Ö: Neuinfektionen steigen weiter; Europa: wie sich Covid-19 auf die Geburten- und Sterberate auswirkt
+++ Corona-Prognose: Weitere Steigerung bei den Neuinfektionen erwartet – Experten schätzen BA.2-Immunitätsrate aktuell auf 61 Prozent – EMA nimmt erste Liste kritischer Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19 an – Corona-Impfung: Abkommen über Patentverzicht laut WTO in Reichweite – FDA-Experten empfehlen Zulassung von Novavax – USA rechnen mit Impfung für Unter-Fünfjährige ab 21. Juni – Corona-Fälle in Brasilien nehmen wieder deutlich zu – Corona-Pandemie brachte Mini-Geburten-Plus und Lebenserwartungs-Minus in Europa – Verkehrsbeschränkung statt Quarantäne wird in Österreich Option +++
Corona-Prognose: Weitere Steigerung bei den Neuinfektionen erwartet
Bereits Ende Mai hat sich das Ansteigen der Corona-Neuinfektionen in Österreich abgezeichnet. Das bestätigt sich nun auch in der aktuellen Covid-Prognose. Das Konsortium erwartet für die kommende Woche eine weitere Zunahme der Fallzahlen. Die effektive Reproduktionszahl ist mit 1,05 wieder über 1, der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 steigt weiter und liegt derzeit bei 16 Prozent. Diese infektiösere Subvariante hat bereits eine Reproduktionszahl von 1,44.
Das Mittwoch-Update (8.6.) der Modellrechner von TU Wien, MedUni Wien und Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) rechnet für kommenden Mittwoch mit einer Sieben-Tage-Inzidenz im Bereich von 246 bis 405 Fällen je 100.000 Einwohner, als Mittelwert werden 307 Fälle angenommen. Die geringste Inzidenz wird in Steiermark (120–200) und die höchste Inzidenz in Wien (400–660) erwartet. Aktuell liegt die Inzidenz bei 220. Am 15. Juni rechnen die Experten mit einem Mittelwert von knapp 4.000 täglichen Neuinfektionen.
Laut den Experten wurde der neuerliche Anstieg aufgrund der zurückgehenden Immunität der österreichischen Bevölkerung – die BA.2-Immunitätsrate wird aktuell auf 61 Prozent geschätzt – zwar länger erwartet, die Geschwindigkeit der aktuellen Trendumkehr könne aber nicht allein dadurch erklärt werden. Im Detail stieg die effektive Reproduktionszahl in den vergangenen zehn Tagen gemäß AGES von 0,83 (25.5.) auf 1,05 (4.6.). Das heißt, 100 Infizierte stecken im Schnitt 105 Menschen mit dem Coronavirus an. Der Anstieg kann laut den Experten auf den Einfluss mehrere Faktoren zurückzuführen sein.
So nimmt eben der Anteil der Virusvarianten BA.4/5 weiter zu. Es kam jedoch auch in Bundesländern mit vergleichsweise niedriger BA.4/5-Prävalenz zu Anstiegen. Durch häufigere Veranstaltungen und vermehrte Reisetätigkeit um die Feiertage der vergangenen Wochen hat sich das Kontaktverhalten geändert, sprich, es finden wieder mehr Kontakte statt. Auch die Lockerungsschritte – das Aus der Maskenpflicht und Schultests – wirkt sich in diese Richtung aus. Die Wissenschafter betonten aber, dass keiner der genannten Erklärungsfaktoren für sich genommen als Ursache für diese Dynamik ausgemacht werden kann.
Der Wachstumsvorteil der BA.4/5-Varianten gegenüber den vorhergehenden Varianten wird augenblicklich auf rund 50 Prozent geschätzt. Der Varianten-spezifische Reff beträgt 1,44 (innerhalb von KW 20–22). Das heißt, dass 100 Infizierte 144 weitere Menschen anstecken. Im selben Zeitraum erhöhte sich die effektive Reproduktionszahl von BA.2 von ca. 0,86 auf 0,96, erläutern die Experten.
