2. Nov. 2023Eine drohende Gesundheitskrise

Krebs und Klimawandel

Der fortschreitende Klimawandel birgt neue Dimensionen, die es im Bereich der weltweiten Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen gilt. Stetig steigende Temperaturen und häufiger auftretende Wetterextreme haben auch Auswirkungen auf die Onkologie. Eine steigende Zahl an Krebserkrankungen wird erwartet. Es ist daher notwendig, dass sich Gesundheitsfachkräfte mit den vielfältigen Konsequenzen des Klimawandels auf die Entstehung und Behandlung von Tumoren auseinandersetzen.

Air pollution problem with human , Generative ai
MdImam/AdobeStock

„Der Klimawandel ist unbestreitbar eine Kraft, die tiefgreifende Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben wird. Hitzebedingte Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Infektionskrankheiten, Ernährungsunsicherheit, psychische Probleme und auch Tumorerkrankungen werden durch den Klimawandel zunehmen“, berichtet Prof. Dr. Robert A. Hiatt, University of California, San Francisco, im Rahmen des World Cancer Leaders‘ Summit 2023.

Im Gegensatz zu Infektionskrankheiten ist Krebs eine Krankheit, die sich langsam entwickelt, sodass eine langfristige Perspektive erforderlich ist, um die Folgen einer längeren Exposition gegenüber den durch den Klimawandel verursachten Umweltveränderungen zu verstehen. Bei dieser Perspektive geht es um das komplizierte Zusammenspiel zwischen den Emissionen von Umweltschadstoffen, insbesondere aus der Nutzung fossiler Brennstoffe, und der Zunahme verschiedener Krebsarten. „Zu den am stärksten betroffenen Krebsarten gehören Lungen- und Hauttumoren sowie Krebsarten, die mit Lebensstilfaktoren wie Ernährung und körperlicher Aktivität zusammenhängen“, erklärt Hiatt.

Laut dem Experten wird der Klimawandel Auswirkungen auf das gesamte „Krebskontinuum“ haben: „Von der Krebsentstehung über Früherkennung, Behandlung und Diagnose bis hin zur Langzeitpflege. Der Klimawandel ist im Begriff, jede dieser Phasen zu stören.“

Luftverschmutzung als zentrales Thema

Lungenkrebs stellt weltweit ein großes Gesundheitsproblem dar und fordert jährlich die meisten krebsbedingten Todesopfer. Es wird davon ausgegangen, dass die Luftverschmutzung, die in erster Linie durch Emissionen aus fossilen Brennstoffen verursacht wird, eine entscheidende Rolle bei der Verschlimmerung von Lungenkrebs spielt. Trotz der bekannten Rolle des Tabaks als Hauptursache für Lungenkrebs nimmt die Luftverschmutzung und die Belastung durch gefährliche Feinstaubpartikel (PM2,5) weiter zu. Durch den Klimawandel bedingte Phänomene wie Waldbrände machen dieses Problem noch komplexer. Bei diesen Bränden werden nicht nur die üblichen Nebenprodukte der Verbrennung freigesetzt, sondern auch verschiedene krebserregende Stoffe, z.B. aus schmelzendem Plastik. Diese Schadstoffe gelangen in die Atmosphäre, dringen in die Wasserversorgung ein und tragen zu einem wachsenden Bestand an krebserregenden Stoffen bei.

Krebsrisiko steigt durch Klimawandel

Auch die Zahl an Hautkrebspatientinnen und -patienten wird durch den Klimawandel steigen. Denn die erhöhte UV-Strahlung, bedingt durch den Klimawandel, steigert das Hautkrebsrisiko.

Gleichzeitig bedroht die durch den Klimawandel verursachte Störung der Lebensmittelproduktion und die unsichere Ernährungslage die weltweite Verfügbarkeit gesunder Ernährungsoptionen und untergräbt damit die Bemühungen um Krebsprävention. Denn durch ungesunde Ernährung wird die Zahl an Darmkrebsfällen, aber auch Brustkrebsfällen zunehmen, erläutert der Experte. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Verbreitung von Umweltgiften, darunter auch krebserregende Chemikalien, durch Naturkatastrophen stark zunehmen wird, was die Krebsproblematik weiter verschärft.

