6. Juli 2022Virtual Anatomy an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU)

JKU medSPACE führt in unendliche Weiten des Körpers: „Völlig neue Art, Anatomie zu lehren“

Die Studierenden seien begeistert, die ärztlichen Kollegen auch, schwärmt Univ.-Prof. Dr. Franz Fellner, Radiologie-Vorstand am Kepler Universitätsklinikum (KUK) und Dekan für Lehre an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), vom „Cinematic Rendering“, einer weltweit einzigartigen Technologie: MRT- und CT-Daten von echten Patienten sind dreidimensional aufbereitet, mit 3D-Brille geht die Reise ins Körperinnere los, der Lehrende navigiert mit einem Controller – wie bei einer Spielkonsole. Die virtuelle Anatomie ergänzt den Sezierkurs in Graz, bald wird aber der JKU medSPACE dorthin gebeamt, auch die Bayern könnte sich einklinken. Plus: Während zugeschalteter Live-OPs können Studierende mit den Chirurgen reden.

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Es handle sich um die „Avantgarde“ in der Medizinvermittlung, begrüßte JKU-Rektor Univ.-Prof. Mag. Dr. Meinhard Lukas am 28. Juni 2022 die anwesenden Studierenden und diesmal auch Vertreter von Fachmedien (siehe auch Kasten unten). Wenig später, nach einem Crash-Kurs von Fellner in Anatomie, wo das Auditorium im JKU medSPACE auf 16 mal 9 Metern in 8K und 3D visuell in das Hirn und Herz echter Menschen schlüpfte, hielt auch er mehrmals den Atem an: Zwei Operationen – eine Herz-OP und eine Hirn-OP – wurden live zugeschaltet, dann folgte noch eine aufgezeichnete Augen-OP in 3D (siehe Bild oben). Das Besondere an der digitalen Anatomie im JKU medSPACE: Alle Organe, Strukturen, Knochen etc. können überlebensgroß aus allen Winkeln, frei zoombar und messerscharf inspiziert werden. Möglich macht das die Kombination zweier Programme: das „Cinematic Rendering“ von Siemens Healthineers und die Virtual Anatomy des Ars Electronica Futurelab. Damit hat die Technologie aus Linz enormes Potenzial für den Anatomiesaal der Zukunft.

medonline: Herr Professor, was ist eigentlich das weltweit Einzigartige am JKU medSPACE?

Franz Fellner: Die völlig neue Art der Lehre im Bereich der Anatomie, kombiniert mit anderen Methoden. Zusätzlich zum bisherigen normalen Leichenunterricht – der Präparate-Anatomie – verwenden wir eine neue Dimension in der Anatomie, modern, dreidimensional, aus Schnittbildern CT und MR berechnet. Ich sage immer so, die Anatomie schaut überall ein bisschen anders aus, an den Leichen, bei den Präparaten, intraoperativ für den Chirurgen und wieder anders bei uns in der Bildgebung.

Bei unserem Konzept lernt man sozusagen verschiedene Sprachen zu lesen, weil man die Anatomie aus den verschiedenen Blickarten gleich von Anfang an lernt. Das macht es so interessant, natürlich auch für die Studierenden, weil sie jetzt lernen, was sie später einmal brauchen: Wie schauen bestimmte Erkrankungen, Lungenentzündung oder ein Riss in der Lunge, im Röntgen aus? Das können logischerweise auch Studierende brauchen, die nicht Radiologen werden. Die Anatomie so hochauflösend zu projizieren und auch noch dreidimensional mit „Cinematic Rendering“ darzustellen zu können – das ist sicherlich bis jetzt weltweit einzigartig und gibt ganz neue Möglichkeiten im Unterricht und erhöht auch das Interesse der Studierenden für die Anatomie noch mehr, als sie es so schon haben.

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Johannes Kepler Universität Linz

Der medCAMPUS an der JKU.

Wie werden die neuen Möglichkeiten von der ärztlichen Kollegenschaft aufgenommen?

Also je länger Ärzte im Geschäft sind, umso mehr sind sie von dieser Methode begeistert, und zwar noch mehr als die Studierenden – und die sind ja schon extrem begeistert. Die Älteren sagen immer: „Hätten wir Anatomie so lernen dürfen, wär‘ das schön gewesen!“ Die Akzeptanz für diese Darstellung der Anatomie und diese neue Art, Anatomie zu lehren, ist extrem gut in der Kollegenschaft.

Aber im Gegensatz zu früher muss der Nachwuchs durch ein Nadelöhr am Studienbeginn (siehe auch Interview mit den Studierenden Victoria Schopf und Florian Fussi). Das Interesse für das Aufnahmeverfahren zum Medizinstudium (MedAT) am 8. Juli ist sechs- bis zehnmal (!) größer als das Angebot: In Linz rittern 1.907 Personen um 310 Plätze, bundesweit sind es 15.788 für 1.850 Plätze. Andererseits droht ein Ärztemangel, in manchen Fächern besteht er schon. Wie könnte man aus Sicht der Lehre das Problem angehen?

Ja, da kommt sicher noch weiter ein Problem auf uns zu. Es ist zwar schon reagiert worden, wir überbuchen ja schon seit Jahren und nehmen ein bisschen mehr Studierende auf, als vorgesehen sind. Andere Universitäten machen das auch. Aber ich kann noch nicht abschätzen, ob das für den Bedarf in Zukunft ausreichend ist.