Die Steigerung wirkt sich auch auf die Spitäler aus: Nach den bisherigen Rückgängen rechnen die Experten wieder mit einer Zunahme an Covid-Patienten, auf Intensivstationen wird weiters mit einer Abnahme von Schwerkranken gerechnet. Die zwei Wochen vorausblickende Belagsprognose geht auf den Normalstationen von einer Zunahme von 479 Patienten am Dienstag (7.6.) auf 539 (Mittelwert) am 22. Juni aus. Auf den Intensivstationen dürfte sich die Zahl der von Infizierten belegten Betten in diesem Zeitraum von 42 auf im Mittelwert 39 verringern. In der Belagsprognose wird nicht unterschieden zwischen Personen, deren Hospitalisierung kausal auf Covid-19 zurückzuführen ist, und Personen, die ursprünglich aufgrund einer anderen Diagnose hospitalisiert wurden. (APA)
Experten schätzen BA.2-Immunitätsrate aktuell auf 61 Prozent
Gegen eine Infektion mit dem in Österreich dominanten Untertyp der Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Erregers namens BA.2 waren laut einer Modellrechnung des Teams um Simulationsforscher Niki Popper Anfang Juni geschätzte 61 Prozent der Bevölkerung immun. Jener Anteil, der mit Stand 1. Juni gegen diesen Subtyp geschützt war, sei in den vergangenen Wochen merklich geschrumpft, heißt es. Gegen ein "neuerliches Aufschwingen" der Infektionen reiche der Wert aber noch aus.
Das sei vor allem der Saisonalität zu verdanken, wie das Team auf der Website des Unternehmens dwh, einem Spin-off der Technischen Universität (TU) Wien, festhält. Bei wärmeren Temperaturen kommt es in der Regel zu insgesamt weniger Übertragungen mit Erregern aus der Gruppe der Coronaviren. Der Immunitätswert von momentan knapp über 60 Prozent drücke die effektive Reproduktionszahl, also die durchschnittliche Anzahl an Personen, die ein Infizierter ansteckt, momentan um rund 52 Prozent. In einer nicht durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen teilweise immunisierte Bevölkerung wäre demnach aktuell mit etwas mehr als doppelt so vielen Neuinfektionen zu rechnen.
Am meisten Österreicher waren nach der Schätzung der Wissenschafter in etwa Ende März gegen BA.2-Infektionen geschützt. Damals lag der Immunisierungsgrad bei knapp über 75 Prozent der Bevölkerung. Ungefähr ab Mitte März war demnach jenes Level erreicht, durch das die Infektionskurve gedreht wurde. In den mehr als zwei Monaten danach fiel das Immunitätslevel wieder stetig. Das betrifft laut den Forschern vor allem Personen, deren Schutz von Impfungen bzw. Impfungen und durchgemachte Infektionen herrührte.
Aktuell gehen die Forscher davon aus, dass etwas weniger als 15 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung ihren momentan bestehenden Schutz gegen die Omikron-Untervariante allein durch eine entweder nachgewiesene oder nicht detektierte Infektion aufgebaut haben. Rund 40 Prozent waren demnach Anfang Juni sowohl durch Impfung als auch durch eine durchgemachte Erkrankung immunisiert. Der Rest hat seinen Schutz rein von der Impfung. (APA)
Die Analysen online unter: http://www.dexhelpp.at/
EMA nimmt erste Liste kritischer Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19 an
Die Medicines Shortages Steering Group (MSSG) der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA hat am 7.6. eine Liste von kritischen Medikamenten für die Public-Health-Krise im Zusammenhang mit Covid-19 angenommen. Die in die Liste aufgenommenen Medikamente sind für Covid-19 zugelassen, und Angebot und Nachfrage derselben werden sorgfältig beobachtet, um potenzielle oder tatsächliche Engpässe zu identifizieren und zu managen.
Die publizierte Liste enthält alle in der EU zugelassenen Impfstoffe und Arzneimittel zur Vermeidung und Behandlung von Covid-19. Sie wird auf dem aktuellen Stand gehalten, um Veränderungen des Pandemiegeschehens widerzuspiegeln, die zu einem erhöhten Risiko von Engpässen bei bestimmten Medikamenten führen oder aus der Zulassung von neuen Medikamenten resultieren könnten. Die Liste ersetzt weder nationale Impf-Bestimmungen noch das klinische Management von Covid-19.
