleppt worden sind, könne man aber nicht sagen, da Gonorrhoe erst seit 2022 in Deutschland meldepflichtig ist. Zudem waren 5–8% der ca. 144.000 Sexworker HIV-positiv (vs. 1% in der Gesamtbevölkerung mit 55 Millionen Einwohnern und >560.000 HIV-Infizierten).
Eine thailändische Studie2 untersuchte HIV-Hochrisiko-MSM und Sexworker in Bangkok (anonym getestet in einer Klinik oder einem Drop-in-Center). Die Kriterien u.a.: im letzten Halbjahr nicht auf HIV-AK untersucht, mindestens 1x ungeschützter Sex (kein Kondom) mit MSM in dieser Zeit, Tätigkeit als Sexworker und die Diagnose mindestens einer STI. Ausgewertet wurden 499 MSM (mittleres Alter 24,8 Jahre, Anamnese: 92% homosexuell, 8% bisexuell): 22% (112) waren HIV-positiv, 10% hatten vaginalen oder analen Sex auch mit Frauen und 39% hatten ungeschützten rezeptiven Analverkehr.
Hohe Risikobereitschaft durch „Chem Sex“
Was nicht nur Thailand angeht, ist eine hohe sexuelle Risikobereitschaft durch „Chem Sex“, bezeichnet auch als „Party and Play“ in den USA und „High and Horny“ in UK. Häufig verwendet werden dabei GHB/GBL (Gamma-Hydroxybuttersäure, „Liquid Ecstasy“), Mephedron, Ketamin und Crystal Meth. Beliebt sind weiters „Poppers“ wie Amylnitrit, Isopropylnitrit, Cyclohexylnitrit, die gefäßerweiternd, aber nicht halluzinogen wirken. Auch Kokain und andere Substanzen werden verwendet.
Der Sextourismus in die Karibik und andere Faktoren führten in der Dominikanischen Republik und Haiti zur höchsten HIV-Inzidenz außerhalb Afrikas: 1% aller Erwachsenen leben dort mit einer HIV-Infektion. Diese Entwicklung dürfte mit der starken Zunahme von Alkoholkonsum (etwa versiebenfacht auf Haiti) zusammenhängen. Denn die Enthemmung durch Alkohol sei ein sehr wichtiger STI-Kofaktor, sagt Schöfer, „wenn nicht sogar der wichtigste“. Der typische Ablauf: Der Sexworker (m, w, divers) wird zum „Girlfriend, Boyfriend“ der Sextouristen im Urlaub.
Den Kondomgebrauch stellt man nach 2, 3 sexuellen Kontakten durch „entstandenes Vertrauen“ ein. Auch die Dating-Apps sind hier ein wichtiger Faktor: Online-Verabredungen trifft man oft schon vor der Anreise. Gewandelt hat sich auch der Charakter vieler Kreuzfahrten – von typischen Seniorenreisen hin zu Party- und Singlereisen. „Auch da nimmt die Rolle von sexuellen Kontakten erheblich zu“, erläutert Schöfer. Es werde regelrecht damit geworben, dass man Singles jeder Altersklasse antreffen könne.
39 Millionen Menschen sind HIV-positiv
Zur HIV-Situation präsentiert Schöfer UNAIDS/WHO-Daten (2022): 39 Millionen Menschen leben auf der Welt mit HIV (zwei Drittel in Afrika, 46% weiblich), davon 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren, meist durch die Mutter infiziert. Erfreulich sei jedoch, dass drei Viertel (76%) aller HIV-Infizierten weltweit mittlerweile Zugang zu einer antiretroviralen Therapie haben. Dennoch gab es 1,3 Millionen Neuinfektionen und 630.000 Menschen starben 2022 an einer AIDS-assoziierten Erkrankung – nach wie vor „erschreckend“ hohe Zahlen.
Insgesamt haben sich seit Beginn der HIV-Pandemie rund 86 Millionen Menschen mit HIV infiziert und rund 40 Millionen sind an AIDS-assoziierten Erkrankungen gestorben. Neu sei die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), die man Menschen mit einem hohen Infektionsrisiko für HIV anbiete, sagt Schöfer. Dazu zählen etwa MSM, Personen mit vielen Partnern oder Personen, die bereits andere STI haben. Die Dosierung beträgt 1x1 Tablette mit Emtricitabin/Tenofovir täglich oder in Einzelfällen (Verdachtsfall) eine „on demand“-Applikation.
Ebenfalls neu ist die Syphilis-„Doxy-PrEP“ für Personen mit hohem Risiko (mehrmalige Vorerkrankung) zum individuellen Schutz, aber auch um die Inzidenz zu reduzieren: Doxycyclin 100mg/d oder auch hier „on demand“ jeweils bis 72h nach Risikokontakten einmalig 200mg p.o. Die Effektivität dieser Prophylaxe sei nachgewiesen, so Schöfer, aber die Nutzen-/Risikoabwägung noch nicht abgeschlossen, weshalb es bisher noch keine Empfehlung gebe.
Erhebliche Nachteile sind gastrointestinale, allergische und phototoxische Unverträglichkeitsreaktionen auf Doxycyclin und zunehmende Tetracyclin-Resistenzen: „Wir geben Patientinnen und Patienten dauerhaft Doxycyclin und selektionieren damit andere Krankheitserreger, die resistenter werden“, erklärt Schöfer, wie etwa Chlamydien, Mycoplasma genitalium und andere humanpathogene Bakterien.
