Antibiotika bei akuter Otitis media
Akute Mittelohrentzündungen sind schmerzhaft und betreffen oft die Kleinsten. Welchen Stellenwert haben Antibiotika bei der Therapie?
Akute Mittelohrentzündungen sind bei Säuglingen und Kleinkindern häufig: Im Alter von 3 Jahren waren bereits fast alle Kindern davon mindestens einmal betroffen. Auslöser sind virale oder bakterielle Erreger. Oft geht ein Atemwegsinfekt voraus. Typische Beschwerden bei einer akuten Otitis media (AOM), die meist plötzlich beginnt, sind u.a. heftige Ohrenschmerzen, Fieber, Hörstörungen, allgemeine Abgeschlagenheit, begleitet von Weinen, Appetitlosigkeit, Reiben an den Ohren und unruhigen Nächten.
Eine akute Otitis media heilt üblicherweise von selbst wieder komplett aus. Die Symptome sollten sich nach 48–72 Stunden zumindest deutlich verbessert haben. Im Normalfall dürften während des „abwartenden Beobachtens“ (watchful waiting) zur Unterstützung fiebersenkende und schmerzstillende Mittel ausreichend sein. Dennoch bekommen die meisten Kinder bei einer AOM Antibiotika verschrieben.
Systematische Untersuchung des Nutzens
Wie ist die Gabe von Antibiotika bei AOM einzuordnen? Bringen sie deutliche Vorteile für die Kinder? Welche Risiken birgt die Antibiotikatherapie bei akuten AOM? Ein aktueller Cochrane-Review, erstellt von 4 Forschenden unter der Leitung des Allgemeinmediziners und Epidemiologen Roderick Venekamp (Utrecht University), hat sich diesen Fragen gewidmet.
Dafür wertete das Forschungsteam die aktuelle Studienlage systematisch aus und zog anhand von randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) seine Schlüsse. An den verblindeten Studien haben tausende Kinder (1 Monat bis 15 Jahre alt) aus Hocheinkommensländern teilgenommen. Sie wurden zwecks Vergleich entweder mit Antibiotika, Placebomitteln oder abwartendem Beobachten therapiert.
Hier einige Teilergebnisse, die aufgrund der hohen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als sehr gut abgesichert gelten:
- Antibiotika erzielen innerhalb von 24 Stunden keine schmerzlindernde Wirkung; sowohl in der Antibiotika- als auch in der Placebogruppe hatten in den Studien zu diesem Zeitpunkt noch ca. 40% der Kinder Schmerzen (Effektschätzer Relatives Risiko: 0,89; Konfidenzintervall 0,78–1,01). Basis hierfür sind fünf RCTs mit 1.394 Kindern.
- Antibiotika verkürzen die Dauer der Schmerzen ein wenig; mit Antibiotika hatten in den Studien an Tag 2 und 3 noch ca. 11% der Kinder Schmerzen, mit Placebo waren es ca. 16% der Kinder (RR: 0,71; KI 0,58–0,88). Dies haben 7 RCTs mit 2.320 Kindern ergeben.
- Antibiotika können zu Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall und Hautausschlag führen; diese traten in den Studien gehäuft bei ca. 27% der Kinder aus der Antibiotikagruppe auf, aber nur bei ca. 20% der Kinder in der Placebogruppe – so die zusammengefassten Ergebnisse von acht RCTs mit 2.107 Kindern (RR: 1,38; KI 1,16–1,63).
Individuelle Abwägung nötig
Das Fazit der mittlerweile 7. Ausgabe des Cochrane-Reviews ist also kein eindeutiges: Die leichte Verkürzung der Schmerzen geht mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen durch die Antibiotika einher und bewirkt auch in der ersten Phase keine Linderung der Schmerzen. In vielen Fällen dürfte bei Kindern aus Hocheinkommensländern also ein abwartendes Beobachten mit gleichzeitiger Schmerzlinderung gerechtfertigt sein. Bei der Wahl der Therapie sollten u.a. Schwere und Dauer der Erkrankung, Alter des Kindes, Vorerkrankungen sowie Präferenzen der Eltern berücksichtigt we
Weiterführende Ergebnisse finden Sie im zugehörigen Cochrane Review.
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