Rotes Kreuz: Telemedizin soll Fehleinsätze reduzieren
Nur etwa jeder 4. Notarzt-Einsatz ist ein kritischer Notfall. Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) fordert daher den (zusätzlichen) Einsatz von Telenotärzten und -ärztinnen sowie eine Novelle des mehr als 20 Jahre alten Sanitätergesetzes.
Als größter Leistungsträger im Rettungsdienst – mit einem Anteil von 85% – pocht das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) auf Reformen. „In der Regel zählt nur ein Viertel aller Notarzt-Einsätze zu den kritischen Notfällen, wie etwa ein Atem-Kreislauf-Stillstand“, berichtet ÖRK-Chefarzt Dr. Wolfgang Schreiber. In diesem Fall zähle dann aber jede Sekunde: Für die bestmögliche präklinische Versorgung kämen flächendeckend Notarztrettungsmittel zum Einsatz.
Auch sei die Eintreffzeit in Österreich aufgrund der rettungsdienstlichen Planung sehr kurz. „Von Team Österreich Lebensretterinnen und Lebensrettern, First Respondern, der Polizei bis hin zu den alarmierten Rettungsmitteln – sie alle bilden ein dichtes Hilfsnetz, das sich durch hohe Verfügbarkeit und kurze Wege auszeichnet“, beschreibt der Chefarzt den Status quo.
Allerdings sei das ÖRK zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert: Die Menschen würden älter, der Bedarf an medizinischer Versorgung steige, genauso wie das „Anspruchsverhalten“ an den Rettungsdienst. Als Alternative zu den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte würden die Menschen oft den Notruf wählen und der Rettungsdienst transportiere die Patientinnen und Patienten in ohnehin bereits überfüllte Ambulanzen, skizziert ÖRK-Bundesrettungskommandant Mag. Gerry Foitik.
Rettungsdienst kein „reiner Transporteur“
Die Rettung wolle sich aber nicht als „reiner Transporteur“ definiert wissen. Zudem sei das nächstgelegene Krankenhaus nicht immer der „best point of service“. Primärversorgungseinrichtungen (PVE), niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflege zuhause wären Maßnahmen, um die Krankenhäuser zu entlasten. Daher wäre es ein wichtiger Schritt, wenn Sanitäterinnen und Sanitäter künftig die Kompetenzen hätten, den „best point of service“ zu bestimmen. Dazu zählt, einen Termin bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder in einer PVE buchen zu können oder die Patientinnen und Patienten auch zuhause zu belassen, bringt Foitik Beispiele.
Ein zusätzliches „kostengünstiges Tool“ wäre zudem die Telemedizin. „Ein Telenotarzt oder eine Telenotärztin kann in kürzester Zeit deutlich mehr Beratungen durchführen als Notärztinnen und Notärzte, die zu jedem Berufungsort zu- und wieder wegfahren müssen“, erläutert ÖRK-Chefarzt Schreiber, „dafür brauchen wir vom Gesetzgeber jedoch entsprechende rechtliche und finanzielle Möglichkeiten.“ Er verweist auf telemedizinische Erfahrungen in Aachen und in Gosslar, Deutschland. Auch in Niederösterreich laufe seit rund einem halben Jahr ein vielversprechendes Projekt.
Telemedizin als Unterstützung für Sanitäterinnen und Sanitäter
Auch wenn Österreich ausdrücklich auf ein notarztgestütztes Rettungssystem setze, könnten Notärztinnen und Notärzte allein die Probleme natürlich nicht lösen, betont die stellvertretende ÖRK-Bundesrettungskommandantin Monika Stickler. Die Telemedizin sieht sie als professionelle Unterstützung und Beratung für Notfall- und Rettungssanitäter und -sanitäterinnen bei Einsätzen, bei denen keine Lebensgefahr besteht.
Stickler hebt auch den Stellenwert der Freiwilligkeit hervor. Von 75.400 Freiwilligen beim Roten Kreuz sind allein 42.300 im Rettungsdienst tätig. „Freiwilligkeit und Rettungsdienst sind kein Widerspruch und der Personalmix von Hauptberuflichen, Freiwilligen, Zivildienstleistenden sowie Absolventinnen und Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres ist für das Rote Kreuz aber auch die Gesellschaft enorm bereichernd“, liegt ihr der Erhalt der Freiwilligkeit am Herzen.
Wechsel in andere Gesundheitsberufe ermöglichen
Die durch Aus- und Fortbildung erreichbaren hohen Kompetenzlevels seien für viele Freiwillige eine große Motivation. Jedoch würde sich das ÖRK wünschen, dass die Kurse auch beim Wechsel in andere Gesundheitsberufe angerechnet werden. Denn das Sanitätergesetz (SanG) ermögliche es umgekehrt, dass andere Gesundheitsberufe in das Rettungswesen wechseln können.
Das SanG stammt aus dem Jahre 2002. Da sich die Anforderungen an den Rettungsdienst geändert hätten, erwarte man sich vom Gesetzgeber schon seit Längerem eine Anpassung. „Unsere Vorschläge haben wir dem Gesundheitsministerium bereits vor einiger Zeit übermittelt“, informiert Stickler. Im gemeinsamen Dialog wolle man über mögliche Spezialisierungen, neue Karrierewege, den Ausbau der Telemedizin und den Rettungsdienst als Teil des Gesundheitssystems weiterentwickeln.
Menschen nicht „bestrafen“
Was die oft geforderte Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung betrifft, schränkt ÖRK-Bundesrettungskommandant Foitik etwas ein. Denn oft würden die Menschen gar keine andere Lösungsmöglichkeit sehen und daher die Rettung rufen. „Letztlich muss das Gesundheitssystem an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten angepasst werden“, gibt Foitik zu bedenken. Die Leute dürften jedenfalls nicht „bestraft“ werden, sonst könne es auch vorkommen, dass sie z.B. bei Brustschmerzen – infolge eines Herzinfarkts – zu spät die Rettung rufen.