Anstieg der Syphilis-Fälle
Bei Syphilis zeigen Daten aus Deutschland seit 2001 (1.995 Fälle) einen stetigen Anstieg der jährlich gemeldeten Neuerkrankungen. Die Rekordzahl: 8.310 Fälle im Jahr 2022. Nach einem „COVID-Knick“ (2021: 6.751) wurde damit die bisherige Rekordzahl von 7.934 Fällen im Jahr 2019 übertroffen. Interessant ist laut Schöfer auch, dass 93% der Syphilis-Betroffenen Männer sind, davon 85% MSM. Letztere sind demnach die Hauptansteckungsquelle.
Typisch z.B. für die primäre Syphilis sind nicht schmerzhafte, derbe, genitale Ulzera mit regionaler, ebenfalls indolenter Lymphadenopathie. Auch die Lippen können betroffen sein, im Unterschied zu Herpes jedoch schmerzlos. Der Primäraffekt heilt in der Regel spontan ab. Nach mehreren Wochen Latenz kommt das 2. Stadium mit nicht-juckenden (!) Exanthemen – und mit palmoplantarer Beteiligung. Besonders ausgeprägte klinische Befunde, wie Lues maligna, treten bei Immunsuppression und Komorbiditäten wie HIV auf.
Syphilis oder Chlamydien?
2020/21 wurde die DSTIG/AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Syphilis aktualisiert: Das Dunkelfeld verliert an Bedeutung zugunsten einer Multiplex-PCR mit bis zu 9 STI-Erregern. Seit 2022 sind TPPA/TPHA-Tests nicht mehr verfügbar. Als Ersatz dienen IgM/IgG-Tests mit rekombinanten Antigenen, die bisher aber weniger sensitiv bei Frühsyphilis und Seronarben seien, berichtet Schöfer. Die Therapie blieb weitgehend gleich: bei Frühsyphilis 1x Benzathin-Benzylpenicillin i.m., bei Spätsyphilis 3x im Abstand von je 1 Woche. Neu ist jedoch der Entfall der Makrolide – wegen zunehmender Resistenzen.
Eine Kasuistik mit einem Primäraffekt und einem inguinalem Lymphknotenpaket macht den Unterschied zu Syphilis deutlich: Der Lymphknoten ist entzündet und schmerzt bei Palpation – typisch für Lymphogranuloma venereum, eine Chlamydieninfektion. Die PCR-Untersuchung ergab Chlamydia trachomatis L2. Diese wurde früher zu den tropischen STI gezählt, bricht aber seit 2003 auch in Europa aus (F, D, NL), insbesondere bei MSM.
Zu den Symptomen zählen unauffällige, rasch heilende Ulzera. Nach 2–3 Wochen tritt eine schmerzhafte, fluktuierende inguinale Lymphadenopathie (in 60% unilateral) auf. Bei MSM kommt es zur schmerzhaften Proktitis und zum anorektalen Syndrom (Fisteln). Die Diagnose ist klinisch und wird serologisch bestätigt. Die Therapie verhindert das Aufbrechen der Lymphknotenpakete: Doxycyclin p.o. 2x 100mg/Tag, 21 Tage.
„Kissing lesions“ haben nichts mit Küssen zu tun
Bei einem anderen genitoanalen Ulkusbefund sind weiche und schmerzhafte Ulzera zu finden: Es handelt sich um den weichen Schanker (Ulcus molle, Haemophilus ducreyi). Was typisch ist: „Durch eine Läsion auf der Haut kann auf der Kontaktstelle der Haut eine weitere Läsion, eine sogenannte Abklatschläsion, entstehen“, beschreibt Schöfer die „kissing lesions“, die aber mit Küssen nichts zu tun haben. Ulcus molle geht weltweit stark zurück, tritt aber u.a. noch in der Subsahara-Region, Südostasien, Indien, Südamerika auf. Als ulzerierende Erkrankung fördert sie auch sehr stark die HIV-Übertragung. Die Therapie ist nach wie vor Azithromycin.
Woran man auch denken müsse, ist Herpes genitalis, das ebenfalls aus dem Urlaub mitgebracht werden könne: Typisch sind hier schmerzhafte Ulzera, ähnlich wie beim Ulcus molle, jedoch deutlich kleinere Läsionen und gruppiert angeordnet. Haben die Betroffenen zusätzlich eine HIV-Infektion, könne es zu großen tiefgreifenden Ulzerationen kommen.
Sein Fazit: In der reisemedizinischen Beratung gilt es daran zu denken, dass nicht wenige Reisende mögliche intime Kontakte einkalkulieren oder sogar ganz gezielt sexuelle Abenteuer planen. Besonders Letztere sollte man daher auf die unterschiedlichen Risiken und möglichen Schutzmaßnahmen ansprechen – vom Kondom bis zur HIV-PrEP und zur Doxy-PrEP der Syphilis.
Hinweis: Aussendung der ECDC, 3.6.2024, zu Schutzmaßnahmen wegen steigender STI-Zahlen unter https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/protect-your-health-summer-ecdc-urges-vigilance-against-rising-sti-cases
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„Extrem riskant: Intime Kontakte (Venerologische Reisemitbringsel)“, 26. Linzer Reisemedizinische Tagung (LRMT), 6.4.2024