Zulassungsinhaber der in der Liste enthaltenen Medikamente müssen die EMA regelmäßig mit relevanten Informationen versorgen, wie Daten zu potenziellen oder tatsächlichen Engpässen und vorhandenen Beständen, Prognosen zu Angebot und Nachfrage. Außerdem werden die Mitgliedstaaten regelmäßige Berichte zum geschätzten Bedarf an kritischen Medikamenten auf nationaler Ebene liefern. Dies wird es der MSSG ermöglichen, der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten angemessene Aktionen auf EU-Ebene zu empfehlen und zu koordinieren, um potenzielle oder tatsächliche Engpässe bei kritischen Medikamenten zur Wahrung der öffentlichen Gesundheit zu verhindern oder zu mildern. Die EMA wird individuell mit Zulassungsinhabern und nationalen Behörden zusammenarbeiten, um sie über Zeitpläne, Prozesse und Tools zur Sammlung der benötigten Information aufzuklären, nachdem die Liste angenommen wurde.
Die MSSG wurde erst vor Kurzem durch eine EU-Verordnung geschaffen, die der EMA eine stärkere Rolle in der Krisenvorsorge und dem Management von Medikamenten und Medizinprodukten zuweist, um Engpässe zu beobachten und ein entschlossenes Vorgehen in Notsituationen der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen und dringende Aktionen zur Bereitstellung von Medikamenten in der EU zu koordinieren. Eine der Aufgaben der MSSG ist es, Listen von kritischen Medikamenten zusammenzustellen, die während einer Public-Health-Krise benötigt werden und die aufgrund von möglichen Engpässen aufmerksam beobachtet werden müssen. (Pressemitteilung der EMA vom 8.6.)
Corona-Impfung: Abkommen über Patentverzicht laut WTO in Reichweite
Ein internationales Abkommen über den Verzicht auf geistige Eigentumsrechte an Covid-19-Impfstoffen ist nach Angaben der Welthandelsorganisation WTO in Reichweite. Man habe sich diesem auf Rufweite angenähert, sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch, 8.6. "Es gibt einige schwierige Bereiche, mit denen wir uns beschäftigen, aber es gibt Bewegung", erklärte sie mit Blick auf die Gespräche.
"Ich denke, es ist immer noch möglich, dass wir das klären können." Jüngste Meinungsverschiedenheiten konzentrieren sich mit der Sache vertrauten Personen zufolge auf den Umfang der Ausnahmeregelung und Chinas Einwände gegen einige Formulierungen.
Ärzte ohne Grenzen (MSF) äußerte sich kritisch zu dem sich abzeichnenden Kompromiss. "Wir wollen nicht, dass die WTO eine Entscheidung trifft, die in die falsche Richtung geht und einen negativen Präzedenzfall schafft", warnte MSF-Rechtsexpertin Yuanqiong Hu in einer Aussendung am Mittwoch. Die Regierungen sollten stattdessen zum ursprünglichen Vorschlag von Indien und Südafrika für einen "Trips-Waiver" zurückkehren. Dieser sieht vor, dass während der Pandemie die Patente für Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika ausgesetzt werden sollen.
Die alle zwei Jahre stattfindende WTO-Konferenz wurde wegen der Corona-Pandemie zweimal verschoben und soll nach fast fünf Jahren Pause vom 12. bis 15. Juni in Genf stattfinden. Wenige Tage vor Beginn des Treffens ist aber noch keines der Abkommen in den drei großen Verhandlungsbereichen Landwirtschaft, Fischereisubventionen und geistige Eigentumsrechte für Impfstoffe für die Absegnung durch die Minister fertiggestellt, wie aus Handelskreisen verlautet. Okonjo-Iweala sprach von einer "hektischen" Atmosphäre in Genf, in der die Unterhändler bis spät in die Nacht und an den Wochenenden arbeiteten, um die noch bestehenden Differenzen zu lösen.
Okonjo-Iweala, eine ehemalige nigerianische Ministerin und Vorstandschefin der Impfstoffallianz Gavi, hat seit ihrer Ernennung vor mehr als einem Jahr einer Einigung über eine Ausnahmeregelung für geistige Eigentumsrechte an Covid-19-Impfstoffen Priorität eingeräumt. Die Debatte kam auf, nachdem die USA im vergangenen Frühjahr angekündigt hatten, dass sie einen vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte in Bezug auf Impfstoffe und medizinische Produkte gegen Corona unterstützen würden.