Was halten Sie von dem Vorschlag, dass Personen, die in Sozial- oder Rettungsdiensten tätig sind, eher einen Platz bekommen, insbesondere wenn sie den Test knapp nicht geschafft haben?

Es schadet überhaupt nichts, auch über solche alternative Möglichkeiten nachzudenken. Das Problem ist nur die Anzahl der Studienplätze, die vorhanden sind, aber es wäre schon gut, man würde darüber nachdenken, weil der Ärztemangel nicht besser werden wird.

Zurück zum JKU medSPACE, bei dem es ja kein Raumproblem geben dürfte: Denken die Linzer daran, die virtuelle Anatomie in Form des „Cinematic Rendering“ auszuweiten und vielleicht sogar zu einem Exportschlager zu machen?

medSPACE-Vorführung Digitale Anatomie
Johannes Kepler Universität Linz

(lacht) Ja, ein bisschen macht schon seit Jahren Erlangen mit, auf sehr einfacher Basis (Fellner ist auch außerplanmäßiger Universitätsprofessor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Anm.d.Red.). Was wir jetzt im Herbst, spätestens nächstes Jahr, vorhaben: In Graz wird ein Beamer sein und die Studierenden haben 3D-Brillen und sehen mich und das, was ich hier in Linz mache, in Graz genauso. Und Prof. Niels Hammer, Chef der Anatomie Graz (Lehrstuhl für makroskopische und klinische Anatomie, Medizinische Universität Graz, Anm.d.Red.) bekommt dann eine sehr gute 3D-Kamera in seinen Seziersaal und dann machen wir wieder gemeinsam die Vorlesungen. Wir haben also wieder die Kombination Auffrischung der Präparate-Anatomie oder Vorbereitung der Präparate-Anatomie, die in Zukunft im vierten Semester ist, plus virtuelle Anatomie. Die Studierenden hier und in Graz sehen das Gleiche – wir zwei machen das für beide.

Gibt es auch Interesse von anderen Medizinuniversitäten?

Ja, vor ein paar Wochen waren Interessierte aus Bayern da. Im Juli kommen schon wieder Interessierte aus Bayern, aber andere. Da wird in den nächsten Jahren etwas entstehen – sie überlegen auch, ob sie sich vielleicht hier mit einklinken.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Franz Fellner ist Vorstand des Zentralen Radiologie-Instituts am Kepler Universitätsklinikum (KUK) und Dekan für Lehre an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz (JKU).

Impressionen von der Reise im & rund um den JKU medSPACE

Bevor die Fachjournalist/innen im JKU medSPACE Platz nahmen, gab es noch eine eindrucksvolle architektonische Führung durch den Med Campus mit Mag. Dr. Elgin Drda, Vizerektorin für Medizin in der JKU, und DI Pia Goldmann, Leitende Bauherrenvertretung, KUK GmbH/Land OÖ. Das „Asset“ des Campus für die Lehre und Forschung sei die große räumliche Nähe zwischen den Krankenhäusern und der Fakultät, betonte Drda. Das würden auch die Brücken zwischen den Häusern zum Ausdruck bringen. Das Architektenteam (rund um DI Peter Lorenz) arbeite vor allem mit Stahl, Holz und Sichtbeton, erklärte Goldmann. Außerdem habe jeder Raum, egal ob Hörsaal, Bibliothek oder Labor, eine Sichtverbindung nach draußen. Auch 17 Bäume wurden gepflanzt: 16 auf dem Dach und eine Steinolive im Foyer des Verwaltungsgebäudes, eines der vier Häuser rund um eine Piazza.

Der JKU medSPACE selber ist in Schwarz gehalten und erinnert schon beim Eingang an ein Kino, inklusive 3D-Brillen-Ausgabe. Diese einmal auf der Nase, fällt es einem leicht, in die Körperwelten von realen Patienten einzutauchen. Nach der Anatomie-„Vorlesung“ (Bild 1 & 2 in der Galerie oben) standen die schon mit Spannung erwarteten Live-OPs auf dem Programm – zwar in 2D, aber überlebensgroß, mit Blick durchs Endoskop, im Zoom auf den Patienten oder in der Totale bei der Vorstellung des OP-Teams. 

Bei der Herz-OP (Bild 3) rekonstruierte Univ.-Prof. Dr. Andreas F. Zierer, Vorstand der Universitätsklinik für Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie, eine hochgradig undichte Mitralklappe und machte dann die Probe aufs Exempel, ob das Segel hält – es hielt. Danach folgte die Zuschaltung zur Hirn-OP, wo Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber, Vorstand der Universitätsklinik für Neurochirurgie, langsam mit einem Clip ein kugeliges Aneurysma (Bild 4, unten re. von der Mitte) der Arteria cerebri media von der Durchblutung abgetrennt hat – mit Erfolg, es platzte nicht. Als Draufgabe zeigte Univ.-Prof. Dr. Matthias Bolz, Vorstand der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie, eine aufgezeichnete Katarakt-OP, nun wieder in 3D, und klärte anschaulich auf, was den Anwesenden ab einem gewissen Alter bevorsteht. Den beiden Patienten, die in die Live-Zuschaltung eingewilligt hatten, gehe es übrigens gut, hieß es wenige Tage später auf medonline-Nachfrage. Es sei alles nach Plan gelaufen.