Scharlach-Welle in Deutschland
Die Inzidenz von Gruppe-A-Streptokokken-Infektionen wie z.B. Scharlach steige weiterhin, berichtet das Robert-Koch-Institut (RKI). Kürzlich ist in Deutschland sogar ein 15-Jähriger nach Streptokokken-Infektion gestorben. Es gebe nicht genug Antibiotika, schlagen Fachleute Alarm. In Österreich zeichne sich eine „leicht erhöhte“ Scharlach-Aktivität ab.
Deutsche Kinderärzt:innen berichten derzeit über eine untypische Häufung des Scharlach-Erregers Streptococcus pyogenes. Besonders tragisch: Ein junger Patient einer Praxis in Münster ist laut dem Sprecher des Kinder- und Jugendärztenetzes, Dr. Pedro Andreo Garcia, an einer Streptokokken-Sepsis verstorben (siehe Bericht „Westfälische Nachrichten“ am 10.02.2023). Ein Berufskollege habe gemeldet, dass die Sepsis bei dem 15-jährigen Teenager foudroyant, also rasend schnell, verlaufen sei.
Wenige Tage davor habe der Kinderarzt bereits moniert, dass Streptokokken-Testungen nicht ausreichend, vor allem aber zur Therapie notwendiges Penizillin in Münster nicht zur Verfügung stünden. Für die „negative Entwicklung der vergangenen Jahre“ sei „die Sparwut, die Abhängigkeit von billigen Lieferländern und die Vernachlässigung der medizinischen Infrastruktur durch die Gesundheitspolitik“ verantwortlich, wird Garcia in dem Artikel zitiert.
Zwei Altersgipfel: <15-Jährige und 25-44-Jährige
Die Erfahrungen aus Kinderarztpraxen sowie Kindertagesstätten (Kitas) und Schulen täuschen nicht. Und auch Ältere sind betroffen: „Weiterhin beobachten wir einen Anstieg an Nachweisen nicht-invasiver Gruppe-A-Streptokokken-Infektionen und von Scharlach-Erkrankungen, insbesondere in den Altersgruppen <15 Jahre und 25–44 Jahre“, schreibt das RKI in seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin vom 23.02.2023.
Bereits im vierten Quartal 2022 war dem RKI zufolge ein für die Jahreszeit ungewöhnlich „früher und starker Anstieg“ von invasiven Infektionen durch Gruppe-A-Streptokokken (nicht meldepflichtig in Deutschland), Pneumokokken und H. influenzae (meldepflichtig) zu beobachten – „teilweise mit neuen saisonalen Spitzenwerten seit dem Jahr 2017“.
Antibiotika gegen Scharlach „Mangelware“
Die zur Behandlung von Streptokokken notwendigen Antibiotika wie Penicillin V oder Amoxicillin seien aktuell Mangelware, bestätigte auch Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, in mehreren Medienberichten, darunter Focus Online am 18.06.2023. Einerseits gebe es einen höheren Bedarf an Medikamenten, andererseits eingeschränkte Lieferketten. Etwa 700 bis 900 Arzneimittel seien kaum oder gar nicht erhältlich.
Zwei Tage zuvor sagte Siemsen sogar gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“, dass die Arzneimittelversorgung in Deutschland gerade zusammenbreche. Verantwortlich ist aus seiner Sicht die Sparpolitik der Krankenkassen. Verschreibungspflichtige Medikamente würden über Fest- oder Rabattverträge über die Krankenkassen bezogen. Doch diese würden in Deutschland nur so wenig dazuzahlen, dass die Hersteller ihre Arzneien lieber in andere Länder liefern: „Deutschland bekommt nur noch die Reste, wenn überhaupt.“
Vollbild eines Scharlachs „leicht zu erkennen“
Penicillin V, Mittel der ersten Wahl bei Scharlach, sei als Saft jetzt auch nur noch sehr begrenzt verfügbar, berichtet auch Dr. Claudia Haupt, Kinderärztin mit Praxis in Blankenese, im selben Artikel. Als Alternative nutze man Cephalosporine, „wir müssen da sehr flexibel sein“. Das Vollbild eines Scharlachs sei leicht zu erkennen: „Die Kinder gucken traurig, haben einen feinfleckigen Ausschlag, ein weißes Munddreieck, einen scharlachroten Hals mit geschwollenen Mandeln und eine Himbeerzunge.“
Es gebe aber knapp 100 Serotypen der beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, und nur wenige Typen würden das Vollbild auslösen – die Mehrzahl verursache „nur“ eine Streptokokken-Angina. Antibiotika seien nur bei symptomatisch erkrankten Kindern notwendig, betont die Kinderärztin, also bei Fieber, Halsschmerzen und einem Streptokokkennachweis.
