14. Apr. 202224. Innsbrucker Kardiologie Kongress

Medizin aus der Ferne

Dank der digitalen Revolution ist es heute möglich, die Wohnung des Patienten zum virtuellen Klinikzimmer zu machen. Mit der Telecovid-Studie demonstrierten Münchner Mediziner während der Pandemie, dass dieser Ansatz auch in der Praxis funktioniert.

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Online-Ärztin. Hand, die Smartphone hält. Cartoon-Illustration im flachen Stil des Vektors.
iStock/Lyudinka

Die letzte Coronawelle zeigte, dass Krankenhäuser durch hohe Infektionszahlen auch dann, wenn Intensivstationen nicht überlastet sind, an ihre Belastungsgrenze gelangen können. Eine Möglichkeit, die große Zahl von hospitalisierten COVID-19- Patienten zu reduzieren, ist der Einsatz von Telemedizin. Ein Beispiel für erfolgreiches Telemonitoring von Risikopatienten in Heimisolation ist die Telecovid-Studie des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. Leiter der Studie war der Kardiologe Prof. Georg Schmidt, einer der Pioniere der digitalen Medizin in Deutschland.

Die Planung der Studie begann in der ersten Pandemiewelle im März 2020. „Damals war aus den ersten chinesischen und italienischen Publikationen schon bekannt, dass spezifische Befundkonstellationen mit einem schweren Verlauf assoziiert waren“, berichtet Schmidt. So hatte man etwa in Bergamo gesehen, dass die Prognose der Patienten stark mit dem Zustand bei der Einweisung korrelierte. „Wenn jemand bei Einweisung schon invasiv beatmungspflichtig war, hatte er ganz schlechte Überlebenschancen.“ Beobachtet wurde auch, dass der Übergang in die kritische Phase oft innerhalb von wenigen Stunden passiert und von vielen Patienten zunächst nicht wirklich wahrgenommen wird. Um zu gewährleisten, dass Erkrankte rechtzeitig stationär aufgenommen werden, setzten die bayrischen Kardiologen auf eine engmaschige Fernüberwachung. Dazu galt es nicht nur, geeignete Soft- und Hardware zu finden, ein Überwachungsteam zu rekrutieren und zu trainieren, sondern auch Datenschutzbedenken auszuräumen.

Ablauf der Studie

Die Patienten wurden zu Hause mit einem Ohrsensor versehen, der die kontinuierliche Messung von Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung, Atem- und Herzfrequenz ermöglichte. Die Messungen erfolgten alle 15 Minuten und dauerten jeweils drei Minuten. Diese Daten wurden über einen kleinen Computer per Telefon zu einem Server und dann zu einem Dashboard in der Klinik weitergeleitet. Hier wurden alle eingehenden Informationen rund um die Uhr sofort von einem Team aus über 30 Medizinstudenten kontrolliert. „Die alleinige Übertragung berechneter Daten reicht natürlich nicht aus“, so Schmidt. „Alle Daten müssen anhand der Rohsignale durch ein trainiertes Klinikpersonal auf Plausibilität überprüft werden.“

Aus den Messdaten wurden Punkte generiert, die in eine modifizierte Version des National Early Warning Scores, eines etablierten Scores aus der Intensivmedizin zur Einschätzung der Dringlichkeit und Intensität medizinischer Maßnahmen, einflossen. Auf dem Dashboard im Studienzentrum wurden die einzelnen Patienten mit ihren wichtigsten Parametern als Kacheln dargestellt und auch farblich den Risikoklassen eins bis sechs zugeordnet. Detaillierte Kurvenverläufe konnten durch ein Anklicken der Kacheln aufgerufen werden. Außerdem wurde mindestens einmal pro Tag eine Telefonvisite durchgeführt, bei kritischeren Verläufen auch mehrmals.

Hinter dem Studententeam stand ein Team aus Ärzten, das auf der Grundlage der übermittelten Daten in Absprache mit den Patienten darüber entschied, ob eine stationäre Einweisung erforderlich oder anzuraten war. „Die Expertise des klinischen Personals ist in so einem Setting unverzichtbar!“, betont Schmidt.

Ergebnisse

Insgesamt wurden zwischen April 2020 und April 2021 im Rahmen der Studie 155 Patienten mit einem positiven SARS-CoV-2-PCR-Test überwacht. Einschlusskriterium war ein Alter ≥60 Jahre oder das Vorliegen anderer Risikofaktoren (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrankheiten, Immundefizite, Diabetes mellitus, Übergewicht, arterielle Hypertonie oder aktive Malignome). Auch drei schwangere Frauen wurden in die Studie aufgenommen. Die durchschnittliche Überwachungszeit lag bei neun Tagen.

133 Patienten wurden durchgehend in häuslicher Isolation betreut. Ein schöner Erfolg der Studie war, dass von den zwanzig Patienten, die in die Klinik eingewiesen werden mussten, keiner bei der Aufnahme intensivpflichtig war. Allerdings wurden sieben Betroffene im Verlauf ihres Klinkaufenthaltes intensivpflichtig, vier mussten auch invasiv beatmet werden. Ein Patient entwickelte ein Pneumomediastinum, eine sehr seltene Komplikation einer COVID-19-Pneumonie, und verstarb nach vierwöchiger Beatmung.

„Die Betreuung COVID-positiver Risikopatienten in häuslicher Isolation per Telemedizin ist machbar!“, so das Fazit des Experten. Eine Hochskalierung (landesweite Ausbreitung des Konzepts) sei möglich. „Man braucht dazu auch keine neue Infrastruktur, sondern findet mit Bluetooth in der Wohnung, Telefonnetz und Internet in der Klinik das Auslangen.“ Denkbar sind natürlich auch Anwendungen in einem anderen Kontext.

„Medizin aus der Ferne – Wie die digitale Revolution die Medizin beeinflussen könnte?“, 24. Innsbrucker Kardiologie Kongress, 5.3.22

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum innere