Viele Länder und Nicht-Regierungsorganisationen hatten kritisiert, dass die Hersteller von Corona-Impfstoffen ihre Patente nicht freigeben, um einen weltweit besseren Zugang zu den Vakzinen zu erreichen. Die Impfstoff-Hersteller setzen dagegen auf einen Transfer ihrer Technologien und Partnerschaften. (APA/Reuters)
FDA-Experten empfehlen Zulassung von Novavax
Ein Expertengremium der US-Arzneimittelbehörde FDA hat den Corona-Impfstoff Novavax empfohlen. 21 Experten stimmten am Dienstag für die Empfehlung, es gab eine Enthaltung und keine Gegenstimme, obwohl die Behörde in einer Vorabanalyse noch einen "Anlass zur Sorge" wegen eines möglichen Risikos einer Herzmuskelentzündung gesehen hatte. Nach dem Votum der Experten wird erwartet, dass die FDA in Kürze eine Notfallzulassung für Novavax erteilt.
Nach der Zulassung von Novavax durch die FDA müsste noch die Gesundheitsbehörde CDC Leitlinien zum Einsatz des Impfstoffs erlassen. In den USA sind bisher drei Impfstoffe zugelassen: Die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sowie der Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson. Die Verwendung von Letzterem wurde zuletzt allerdings eingeschränkt, weil er mit einer schweren Form der Gerinnselbildung in Verbindung gebracht wurde.
Die FDA hatte vergangene Woche eine Analyse zu den Daten der klinischen Versuche mit dem Novavax-Impfstoff veröffentlicht. Demnach waren bei Versuchspersonen, die den Impfstoff erhielten, sechs Fälle von Herzmuskelentzündung aufgetreten. Bei der Gruppe, die nur ein Placebo erhielt, war es nur ein Fall. Insgesamt nahmen 40.000 Menschen an den Studien teil. Der Impfstoff-Hersteller wies allerdings einen kausalen Zusammenhang zwischen den Fällen und seinem Produkt zurück.
Während Novavax in den USA noch nicht zugelassen ist, verwenden andere Märkte wie die EU, Großbritannien und Kanada den Impfstoff schon seit Monaten. Mit dem proteinbasierten Impfstoff ist die Hoffnung verbunden, dass sich Menschen zu einer Impfung durchringen, die Vorbehalte gegen die bisher vorherrschenden mRNA-Vakzine haben. Der Andrang blieb aber auch in Österreich sehr bescheiden.
Der Impfstoff hat jedoch noch weitere Vorteile: Anders als beispielsweise der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer lässt sich das Novavax-Vakzin bei Kühlschranktemperatur lagern. Das erleichtert die Logistik und macht das Mittel auch für ärmere Länder interessant. (APA/AFP/Reuters)
USA rechnen mit Impfung für Unter-Fünfjährige ab 21. Juni
Die US-Regierung rechnet mit ersten Impfungen gegen das Coronavirus für Kinder im Alter unter fünf Jahren ab dem 21. Juni. Voraussetzung seien die erwartete Genehmigung der Arzneimittelbehörde FDA und eine entsprechende Empfehlung der Gesundheitsbehörde CDC, sagte der Coronavirus-Koordinator des Weißen Hauses, Ashish Jha, am Donnerstag, 2.6., im Weißen Haus.
Danach werde es noch einige Zeit dauern, bis das Programm anlaufe und die Impfstoffe in größerem Umfang zur Verfügung stünden. "Wir gehen davon aus, dass innerhalb weniger Wochen alle Eltern, die ihr Kind impfen lassen wollen, einen Termin bekommen können."
Jha sagte, der zuständige FDA-Ausschuss werde die von den Herstellern Pfizer/Biontech und Moderna vorgelegten Daten für ihre Impfstoffe, die für Kinder ab sechs Monaten zum Einsatz kommen sollen, am 14. und 15. Juni prüfen. Kurz danach werde eine Entscheidung erwartet. Danach werde die CDC ihre Empfehlung abgeben. Derzeit ist der Pfizer-Impfstoff gegen das Coronavirus in den Vereinigten Staaten für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassen. (APA/dpa)
Corona-Fälle in Brasilien nehmen wieder deutlich zu
Die Zahl der Covid-19-Fälle in Brasilien ist in den vergangenen Wochen wieder deutlich angestiegen. Das brasilianische Gesundheitsministerium berichtete für Donnerstag, 2.6., 41.273 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Zwei Wochen zuvor hatte die Zahl noch bei 10.415 gelegen. Epidemiologen sprechen angesichts des bevorstehenden Winters auf der Südhalbkugel bereits vom Beginn einer vierten Welle.
"Dieser Anstieg lässt sich durch das Ende des Tragens von Masken in geschlossenen Räumen, den Beginn der kalten Jahreszeit, das Auftreten von Omikron-Untervarianten und die geringe Akzeptanz von Auffrischungsimpfungen erklären", sagte die Epidemiologin an der Universität Espíritu Santo, Ethel Maciel.