WHO berichtete Ende 2022 von Inzidenzanstieg
Bereits am 10.12.2022 hat die WHO über einen Anstieg von schweren, teils tödlich verlaufenden Erkrankungen durch invasive Gruppe-A-Streptokokken-Infektionen in mindestens fünf europäischen Ländern berichtet: Frankreich, Irland, Niederlande, Schweden und Großbritannien (Quelle: RKI). Demnach betrifft der Anstieg vor allem Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren und folgt auf eine Phase niedrigerer Inzidenzen während der COVID-19-Pandemie. Die WHO schätze das Risiko für die Allgemeinbevölkerung insgesamt als niedrig ein, hieß es.
In Deutschland sind wie erwähnt Gruppe-A-Streptokokken-Infektionen nicht meldepflichtig, weswegen dem RKI nur begrenzt Daten zu Erkrankungen vorliegen. Jedoch führt das Nationale Referenzentrum (NRZ) für Streptokokken die Typisierung von invasiven Streptococcus pyogenes-Isolaten (Gruppe-A-Streptokokken) aus Blut, Liquor oder sonstigen primär sterilen Materialen durch. Das umfasst auch eine Surveillance für invasive Gruppe-A-Streptokokken.
Komplikationen: Peritonsillarabszess, rheumatisches Fieber, STSS
Ein Blick auf die betreffende NRZ-Streptokokken-Website zeigt, dass früher – als Scharlach noch nach dem alten Bundesseuchengesetz meldepflichtig war – zirka 40.000 Fälle jährlich (mit hoher Dunkelziffer) gemeldet wurden. Diese „niedrige Zahl“ für ganz Deutschland sei jedoch für die Epidemiologie unwichtig, heißt es. Entscheidend sei vielmehr die hohe Zahl von jährlich zirka 1–1,6 Millionen Fällen von Streptokokken-Pharyngitiden – mit oder ohne Scharlachexanthem – in Deutschland.
Komplikationen können lokal im Rachen auftreten, wie etwa der gefürchtete Peritonsillarabszess. Als wichtigste Komplikation gilt aber das „Akute rheumatische Fieber“. Es tritt in zirka drei Prozent der unbehandelten Kinder auf. Deswegen sei eine Antibiotika-Behandlung auch unverzichtbar, wird betont. Seltener ist das sogenannte Streptokokken-Toxic-Shock-Syndrom (STSS), das aber in mindestens 30 Prozent der Fälle tödlich verläuft.
Das RKI verweist auch auf die pädiatrischen Fachgesellschaften, die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. (DGPI) kurzfristig ein klinisches Meldesystem für invasive Gruppe-A-Streptokokken-Infektion und weitere komplizierte (Atemwegs-)Infektionen bei stationär behandelten Kindern und Jugendlichen eingerichtet haben (“compARI-Survey“).
In ganz Europa „leicht erhöhte Aktivität“
Aktuell sei in ganz Europa eine „leicht erhöhte Aktivität“ von Scharlach zu beobachten und dies zeichne sich auch in Österreich ab, heißt es auf medonline-Nachfrage aus dem Gesundheitsministerium (BMSGPK). Die Situation sei jedoch nicht mit jener in Deutschland zu vergleichen.
Hierzulande unterliegen Erkrankungs- und Todesfälle an Scharlach der Meldepflicht an die Gesundheitsbehörden. Rasche Behandlung von Erkrankten sowie ihr Fernhalten von gesunden Personen sei wesentlich, heißt es auf Website des Ministeriums*. Bei einer Behandlung mit Antibiotika ende die Ansteckungsgefahr etwa 24 Stunden nach Therapiebeginn.
Was Lieferengpässe angeht, ist allerdings auch Österreich nach wie vor stark betroffen: 608 Arzneimittel sind aktuell laut Vertriebseinschränkungsregister des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Mitte Jänner waren es 604 Medikamente (siehe auch medonline-Bericht). In Deutschland weist das Melderegister des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit 438 offene Lieferengpassmeldungen auf (Stand 24.02.2023).
*Fachinformation für medizinisches Fachpersonal unter: https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Scharlach.html