Überleben beeinträchtigt

Der Einfluss des Klimawandels erstreckt sich auf jeden Aspekt der Krebserkrankung, auch auf die Überlebensaussichten. „Menschen, bei denen Krebs diagnostiziert wurde, gehören zu den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf den Klimawandel, da ihre Diagnose und Behandlung eine Reihe von physischen, psychologischen und sozioökonomischen Folgen mit sich bringt“, berichtet Leticia Nogueira, Wissenschaftliche Direktorin der American Cancer Society.

Der physische und psychische Tribut, den eine Krebserkrankung fordert, ist bekannt, doch wenn die Auswirkungen des Klimawandels hinzukommen, wird die Belastung noch deutlicher. So können Krebstherapien beispielsweise die Empfindlichkeit eines Menschen gegenüber Temperaturschwankungen erhöhen und anfälliger für die mit extremen Hitzewellen verbundenen Gesundheitsrisiken machen. Ebenso erhöht ein geschwächtes Immunsystem, wie es bei Krebsbehandlungen häufig vorkommt, das Risiko von Infektionen, insbesondere bei Überschwemmungen, die durch den Klimawandel noch verschlimmert werden.

Nogueira und ihr Team haben kürzlich eine Studie zum Überleben von Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs veröffentlicht: „Wir haben gesehen, dass Personen, die innerhalb von sechs Monaten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nach einer Lungenkrebsoperation einem Feuer ausgesetzt waren, schlechtere Überlebenschancen hatten als nicht exponierte Personen.“

Eindämmung oder Anpassung?

Die Anerkennung des Klimawandels als wesentlicher Faktor für die Gesundheit und die Einigkeit in der globalen Zusammenarbeit sind entscheidende Schritte zur Bekämpfung dieser aufkommenden Krise. Angesichts des Potenzials für einen raschen Wandel in der Krebsversorgung sind die Gesundheitssysteme besonders anfällig für die durch den Klimawandel verursachten Unterbrechungen. Die jüngsten Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass selbst hoch entwickelte Gesundheitssysteme überfordert sein können.

Laut der Expertin bestehen angesichts des Klimawandels zwei Möglichkeiten: Eindämmung oder Anpassung. „Der Weg der Eindämmung ist zwingend erforderlich, da er den Schlüssel zur Verringerung des Leidens darstellt.“ Auf diesem Weg spielen die Fachleute der Onkologie eine zentrale Rolle. Mit ihrem Fachwissen sind sie gut positioniert, um bei der Umsetzung von Lösungen, insbesondere von solchen, die sich auf die Anpassung konzentrieren, eine Vorreiterrolle zu spielen, ist  Nogueira überzeugt.

Es bedarf einer umfassenden Strategie, die Eindämmung und Anpassung miteinander verbindet. Die Eindämmung zielt darauf ab, die menschlichen Aktivitäten zu reduzieren, die zum Klimawandel beitragen, wobei der Schwerpunkt auf der Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen liegt. Dies erfordert eine umfassende Aufklärungskampagne, die sich an die Öffentlichkeit und die Angehörigen der Gesundheitsberufe richtet, um die negativen Folgen der Luftverschmutzung zu begreifen, das Verhalten zu ändern, um die Strahlenbelastung zu verringern und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Auswirkungen von Waldbränden und anderen klimabedingten Umweltproblemen zu mindern.

Fazit

Der Klimawandel stellt eine komplizierte und vielschichtige Bedrohung für die Krebsbekämpfung dar. Seine Einflüsse reichen von direkten Auswirkungen auf die Entstehung von Krebs bis hin zu eher indirekten Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme. „Es ist unerlässlich, dass wir uns auf globaler Ebene zusammenschließen, um den Klimawandel einzudämmen und uns an seine unvermeidlichen Folgen anzupassen. Wenn wir den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Krebs erkennen, können wir proaktive Schritte unternehmen, um die drohenden Störungen in der Krebsbekämpfung zu minimieren“, so die Expertin.

„Cancer and climate change“ Session im Rahmen des World Cancer Leaders‘ Summit (WCLS), Long Beach, California & virtuell, 17.10.23

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum onko