Erst Wutanfall, dann Schlaganfall?
Auf Dauer erhöht starker physischer und emotionaler Stress das Risiko für einen Schlaganfall. Doch kann beides auch der unmittelbare Auslöser für das gefürchtete Ereignis sein?
Anhaltspunkte dafür, dass seelischer oder körperlicher Stress Schlaganfälle triggern kann, finden sich in der INTERSTROKE-Studie. In dieser wurden die Daten von 13.462 Menschen, die zum ersten Mal einen Schlaganfall erlitten hatten, ausgewertet. Hierfür wurden die Teilnehmer gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, in dem man sie fragte, ob sie innerhalb der letzten Stunde vor dem Schlaganfall oder am Vortag „wütend oder aufgebracht“ gewesen waren oder „schwere körperliche Anstrengungen“ unternommen hatten.
Mehr Hirnblutungen nach körperlicher Anstrengung
Die Patienten wurden nach Altersgruppen und traditionellen Risikofaktoren stratifiziert. Darüber hinaus stelle man die Auslöser in den Kontext individueller Voraussetzungen. So wurde körperliche Anstrengung nach dem Ausgangsniveau der körperlichen Aktivität stratifiziert und Wut beziehungsweise emotionale Aufregung nach vorbestehenden psychosozialen Faktoren wie zum Beispiel Depression und chronischem Stress.
Insgesamt gaben 9,2% der Teilnehmer an, kurz vor dem Ereignis Wut oder emotionale Aufregung verspürt zu haben. 5,3% berichteten von starker körperlicher Anstrengung. Die Analyse ergab, dass negative Emotionen mit einem höheren Risiko für alle Schlaganfälle (Odds Ratio, OR, 1,37) sowie für ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle (OR 1,22 und 2,05) assoziiert waren. Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall nach einem emotionalen Auslöser zu erleiden, war bei Patienten ohne vorangegangene Depression und solchen mit niedrigerem Bildungsstatus größer.
Körperliche Anstrengung konnte zwar mit einem höheren Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle (OR 1,62), nicht jedoch für alle bzw. nur ischämische Schlaganfälle in Verbindung gebracht werden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall nach starker körperlicher Anstrengung zu erleiden, war bei Frauen am größten und bei Patienten mit normalem BMI am geringsten.
Unklar, ob es einen kausalen Zusammenhang gibt
Die Ergebnisse waren unabhängig von Wohnort, vorangegangenen kardiovaskulären Erkrankungen, Risikofaktoren, kardiovaskulärer Medikation und dem Zeitpunkt des Auftretens der Symptome, erklären die Wissenschaftler um Dr. Andrew Smyth vom Population Health Research Institute der McMaster University, Hamilton Health Sciences. Die Effekte von emotionalem Stress und körperlicher Belastung addierten sich nicht.
Aus den Ergebnissen lässt sich keine eindeutige Kausalität ableiten, betonen die Autoren. Es scheine jedoch plausibel, dass ein erhöhter Sympathikustonus und eine erhöhte Katecholaminausschüttung aufgrund von Gefäßverengungen oder Arrhythmien bei einer aufgebrachten Gefühlslage zur Entstehung eines Schlaganfalls beitragen. Bei starker körperlicher Anstrengung kann ein akuter Blutdruckanstieg das Risiko einer Hirnblutung erhöhen.
Smyth A et al. Eur Heart J 2022; 43: 202–209; doi: 10.1093/eurheartj/ehab738