30. Nov. 2023Grazer Fortbildungstage 2023

Covid-19 und das Mikrobiom

Die Grazer Fortbildungstage im Herbst warteten auch heuer wieder mit einer Vielzahl von praxisrelevanten Themen auf, die Assoz.-Prof. PD Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner zusammenfasste.

Coronavirus causing infectious diseases, close-up.
ArturSniezhyn/AdobeStock

Der Ausbruch der mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) assoziierten Krankheit (Covid-19) begann im Dezember 2019, breitete sich Anfang 2020 in ganz China aus und entwickelte sich danach zu einer Pandemie, die erhebliche Auswirkungen auf Bevölkerung, Gesellschaft und Leben hatte und hat. Kurz nach dem Ausbruch wurde berichtet, dass die Krankheitssymptome nach der Virusbeseitigung relativ lange anhalten können, was auf das Vorliegen eines postakuten Krankheitszustands schließen lässt.

Hohe Krankheitslast, schlechte Lebensqualität

Es bestehen erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die Definition und damit über die Prävalenz von postakutem Covid-19, die je nach Zeitpunkt der Studie, der Art der Beurteilung und der Erkrankung zwischen 10 % und 87 % der Patient:innen mit Covid-19 liegt.

Dieses zu Beginn der Pandemie manchmal abgetane Syndrom wird heute als Multiorganerkrankung anerkannt und stellt eine Herausforderung für die Gesundheitsversorgung dar. Postakutes Covid-19 betrifft typischerweise verschiedene Organsysteme mit pulmonalen, kardiovaskulären, hämatologischen, neuropsychiatrischen, endokrinen, renalen, gastrointestinalen und dermatologischen Folgen. Symptome wie starke Müdigkeit, kognitive Dysfunktion oder Schmerzen führen zu einer erheblichen Krankheitslast und Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Postakute Covid-19-Folgen sind im Vergleich zur Pathophysiologie der akuten Erkrankung noch weniger gut verstanden. Eine virale Immunstörung und/oder eine entzündliche Gewebeschädigung während der akuten Infektion sind für das postakute Covid-19-Syndrom verantwortlich.

Eine Covid-19-Infektion ist häufig durch einen hyperinflammatorischen Phänotyp gekennzeichnet. Der Covid-19-Zytokinsturm ist durch eine schnelle Proliferation und Hyperaktivierung von T-Zellen, Makrophagen, Mastzellen, neutrophilen Granulozyten und natürlichen Killerzellen sowie durch die Überproduktion von entzündlichen Zytokinen und chemischen Mediatoren gekennzeichnet, die von Immun- oder Nichtimmunzellen freigesetzt werden. Immer mehr Hinweise deuten auf eine Wechselwirkung zwischen Darm-Mikrobiom und Lunge hin, wobei das Immunsystem die Kommunikation zwischen Mikrobiom, Darmbarriere und dem Effektororgan Lunge über die sogenannte Darm-Lungen-Achse erleichtert. Diese Darm-Lungen-Interaktion kann den Schweregrad von Covid-19 bei Patient:innen mit extrapulmonalen Erkrankungen beeinflussen. Die Darm-Lungen-Achse als anatomischer und funktioneller Zusammenhang zwischen Dysbiose, Barrierefunktionsstörung, Translokation bakterieller Produkte und Hyperinflammation ist daher auch ein potenzielles therapeutisches Ziel.

Probiotika als Modulator der Darm-Lungen-Achse

Probiotika gelten als möglicher Modulator der gestörten Darm-Lungen-Achse bei der Covid-19-Erkrankung und dem postakuten Covid-19-Syndrom. Die meisten Studien konzentrierten sich auf die Beziehung zwischen dem Mikrobiom, dem Immunsystem und dem Ausgang einer akuten Infektion und konnten zeigen, dass Probiotika den Erkrankungsverlauf von akuten viralen Atemwegsinfektionen günstig beeinflussen können. Auch wenn das Ausmaß des Effektes, z.B. eine Reduktion der Erkrankungsdauer um einen Tag, für individuelle Patient:innen gering erscheint, ist das – wenn man die Gesamtheit der in der Winterzeit an Atemwegsinfekt Erkrankten betrachtet – ein deutlicher Benefit für die Gesellschaft.