Die Zahl der Todesfälle lag am Donnerstag mit 127 nur leicht über den Vorwochen. Die Regierung des Bundesstaates Sao Paulo empfahl jedoch erneut die Verwendung von Masken in geschlossenen Räumen, da sich die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Covid-Patienten im Mai mehr als verdoppelt hatte.
Seit dem ersten Corona-Ausbruch im März 2020 hat die Pandemie in Brasilien fast 667.000 Todesopfer gefordert, die weltweit schlimmste Bilanz nach den USA. (APA/AFP)
Corona-Pandemie brachte Mini-Geburten-Plus und Lebenserwartungs-Minus in Europa
Wie unterschiedlich sich die Covid-19-Pandemie in Sterbe- und Geburtenraten europäischer Länder niedergeschlagen hat, analysierte ein Team um Wiener Demographen. In Österreich starben laut der Auswertung im Vergleich mit dem Jahr 2019 um zwölf (2020) bzw. zehn Prozent (2021) mehr Menschen – ein deutlich niedrigeres Plus als in vielen Staaten Ost- und Südosteuropas. Die Lebenserwartung sank hierzulande leicht. Ein leichtes Plus brachte die Pandemie aber bei den Geburten.
"Keinen großen Effekt" habe man europaweit bei den Geburten feststellen können, erklärte Tomáš Sobotka vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am Dienstag, 7.6., vor Journalisten. Schon zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wurde munter über einen "Corona-Babyboom" spekuliert. Die tatsächliche Entwicklung ging aber in die gegenteilige Richtung, zeigen die Forscher um Sobotka, Zuzanna Brzozowska und Kryštof Zeman in ihrem zusammen mit Kollegen vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und Universität Wien erstellten "European Demographic Datasheet" (https://www.populationeurope.org/en) – zumindest am Beginn der Pandemie.
Trotzdem habe sich auf dem Gebiet vieles getan: So zeigte sich ab dem Ende des ersten Pandemie-Jahres, neun Monate zeitversetzt zu den ersten Lockdowns, in den meisten Staaten nahezu überall ein Geburtenrückgang. In Österreich verzeichnete man im Dezember 2020 ein Minus von fünf Prozent gegenüber der Geburtenzahl des gleichen Monats im Jahr 2019. Zum Vergleich: Im EU-Schnitt lag das Minus bei acht Prozent, in Spanien schlug der erste Lockdown am stärksten durch (21 Prozent weniger Geburten im Jahresvergleich Ende 2020).
Die naheliegendste Erklärung dafür ist für Sobotka die "Unsicherheit" in der ersten Pandemiephase vor allem dort, wo sie relativ viele Opfer forderte und Staaten mit rigiden Eindämmungsmaßnahmen reagierten. Das Minus drehte sich aber im Frühjahr 2021 in ein leichtes Geburten-Plus im EU-Durchschnitt. Schon im Februar 2021 verzeichnete Österreich etwas höhere Geburtenzahlen im Vergleich zum Februar 2020. Hier dürften erste Signale in Richtung "die Pandemie ist vorbei" im ersten Corona-Sommer und die Einsicht gewirkt haben, dass der Arbeitsmarkt sich nicht in Auflösung befinde, erklärten Brzozowska und Sobotka.
In der Folge gab es hierzulande auch einen relativ starken Geburtenanstieg im Herbst 2021. In den Winter-Lockdowns davor scheinen dann einige Paare ihre Familienpläne wieder umgesetzt zu haben. So sah man Ende 2021 in Österreich zum Beispiel viele Zweit- und Drittgeburten.
Anders die Entwicklung im Norden Europas: Hier sehe man kaum einen Einbruch der Geburtenraten in Folge der ersten Pandemie-Phase und danach ein vielfach markantes und beständiges Plus. Hier könnte die Pandemie weiten Teilen der Gesellschaft "vielleicht weniger Stress gebracht haben" als in unseren Breiten, meinte Sobotka.
