9. März 2022Kongress

Was gibt es Neues in der Tabakleitlinie?

Die im Vorjahr veröffentlichte überarbeitete Version der Tabakleitlinie beinhaltet unter anderem eine Herabstufung für das systematische Screening und ein Upgrade für Arzneimittel zur Entzugsbehandlung. Die Rolle der E-Zigarette bei der Tabakentwöhnung ist nach wie vor umstritten.

Zwei Pfeile bilden einen
iStock/Dmitrii_Guzhanin

Für die Überarbeitung der S3-Leitlinie "Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung" haben Delegierte aus 50 beteiligten Fachgesellschaften in elf Arbeitsgruppen insgesamt 224 systematische Reviews und randomisiert kontrollierte Studien ausgewertet. Das Ergebnis ist laut Prof. Dr. Anil Batra, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen, die derzeit weltweit aktuellste Behandlungsleitlinie zu diesem Thema. Hier ein Überblick über die wichtigsten Änderungen gegenüber der Tabakleitlinie 2014.

Screening und Diagnostik

Geändert wurde die Empfehlung zum systematischen Screening. In der ersten Auflage der Tabakleitlinie hieß es noch sehr allgemein „Jeder Raucher soll jederzeit zum Rauchen befragt werden“. Diese zu umfassende und im Alltag nicht umsetzbare Forderung wurde an die reale Situation des Hausarztes angepasst. Die Formulierung lautet nun: „Alle Patientinnen und Patienten sollen beim ersten (für eine umfassende Anamnese geeigneten) Kontakt sowie in regelmäßigen Abständen im Behandlungsverlauf nach ihrem Konsum von Tabak oder E-Zigaretten oder verwandten Produkten gefragt werden.“

Zur weiterführenden Diagnostik wird weiterhin der Fagerström Test für Zigarettenabhängigkeit (FTZA) empfohlen, mit dessen Hilfe die Stärke der Zigarettenabhängigkeit eingeschätzt werden kann.

Alternativ kann bei geringeren zeitlichen Ressourcen auch der aus nur zwei Fragen bestehende Heaviness of Smoking Index (HSI) verwendet werden.

Motivationsbehandlung und Kurzinterventionen

Starke Empfehlungen (Empfehlungsgrad A: „soll angeboten werden“) gibt es für die Kurzberatung, die telefonische Beratung und mobile Selbsthilfeprogramme.

Kurzberatung: 5 A oder ABC

1. Abfragen des RauchstatusA. Ask (Abfragen und Dokumentation des Rauchstatus)
2. Anraten des RauchverzichtsB. Brief advice (individuelle und motivierende Empfehlung zum Rauchstopp)
3. Ansprechen der AufhörmotivationC. Cessation support (qualifizierte Unterstützung beim Aufhörwunsch oder Weiterleitung an ein anerkanntes Entwöhnungsangebot)
4. Assistieren beim Rauchverzicht
5. Arrangieren von Folgekontakten

Etwas zurückhaltender wird in der neuen Leitlinie das Motivational Interviewing beurteilt: „Zur Erreichung des Ziels, eine Motivation zum Rauchstopp aufzubauen, galt früher die motivierende Gesprächsführung als das Nonplusultra. Nun haben wir festgestellt, dass die Evidenzlage dafür gar nicht so groß ist“, erläutert Batra die geänderte Bewertung. „Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass diese Technik zu breit eingesetzt wird. Menschen, die bereits motiviert sind, benötigen keine motivierende Gesprächsführung mehr, sondern eher Handlungsempfehlungen.“ Die neue Empfehlung lautet daher: „Rauchern, die eine geringe Änderungsbereitschaft haben, sollte ein motivierendes Gespräch angeboten werden (Empfehlungsgrad B).“ Auch für internetbasierte Selbsthilfeprogramme und schriftliche Selbsthilfematerialien gibt es eine B-Empfehlung.

Psychotherapeutische Behandlung

Für die psychotherapeutische Behandlung werden in erster Linie verhaltenstherapeutische Einzel- und Gruppenbehandlungen empfohlen. Die Wirksamkeit verhaltenstherapeutisch fundierter Interventionen ist durch hochwertige RCTs sowie Metaanalysen auf Niveau der Cochrane-Systematic Reviews belegt. Erstmals wird auch etwas genauer auf einzelne verhaltenstherapeutische Techniken eingegangen. Die Hypnosetherapie wird in der Leitlinie ebenfalls erwähnt und kann angeboten werden (Empfehlungsgrad 0; es gibt zwar mittlerweile mehr Studien, die Datenlage zur Wirksamkeit ist aber inkonsistent). Neu dazugekommen sind die achtsamkeitsbasierten Methoden: „Auch hier gibt es eine ‚Kann‘-Empfehlung“, so Batra. „Welche Rolle diese Methoden in der Zukunft spielen werden, ist abzuwarten. Noch ist die Evidenzlage nicht wirklich überzeugend.“

Nikotinersatztherapie

Für die Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie bei der Tabakentwöhnung ist die Evidenz so eindeutig, dass eine Cochrane-Analyse 2018 zu dem bemerkenswerten Schluss kam, dass nicht anzunehmen ist, dass künftige Forschungsergebnisse die Aussage noch ändern werden. Niktotinkaugummi, -inhaler, -lutschtabletten, -nasalspray, -mundspray oder –pflaster sollen daher angeboten werden. Neu ist, dass die Dosis des Nikotinersatzpräparats in Abhängigkeit vom Bedarf des Rauchers gewählt werden soll (also keine starre Vorgabe mehr). Bei unzureichender Wirksamkeit der Monotherapie wird eine 2-fach-Kombination von Pflaster und Kaugummi, Lutschtablette, Spray oder Inhaler empfohlen.

