Versorgung der unter 14-Jährigen mit Typ-1-Diabetes ist prekär
Die ÖDG weist darauf hin, dass es zu wenige Personalstellen für die multidisziplinäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahre mit DMT1 gibt.
Rund 3.500 Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre in Österreich haben Typ-1-Diabetes. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, MBA, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) und Abteilungsvorstand der 5. Medizinischen Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie der Klinik Ottakring der Stadt Wien, erklärt: „Die jungen Menschen müssen mit einer Insulintherapie umgehen lernen, die sie ihr gesamtes Leben begleiten wird. Das bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für deren gesamte Familie, dass sie ein komplexes Selbstmanagement in ihr Leben integrieren müssen. Dafür brauchen diese Familien alle Unterstützung, die sie bekommen können, und die Österreichische Diabetes Gesellschaft ruft heute alle Entscheidenden im Gesundheitswesen dazu auf, an dieser Unterstützung mitzuwirken.“
Durch technische Errungenschaften wie Insulinpumpen und Closed-Loop-Systeme ist die kontinuierliche Glukoseüberwachung und Diabetestherapie leichter geworden, räumt Priv.-Doz.in Dr.in Gersina Rega-Kaun, 1. Sekretärin der ÖDG und internistische Oberärztin an der 5. Medizinischen Abteilung der Klinik Ottakring Wien, ein. „Doch jede Technik muss auch in Schulungen gelernt und verstanden werden“, gibt sie zu bedenken.
„Lost in Transition“
Rega-Kaun betont das Thema Transition, eine Zeit, in der es dazu kommen kann, dass ein in der Kindheit gut eingestellter Diabetes sich verschlechtert: „In der Diabetologie haben wir kein Problem mit der Zusammenarbeit zwischen Pädiatrie und Diabetologie, aber auch hier kämpfen wir um mehr Planstellen.“ Mit 16 Jahren, wenn die Patientinnen und Patienten in die Erwachsenenmedizin übergehen, seien neben Herausforderungen durch die Erkrankung viele andere Faktoren relevant. „Wir beobachten Insulinmanipulation, Essstörungen, Depressionen und Ängste. Hinzu kommen mögliche psychosoziale Schwierigkeiten. All das erfordert auch wieder ein starkes multidisziplinäres Team, das Diabetologinnen/Diabetologen, Psychologinnen/Psychologen, Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter, diabetologisch geschulte Pflegefachkräfte und Diätologinnen/Diätologen umfasst“, fordert Rega-Kaun.
Es fehlen Personalstellen und nicht Personen
Ao. Univ.-Prof. Dr. Birgit Rami-Merhar, MBA, MedUni Wien, Leiterin der Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche im AKH Wien, betont: „Diabetes mellitus Typ 1 ist eine komplexe Erkrankung und es bedarf multidisziplinärer Teams, um diese gut zu managen.“ Ein solches Team müsse nach internationalen Leitlinien für die Betreuung von 100 Kindern und Jugendlichen mit Diabetes aus
- 1 Kinderärztin/Kinderarzt mit diabetologischer Zusatzausbildung,
- 1 Diabetesberaterin/Diabetesberater,
- 0,3 Vollzeitäquivalenten für Psychologie sowie Kinderkrankenpflege,
- 0,5 Stellen für eine Fachkraft für Ernährung und
- 20% einer sozialarbeiterischen Vollzeitstelle sowie
- 1 administrativen Unterstützung bestehen.
„Eine Umfrage unter den 34 pädiatrischen Diabeteszentren in Österreich hat gezeigt, dass das in keinem Zentrum erreicht wird, oftmals stehen sogar weniger als die Hälfte der Stellen zur Verfügung!“, beklagt Rami-Merhar. Das liege nicht am Personalmangel im Gesundheitsbereich, sondern daran, dass diese Stellen schlichtweg nie geschaffen wurden.
Um Menschen mit Diabetes Typ 1 unter 14 Jahren leitlinienkonform betreuen zu können, müsste es in Österreich zu einer Erweiterung der Planstellen auf
- 35 Kinderärztinnen/Kinderärzte bzw. Diabetologinnen/Diabetologen,
- 35 Diabetesberaterinnen/Diabetesberater,
- 12 Psychologinnen/Psychologen und
- 12 Kinderkrankenpflegepersonen sowie
- 17 Fachkräfte für Ernährung und 7 Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter kommen.
„Das ist keine Herausforderung für das Gesundheitssystem, aber für diese jungen Patientinnen und Patienten entscheidend für deren gesunde Zukunft“, mahnt Rami-Merhar. Diese Aufgabe dem niedergelassenen Bereich zu übertragen, hält sie für den falschen Weg, da die Betreuung der Kinder und Jugendlichen zu aufwändig sei.
Mobile Betreuung: erfolgreiches Pilotprojekt in der Steiermark
Eine Möglichkeit, betroffene Kinder und deren Familien optimal zu unterstützen, stellt die mobile Betreuung dar. In Österreich ist diese derzeit allerdings nur in Wien im Regelbetrieb. In der Steiermark gibt es aktuell ein Pilotprojekt DiAB-Kids, das trotz hervorragender Evaluationsergebnisse bisher nicht regelfinanziert wird. Priv.-Doz.in Dr.in Elke Fröhlich-Reiterer, Leiterin des Bereichs Diabetes und Endokrinologie der Univ.-Klinik Kinder- und Jugendheilkunde Graz und im Vorstand der ÖDG, betont, dass es durch die mobile Betreuung auch zur Entlastung der Diabetesambulanzen kommen würde. „Und die Familien werden in dem Setting unterstützt, in dem der neue Alltag nach der Diagnose und der Einschulung im Krankenhaus abläuft. Davon profitieren Familien mit stabilen sozialen Lagen, besonders aber auch Familien aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen, in denen es an Geld und Zeit oder auch an Bildung oder Sprachbeherrschung mangelt“, betont Fröhlich-Reiterer. Die bisherige Evaluierung des Pilotprojekts und des 7-jährigen Vorläuferprojekts, das auf Spendenbasis finanziert wurde, zeigt, dass Spitalsaufenthalte verkürzt wurden und sehr positives Feedback von den Familiensystemen und externen Betreuungseinrichtungen gegeben wurde.
Elisabeth Renner, Obfrau MOKI Steiermark, leitet DiAB KIDS Diabetes Assistenz & Beratung und ergänzt, dass auch die Schulungen von pädagogischem Personal in Kindergärten, Schulen und Hort Teil der mobilen Betreuung sind. Dadurch kann ihnen die Angst vor der Erkrankung genommen werden und so der Stigmatisierung der Kinder entgegengewirkt werden.
Quelle: Pressegespräch der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, online, 5.6.2024