“Ist ein Arzt an Bord?”
Endlich auf dem Weg in den Urlaub und für ein paar Tage mal keine Patienten sehen. Doch schon im Flugzeug wartet der nächste Kranke. Was tun?
Vor der Coronapandemie haben Airlines weltweit mehrere Milliarden Passagiere pro Jahr registriert. Da kommt es schon einmal vor, dass einer von ihnen eine medizinische Versorgung benötigt. Vor der Frage, ob ein Arzt an Bord ist, muss man sich aber nicht fürchten, versicherte Dr. Stefan Pump, niedergelassener Allgemein-, Arbeits- und Flugmediziner aus Nienstädt in Niedersachsen.
Schwerwiegend ist nur jeder zehnte Zwischenfall
Genaue Daten darüber, wie oft es zu medizinischen Notfällen auf Flügen kommt, gibt es nicht. Den vorhandenen Publikationen zufolge sind aber nur 10 % schwerwiegend. In einem Review gingen 32,7 % der Zwischenfälle auf (Beinahe-)Synkopen zurück, 14,8 % auf gastrointestinale, 10,1 % auf respiratorische und 7,0 % auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Nach einer älteren Auswertung endeten lediglich 0,3 % der Notfälle tödlich, davon über 90 % nach erfolgloser Reanimation wegen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes.
Die zu behandelnde Krankheit ist also oft nicht außergewöhnlich, die Situation aber wohl auf jeden Fall. Wie verhält man sich richtig? Zunächst einmal das Wichtigste: sich bei den Flugbegleitern melden, betonte Pump. Bevor man dann Hand anlegt, sollte eine persönliche Vorstellung nicht fehlen. Bei Verständigungsproblemen kann ggf. ein Übersetzer helfen.
Die Patienten sollten vor der Behandlung immer informiert werden, was der Plan ist, und ihr Einverständnis dazu geben. Eine Untersuchung im Sitzen lässt sich am besten auf einem Gangplatz durchführen. Je nachdem, wie aufgeregt die Sitznachbarn sind, kann es manchmal aber sinnvoll sein, den Patienten mit in die Bordküche zu nehmen. Dort kann er auch eine liegende Position einnehmen – durch den Vorhang geschützt vor neugierigen Augen. Sitzplätze am Fenster und Behandlungen liegend im Gang lassen hingegen nicht genügend Raum für die Mediziner, so Pump.
Gängige Medikamente der Notfallausstattung
- Antihistaminikum (Tabletten und Ampullen)
- Acetylsalicylsäure (Tabletten)
- Atropin (Ampullen)
- Bronchodilatator (inhalativ)
- Lidocain (Ampullen)
- Nicht-Opioid-Analgetikum (Tabletten)
- 50 % Glukose (Ampullen)
- Adrenalin (1:1.000- und 1:10.000-Ampullen)
- Diphenhydramin (Ampullen)
- Glycerintrinitrat (Tabletten)
In der Regel gibt es ein gut ausgerüstetes Notfallset
An Bord gibt es eine relativ umfangreiche Notfallausstattung, berichtete der Experte. Diese variiert von Airline zu Airline, orientiert sich allerdings in den meisten Fällen an einer von den USA festgelegten Packliste. Diese schreibt u.a. einen automatischen externen Defibrillator, ein Blutdruckmessgerät, Orotrachealtuben, Beatmungsbeutel mit Reservoir, Atem-Nothilfen, ein Infusionsset sowie Nadeln und Spritzen vor. Außerdem gibt es noch ein breites Spektrum an Medikamenten (s. Kasten).
Immer häufiger steht Telemedizin via Tablets zur Verfügung, um z.B. EKGs aufzuzeichnen und mithilfe eines Arztes am Boden auszuwerten.Außerdem wird das Flugzeugpersonal nach einer Einschätzung fragen, ob eine weitere Behandlung oder ein Rettungsdienst am Zielort nötig sind. Bei besonders kritischen Fällen kann man eine Ausweichlandung in Betracht ziehen, um den Patienten schneller weiter versorgen zu können. Dann wird der Pilot abwägen, ob eine solche Landung auf einem nahegelegenen Flughafen möglich und die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, um dem Betroffenen tatsächlich zeitnah umfassende Hilfe zukommen zu lassen. Zu den häufigsten Gründen für eine vorzeitige Landung gehören Fälle, bei denen eine Reanimation nötig wurde, gynäkologische Fälle (oft Geburten) und zerebraler Insult. Einer Studie zufolge endeten in den USA zwischen 2002 und 2017 8–13 % der Flüge mit einem Notfall an Bord mit einer Ausweichlandung. Zum Schluss unabdingbar: die Dokumentation des Vorgehens mithilfe eines Notfallprotokolls.
Was ist, wenn etwas schiefgeht? Seit 1963 gilt das Flaggenprinzip bei allen rechtlichen Fragen, d.h. an Bord gelten die Gesetze des Landes, in dem das Flugzeug registriert ist. In US-amerikanischen Flugzeugen schützt das „Good Samaritan Law“ vor Klagen, solange der Arzt keine Rechnung an den Patienten schreibt. Bei allen europäischen Airlines ist man während der Behandlung an Bord über die Fluggesellschaft mitversichert. Außerdem geben diese den Namen des Arztes in der Regel nicht heraus, um ihn vor Klagen zu schützen. Ausnahmen bilden natürlich grobe Fahrlässigkeit oder vorsätzliche Schädigung.
Insgesamt ist also ein medizinischer Zwischenfall in der Luft nicht so großartig anders als am Boden. Vielleicht ein wenig beengter als in der eigenen Praxis. Aber auf jeden Fall kein Grund, sich panisch zu verstecken.
23. Forum Reisen und Gesundheit