IHS-Studie: Fast neun Prozent der Todesfälle wegen Hypercholesterinämie
Wir könnten uns viel „Leid und Kosten“ ersparen, fasst Dr. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) die Ergebnisse einer aktuellen Arbeit zur Hypercholesterinämie zusammen. Ohne Dyslipidämie gäbe es nicht nur fast neun Prozent weniger Todesfälle pro Jahr, sondern auch die Volkswirtschaft in Österreich würde sich mehr als eine Milliarde Euro an direkten und indirekten Kosten sparen. Selbst wenn nur Personen mit Höchstrisiko ihre LDL-Cholesterin-Werte um die Hälfte senken, käme es zu Einsparungen in Millionenhöhe. Was es bräuchte, wäre u.a. mehr „Zeit für Gespräche“, betont der Gesundheitsökonom. Denn das beste Rezept nützt nichts, wenn es nicht in der Apotheke abgeholt wird.
Die „schiere Masse“ an Personen mit Hypercholesterinämie sei schon relativ beeindruckend, spricht Dr. Thomas Czypionka von einer „spannenden Studie“, die er gemeinsam mit Mag. Miriam Reiss, BA, und Stephanie Reitzinger, Ph.D., am Institut für Höhere Studien, Wien, mit finanzieller Unterstützung von Novartis erstellt hatte. Zwar würden viele Studien aufzeigen, dass das Low Density Lipoprotein-Cholesterin (LDL-C) – landläufig als „böses“ Cholesterin bezeichnet – ein wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist: Weltweit gingen 7,7 Prozent aller Todesfälle auf zu hohe Cholesterinwerte zurück.
Verlust von knapp 4.000 Erwerbstätigen
Doch „cost-of-illness“-Studien, also Untersuchungen der Krankheitskosten, gebe es zu Hypercholesterinämie kaum. Das hat sich nun mit der am 23.06.2022 vorgestellten IHS-Studie, an der auch Priv.-Doz. Peter Willeit (Medizinische Universität Innsbruck) und Nikolaus Heimerl (IHS) mitgearbeitet haben, geändert. Die aufrüttelnden Resultate: Pro Jahr lassen sich 8,6 Prozent aller Todesfälle unter 90 Jahren sowie 28 Prozent aller kardiovaskulären Todesursachen unter 90 Jahren auf Hypercholesterinämie zurückführen. 1,6 Prozent der Pflegegeldneuzugänge und 4,6 Prozent der Invaliditätspensionsneuzugänge haben ihre Ursache in einem zu hohen Cholesterinspiegel. Den Berechnungen zufolge kommt es zu einem Verlust von 3.928 Vollzeitäquivalenten.
Das Studienteam errechnete daraus die direkten medizinischen und nicht-medizinischen, aber auch die indirekten Kosten für verschiedene Szenarien:
- Im Best-Case-Szenario („keine Hypercholesterinämie“, auch Personen mit niedrigem Risiko erreichen LDL-C-Zielwerte von 3 mmol/l bzw. 115 mg/dl) würde sich die Gesellschaft 1,166 Mrd. Euro an Gesamtkosten ersparen. Davon entfällt der Löwenanteil mit 835 Mio. auf direkte medizinische Kosten bzw. 2,35 Prozent der laufenden Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege). An zweiter Stelle folgen 303 Mio. Euro an indirekten Kosten. Die restlichen 28 Mio. Euro machen die direkten nicht-medizinischen Kosten aus.
- Wenn Personen mit Hoch- und Höchstrisiko LDL-C-Zielwerte von 1,8 bzw. 1,4 mmol/l (70 mg/dl bzw. 55 mg/dl) erreichen, würden die Einsparungen 914 Mio. Euro betragen. Auch eine Reduktion von LDL-C bei Personen mit Hoch- und Höchstrisiko um 50 Prozent würde 360 Mio. Euro bringen.
- Selbst im Szenario „kein Höchstrisiko“ (nur Personen mit Höchstrisiko erreichen LDL-C-Zielwerte von 1,4 mmol/l) würde sich die Volkswirtschaft 261 Mio. Euro sparen. Wenn die Höchstrisiko-Gruppe ihre LDL-C-Werte um die Hälfte reduzieren könnte, wären es immer noch 131 Mio. Euro an jährlicher Kostenersparnis.