Studie untersuchte Biomarker und Symptome

Viel weniger bekannt ist, wie sich die Darm-Lungen-Achse nach leichten und nach schweren Infektionen erholt und wie dies mit langfristigen Folgen verbunden sein könnte. Zu diesem Zweck untersuchten wir einerseits Patient:innen während einer milden Covid-19 Erkrankung in Heimquarantäne und andererseits Patient:innen nach leichter und nach schwerer Covid-19-Erkrankung. Außerdem führten wir zwei randomisierte, doppelblinde, placebo-kontrollierte Pilotstudien mit Probiotika bei Patien:innen während akuter Covid-19-Infektion und bei Patient:innen nach schwerer Covid-19-Erkrankung durch. Wir untersuchten eine große Anzahl klinischer, immunsystem- und mikrobiom-/metabolombezogener Biomarker. Das Hauptziel bestand darin, zu erforschen, ob die akute, leichtgradige Covid-19-Infektion Veränderungen im Mikrobiom hervorruft und wie sich Biomarker der Darm-Lungen-Achse bei Patient:innen nach einer leichten oder schweren Covid-19-Infektion verändern. Weiters wollten wir wissen, welche dieser Biomarker und Symptome über das Darm-Mikrobiom – durch die Verwendung eines Probiotikums – moduliert werden können.

Mikrobiom besserte sich teils mit Symptomen

Patient:innen mit leichter Covid-19-Infektion wurden während der Heimquarantäne und darüber hinaus für insgesamt 30 Tage beobachtet, und Patient:innen nach schwerer Covid-19-Infektion wurden im Durchschnitt zehn Monate nach der Infektion untersucht. Patient:innen in Heimquarantäne zeigten trotz milder Infektionsverläufe starke Veränderungen in der Zusammensetzung des Stuhl-Mikrobioms und Metaboloms, die sich teilweise parallel mit der Symptombesserung wieder normalisierten.

Es zeigte sich ein Anstieg der Bacteroidetes und ein Rückgang der Taxa Christensenellaceae, Ruminococcaceae und Gammaproteobacteria. Patient:innen nach schwerer Covid-19-Infektion berichteten trotz einer längeren Zeitspanne, die seit der Infektion vergangen war, über eine geringere Lebensqualität. Patient:innen nach schwerer Covid-19-Infektion waren älter, hatten mehr Komorbiditäten, einen höheren BMI und hatten im Vergleich zu milder Covid-19-Infektion eine erhöhte Darmpermeabilität sowie eine veränderte angeborene und adaptive Immunantwort. Die Sequenzierung des Darm-Mikrobioms ergab eine reduzierte Diversität des Darm-Mikrobioms und eine Reorganisation der Ruminococcaceae- und Lachnospiraceae-Familien – beides Familien, die häufig mit der Produktion von kurzkettigen Fettsäuren in Zusammenhang gebracht werden.

Dieses Ergebnis zeigt also eine langfristige Auswirkung der akuten Erkrankung auf das Mikrobiom. Die Zusammensetzung der Metabolite im Serum zeigte eine tiefgreifende Dysregulation der Lipoproteine sowie Veränderungen von Metaboliten, die vom Darm-Mikrobiom produziert werden. Funktionsänderungen in den T- und B-Zellen konnten ebenso im Durchschnitt 10 Monate nach schwerer Covid-19-Infektion beobachtet werden. Die Einnahme des Probiotikums führte zu einer schnelleren Verbesserung der Müdigkeit, einer Zunahme der mikrobiellen Vielfalt im Darm-Mikrobiom zusammen mit vorteilhaften Veränderungen der Serum- und Stuhlmetabolite sowie der Parameter des angeborenen und adaptiven Immunsystems.

Langfristige Veränderungen der Darm-Lungen-Achse

Zusammenfassend zeigten unsere Studien, dass selbst leichte Covid-19-Erkrankungen neben respiratorischen Symptomen und einer verminderten gastrointestinalen Lebensqualität auch Veränderungen des Stuhl-Mikrobioms und -Metaboloms hervorrufen und dass langfristige Veränderungen der Darm-Lungen-Achse nach einer schweren Covid-19-Infektion auftreten. Probiotika können die Darm-Leber-Achse im Zusammenhang mit einer postakuten Covid-19-Erkrankung modulieren.