Andere Medikamente zur Entzugsbehandlung

Bupropion, dessen Anwendung in der alten Tabakleitlinie nur mit Einschränkungen empfohlen wurde („unter Abwägung von Risiken und Nebenwirkungen…, wenn die Nikotinersatztherapie versagt hat…“), hat nun ein Upgrade zu einer A-Empfehlung erhalten und ist damit gleichrangig zur Nikotinersatztherapie. Gleiches gilt für den partiellen Nikotinrezeptoragonisten Vareniclin, bei dem die Evidenzlage sogar noch etwas besser ist. Als Medikation der zweiten Wahl kann auch Cytisin vorgeschlagen werden (schwacher Forschungsstand, in Studien aber zum Teil deutliche Hinweise auf eine Wirksamkeit).

Rückfallprophylaxe und Kombinationsbehandlung

Ist eine Verlängerung der Pharmakotherapie zur Rückfallprophylaxe sinnvoll? Zu diesem Thema gibt es zwar methodisch hochwertige Studien und ein systematisches Review, die Ergebnisse sind aber widersprüchlich. Entsprechend zurückhaltend ist die Empfehlung: „Wird eine Fortsetzung der laufenden medikamentösen Behandlung zur Rückfallprophylaxe erwogen, können Nikotinersatz, Vareniclin oder Bupropion angeboten werden (Empfehlungsgrad 0).“

Klar befürwortet wird hingegen die Kombinationsbehandlung von Medikamenten mit einem verhaltenstherapeutischen Tabakentwöhnungsprogramm. „Die Medikation dient nur der Überbrückung der Entzugssymptome“, erklärt Batra. „Die Umstellung des Verhaltens und das Verlernen der Suchterkrankung gelingen erst mithilfe einer psychotherapeutisch orientierten Beratung bzw. Einzel- oder Gruppenbehandlung.“

Keine Empfehlung für…

Keine Empfehlung gibt es für die Akupunktur, weil es keine Belege für die Wirksamkeit gibt. Auch zu Aversionstherapien gibt es ein klares Statement: Sie sollten wegen potenzieller Risiken nicht angeboten werden. Für die Transkranielle Magnetstimulation und Gleichstromstimulation gibt es aufgrund der unzureichenden oder widersprüchlichen Datenlage ebenfalls keine Empfehlung.

E-Zigarette und Tabakerhitzer

Der wohl umstrittenste Teil der Leitlinie ist das Kapitel zur E-Zigarette. Bei der „Harm Reduction“ ist die Empfehlung noch relativ klar: E-Zigaretten sollten nicht zur Reduktion des Zigarettenkonsums angeboten werden, da die Risiken kritisch eingeschätzt werden. Die große Sorge ist der duale Konsum, dass also Raucher nicht ganz auf die Elektronische Zigarette umstellen, sondern E-Zigaretten und Zigaretten kombinieren. Hier gibt es Hinweise, dass dadurch das Risiko für Raucher sogar erhöht wird. Ähnlich kritisch werden die Nebenwirkungen bei der Verwendung von Tabakerhitzern eingeschätzt.

Bei ihrem Urteil über die E-Zigarette zum Rauchstopp hat sich die Leitliniengruppe gewunden. Der Kompromiss zwischen Suchtmedizinern, die eher den Vorteil von E-Zigaretten betonen, und Pneumologen, die vor allem die Gefahren sehen, lautet nun: „Die Befundlage hinsichtlich Wirkung und Risiken der E-Zigarette in der Tabakentwöhnung ist uneinheitlich, mit Hinweisen auf ein Entwöhnungspotential und auf langfristige Risiken dieser neuen Produkte.“ Hier ist das letzte Wort also noch nicht gesprochen. „Auch durch die kurz nach der Veröffentlichung der Tabakleitlinie erschienene Cochrane-Analyse konnten die Gegenargumente der Pneumologen nicht ausgeräumt werden“, kommentiert Batra den gegenwärtigen Stand der Debatte.

Quelle: Batra, A.: „Was gibt es Neues in der Tabakleitlinie?“ 21. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin, München, 3. Juli 2021

Weiterführende Studienlage

In unterschiedlichen Studien ist belegt, dass

  • der vollständige Wechsel vom Zigarettenrauchen auf E-Zigarettenkonsum zu einer deutlichen Absenkung der Exposition mit den Hautschadstoffen des Tabakrauchs führt und wahrscheinlich mit verringerten Gesundheitsrisiken einhergeht. (DKFZ 2020, NASEM 2018, Shields et al. 2017)
  • bei einem Umstieg von herkömmlichen Zigaretten auf Tabakerhitzer könnte nach Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung aufgrund der deutlich reduzierten Schadstofffreisetzung eine Verminderung der gesundheitlichen Risiken zu erwarten sei, sofern auf den Konsum anderer Tabakprodukte gänzlich verzichtet wird. (Mallock et al. 2019, Pieper at al. 2019

Zu gesundheitlichen Auswirkungen eines Wechsels liegen bislang nur wenige Studien vor. Diese zeigen eine Verbesserung von Lungenfunktion, Krankheitssymptomen, Asthmakontrolle und endothelialer Funktion. (George et al 2019; NASEM 2018; Polosa et al 2016a); selbst bei Patienten mit Asthma oder COPD verringerte der Wechsel zu E-Zigaretten die Anzahl der Exazerbationen und verbesserte die Krankheitssymptome (Polosa et al. 2016b)

Auf Basis der bisherigen Studienlage kann aber bereits davon ausgegangen werden, dass E-Zigaretten zwar nicht ohne Risiken sind, aber die langfristigen Auswirkungen des E-Zigarettenkonsums sehr wahrscheinlich deutlich geringer sind als die des Tabakrauchens. (NASEM 2018)