Kostenkategorien: Zahlen eher „unterschätzt“
Die Ergebnisse der 90-seitigen Studie sind laut Czypionka eher eine „Unterschätzung“. Es seien nur „abgesicherte Zahlen“ in die Analyse geflossen. Bei den direkten medizinischen Kosten waren dies intra- und extramurale Diagnostik und Behandlung, Medikamente, Heilbehelfe und Hilfsmittel sowie Rehabilitation. Präventionskosten wurden nicht einberechnet. Bei den direkten nicht-medizinischen Kosten wie Krankengeld, Pflegeausgaben und Invaliditätspension ließ das Autorenteam privat bezahlte Leistungen und Güter außen vor und bei den indirekten Kosten wurden nur Krankenstände, Invalidität und vorzeitige Sterblichkeit berücksichtigt, nicht jedoch Kosten für Pflegefreistellungen und reduzierte Produktivität am Arbeitsplatz.
„Intangible“ Kosten wie psychische und physische Belastung von Betroffenen und Angehörigen seien ebenfalls nicht abgebildet worden, sagt Czypionka. Als Quellen für die Daten nennt das Studienteam u.a. die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), den Dachverband der Sozialversicherungsträger, das Sozialministerium sowie die Statistik Austria.
Zur Methode präzisiert Czypionka, dass die Studie nur rein die Effekte der Hypercholesterinämie unter die Lupe genommen hat. Weitere Effekte wie Rauchen etc. wurden herausgerechnet: Diese „Hypercholesterinämie-attributablen Anteile“ (aus Prävalenz und relativen Risiken) für die Krankheitsgruppen ischämische Herzkrankheiten, Schlaganfall und sonstige kardiovaskuläre Erkrankungen wurden auf einzelne Kostenkategorien und Todesfälle des Jahres 2019 angewendet.
Deutsche Daten zur Prävalenz der Dyslipidämie
Da in Österreich kaum Daten zur Epidemiologie von Hypercholesterinämie zur Verfügung stehen, griffen Czypionka, Reiss und Reitzinger auf Daten der Studie „Verbreitung von Fettstoffwechselstörungen bei Erwachsenen in Deutschland“ (Scheidt-Nave et al., 2013) zurück. Umgelegt auf Österreich dürfte es demnach knapp 340.000 Personen mit Höchstrisiko geben, davon 166.000 Frauen und 172.000 Männer.
Zusammen mit der Hochrisikogruppe wären das hierzulande 1,16 Mio. Menschen mit einem zu hohen Cholesterinspiegel, davon rund 576.000 Frauen und 588.000 Männer. Das Fazit von Czypionka: „Das sind erstaunlich viele Menschen, die betroffen sind.“ Die Studie zeige, dass man durch Prävention, Früherkennung und Therapie bzw. Verbesserung der Therapietreue „relativ viel an Leid und Kosten sparen könnte“. Das gelte auch für eine 50-prozentige Reduktion des LDL-C bei Personen mit hohem und/oder nur sehr hohem Risiko.
Aus ärztlicher Sicht plädiert Czypionka, der auch Mediziner ist, für mehr Bewusstsein: Ein zu hohes Cholesterin spüre man nicht, weswegen es einfache Scores brauche, mit denen sich das Risiko abschätzen lasse. Er schlägt auch strukturierte Vorsorgeprogramme vor, quasi ein „DMP light“ für Cholesterin – ähnlich dem Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“.
„DMP light“, Primärversorgung ausbauen, mehr Zeit zum Reden geben
Insgesamt wäre ein Ausbau der Primärversorgung notwendig, um den Spitalssektor zu entlasten. Dabei ist für Czypionka klar, dass es jedenfalls mehr Zeit brauche, um sich den Patienten „widmen“ zu können. Das fange z.B. bei (digitalen) Listen mit Personen aus Risikogruppen an, um sie gegebenenfalls für LDL-C-Kontrollen zu kontaktieren oder um nachzufragen, warum sie die verschriebenen Medikamente nicht aus der Apotheke abgeholt haben. Neben mehr „Zeit für Gespräche“ wäre auch einfaches Info-Material, das man den Patienten in die Hand geben könne, hilfreich.