Sehr große Unterschiede brachte Covid-19 bei den Sterberaten und dementsprechend bei der Entwicklung der Lebenserwartung. Im Kosovo lagen die Todeszahlen in den Jahren 2020 und 2021 um 36 Prozent über dem Wert von 2019. Ähnlich dramatisch fiel das Plus in Albanien (34%), Russland und Bulgarien (jeweils 28%) oder Nordmazedonien (26%) aus. Diese Werte seien die höchsten seit dem Zweiten Weltkrieg und international vergleichbar mit dem Todesfall-Plus, das etwa in Teilen Afrikas in den 1990er-Jahren durch AIDS verursacht wurde, so die Demographen.
Auch die hierzulande verzeichnete Übersterblichkeit habe man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr registriert. Sie fiel aber in den westlichen Ländern Europas fast durchwegs deutlich niedriger aus als in vielen südlichen und östlichen Ländern. Dort ließen schlechtes Pandemiemanagement, ein mitunter laxes Einhalten von Maßnahmen und niedrige Durchimpfungsraten die Lebenserwartung signifikant absinken. Das verschärfte das schon vor der Pandemie bestehende Auseinanderdriften der erwartbaren Lebenszeit in Europa.
So verkürzte sich seit Pandemiebeginn die Lebenserwartung russischer Frauen im Schnitt um 3,7 Jahre. Die durchschnittliche Spanierin (Lebenserwartung: 85,9 Jahre) könne mittlerweile mit elf Lebensjahren mehr rechnen als Frauen in Russland (74,4 Jahre). Um satte 17 Jahre kürzer ist die Lebenserwartung bei russischen Männern (65,5 Jahre) im Vergleich zu Schweizern (82,3 Jahre). Deutliche Verluste in der Lebenserwartung verzeichneten u.a. auch Tschechien oder Ungarn (in etwa minus zwei Jahre).
In Deutschland lag der Verlust bei knapp unter einem halben Jahr und damit etwas niedriger als hierzulande. Die Lebenserwartung in Österreich lag bei Frauen im Jahr 2020 bei 83,6 und bei Männern bei 78,9 Jahren. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 sank sie um 0,6 (Frauen) bzw. 0,8 Jahre (Männer). Mit Ausnahme von Schweden, das vor allem am Pandemie-Beginn eine ähnliche Übersterblichkeit wie mitteleuropäische Staaten verzeichnete, veränderte Covid-19 in vielen nordischen Ländern hingegen kaum etwas an der Lebenserwartung, so die Experten. (APA)
Verkehrsbeschränkung statt Quarantäne wird in Österreich Option
Die Corona-Quarantäne könnte bald der Vergangenheit angehören. Denn im Epidemiegesetz wird ein Passus eingefügt, der es dem Gesundheitsminister ermöglicht, alternativ allgemeine Verkehrsbeschränkungen einzuführen. Die Omikron-Variante habe gezeigt, dass bei vorwiegend milden Krankheitsverläufen auch Verkehrsbeschränkungen ein taugliches Mittel sein können, um die Verbreitung einzudämmen, heißt es in den Erläuterungen zu der Novelle.
Auch bei künftigen Virusvarianten, die mit Omikron vergleichbare Eigenschaften aufweisen, könnten Absonderungen entbehrlich sein und bloße Verkehrsbeschränkungen ausreichen. Die vorgesehene Verordnungsermächtigung erlaube in diesem Fall eine schnelle Anpassung an die Eigenschaften der vorherrschenden Virusvariante.
Konkret heißt es im Gesetz, der Gesundheitsminister könne durch Verordnung festlegen, "dass kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden". Dies gilt freilich nur, wenn nach der Art der Krankheit keine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht.
Auch was solche Verkehrsbeschränkungen sein könnten, wird angeführt. Als Auflagen kämen insbesondere in Betracht: das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr, die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung und Abstandsregeln. Auch das Verbot des Betretens von Arbeitsorten oder des Benutzens von Verkehrsmitteln sowie der Teilnahme an Zusammenkünften sind angeführt.
SP-Gesundheitssprecher Philip Kucher ärgert sich vor allem über die Vorgangsweise der Koalition. Auch heute lege das Gesundheitsministeriums wieder umfangreiche Änderungen im Epidemiegesetz vor, die nicht in Begutachtung gewesen seien. Die Änderungen enthielten weitreichende Verordnungsermächtigungen und auch datenschutzrechtlich relevante Bestimmungen: "Das ist dieser Regierung egal, es wird einfach durchgepeitscht."
Übles ahnt der freiheitliche Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Er hat den Verdacht, dass über den Abänderungsantrag die Regierung eine indirekte Impfpflicht mittels der Verkehrsbeschränkungen umsetzen wolle. (APA)