2. März 2022Leitlinie Kompakt

Reizdarmsyndrom: Diagnose und Therapie

Die aktualisierte S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten fasst den gegenwärtigen Wissensstand zu Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms zusammen.1 Es werden neue Empfehlungen zur Rolle der Ernährung und zu symptomorientierten Medikamenten in der Behandlung ausgesprochen.

Beim Reizdarmsyndrom empfiehlt sich eine multimodale Therapie.
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Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine heterogene Erkrankung bezüglich der Ausprägung der Symptome, des klinischen Verlaufs und der Beeinträchtigung im Alltag. Charakteristisch sind immer wieder auftretende Bauchschmerzen und Blähungen, ohne dass eine eindeutige organische Ursache auszumachen ist. Der Stuhlgang kann im Sinne einer Obstipation oder Diarrhoe verändert sein. Ein RDS liegt vor, wenn drei Punkte erfüllt sind:1

  1. Es bestehen länger als drei Monate anhaltende oder rezidivierende Beschwerden (z.B. abdominelle Schmerzen, Blähungen), die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und meist mit Stuhlgangsveränderungen (z.B. bezüglich Frequenz, Konsistenz) einhergehen.
  2. Der Patient sucht deswegen Hilfe bzw. sorgt sich; die Lebensqualität ist relevant beeinträchtigt.
  3. Die Symptome sind wahrscheinlich nicht durch andere Krankheitsbilder erklärbar.

RDS ist die gemeinsame klinische Endstrecke verschiedener pathophysiologischer Prozesse und kann mit zellulären, molekularen oder genetischen Veränderungen auf allen Ebenen der Darm-Hirnachse assoziiert sein. Die Ursachen für die Entstehung eines RDS sind nicht vollständig geklärt; als mögliche Auslöser sind jedoch vorangegangene Antibiotikatherapien, welche zu einem veränderten Darm-Mikrobiom führen können, sowie intestinale Entzündungen bekannt.

Akute und chronische psychische Faktoren können an der Entstehung und Aufrechterhaltung des Beschwerdebilds beteiligt sein. Somatische Belastungsstörungen sowie Angststörungen und Depression werden häufig als Komorbiditäten eines RDS beobachtet.

Im Folgenden wird ein Überblick über Diagnostik und Therapie des RDS auf Grundlage der Leitlinie gegeben,1 wobei auf einige der Neuerungen besonders eingegangen wird.

Update der Leitlinie zum RDS: Was ist neu?

  • Eine RDS-Diagnose ist erst nach Ausschluss wichtiger Differenzialdiagnosen zu stellen.
  • Empfehlungen zur allgemeinen RDS-Therapie:
    • Low-FODMAP-Diät und ausgewählte Probiotika (erweiterte Empfehlungen)
    • Pfefferminzöl bei RDS-bedingten Schmerzen und Blähungen neu empfohlen
  • Empfehlungen zur medikamentösen Therapie von RDS-Symptomen:
    • 5HT3-Antagonisten bei Diarrhoe in der Zweitlinie empfohlen
    • Neue Erwähnung von Colesevelam und Eluxadolin bei Diarrhoe
    • Bei Obstipation: stärkere Empfehlung für Makrogol; neue positive Empfehlung für Linaclotid
    • Rifaximin bei therapierefraktärer nicht-obstipierter RDS neu empfohlen

Diagnostik

Das RDS wird durch gezielte Ausschlussdiagnostik festgestellt: Schwerwiegende Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik – etwa Kolorektal- oder Ovarialkarzinom, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, und Nahrungsmittelintoleranzen wie Zöliakie – müssen ausgeschlossen werden. Hierzu dient in erster Linie die empfohlene Basisdiagnostik. Gegebenenfalls schließen sich weiterführende Untersuchungen an, wie Ileokoloskopie und Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (zum Ausschluss von Krankheiten des Dünndarms und Kolons), sowie bei entsprechendem klinischen Verdacht Funktionstests und bildgebende Verfahren.

Basisdiagnostik zur Abklärung einer klinischen RDS-Symptomatik

  • Detaillierte Anamnese (inkl. Fragen nach „Alarmsymptomen“)
  • Körperliche (inkl. rektaler) Untersuchung
  • Basislabor, inkl. Zöliakie-Antikörper und Stuhluntersuchungen auf intestinale Entzündungsmarker (Calprotectin u.a.) und Erreger (Lamblien u.a.).
  • Abdomen-Sonographie
  • Gynäkologische Vorstellung

Besteht Diarrhoe als wesentliches Symptom, soll grundsätzlich eine umfassende diagnostische Abklärung einschließlich Stuhldiagnostik auf pathogene Keime sowie endoskopischer und funktionsdiagnostischer Untersuchungen durchgeführt werden.

Hinweisen auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ist mit einschlägigen Methoden nachzugehen (z.B. Ernährungs-Symptom-Tagebuch, probatorische Eliminationsdiät der identifizierten Trigger, Provokationstests, IgE-Tests bei Allergien). Sonstige individuelle Trigger und externe Faktoren, die die Symptome verstärken (z. B. Medikamente, psychologische Stressoren) sollten identifiziert werden (z.B. mittels Symptomtagebüchern).

Weil es beim Reizdarmsyndrom oft zu übertriebener und irreführender Diagnostik kommt, erwähnt die Leitlinie auch einige Verfahren, die mangels wissenschaftlicher Fundierung derzeit nicht empfohlen werden können. Dazu gehören Tests zum Nachweis von Biomarkern als positive Diagnosekriterien des RDS, IgG-Tests zur Diagnose von Nahrungsmittelintoleranzen sowie kommerziell erhältliche Stuhltests zur Analyse des Darmmikrobioms.

Allgemeine Therapieverfahren

Prinzipien. Aufgrund der Heterogenität des RDS gibt es keine Standardtherapie. Jede Behandlung hat somit zunächst probatorischen Charakter. Oft ist eine Kombination verschiedener Ansätze sinnvoll: Allgemeine, symptomunabhängige Maßnahmen werden mit spezifischen, symptomorientierten Therapien kombiniert.

Ernährung. Es können keine einheitlichen Ernährungsempfehlungen für alle RDS-Patienten gegeben werden. Es gibt aber zahlreiche individuelle Ratschläge, die sich an den jeweiligen Symptomen orientieren. Längerfristige Eliminationsdiäten sollten nur bei gesichertem Nachweis individueller Nahrungsmittelunverträglichkeiten versucht werden.

Bei Erwachsenen mit überwiegend obstipativen Beschwerden sollten Ballaststoffe zur Behandlung eingesetzt werden – insbesondere lösliche Ballaststoffe, wie Flohsamen(-schalen). Auch bei RDS vom Diarrhoe-Typ kann eine Therapie mit löslichen Ballaststoffen eingesetzt werden.

Bei Bauchschmerzen, Blähungen und Diarrhoe als dominante Symptome des RDS sollte eine Low-FODMAP-Diät versucht werden. Das Update der Leitlinie erweitert die Empfehlungen hierzu deutlich. FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) sind kurzkettige Kohlenhydrate, die im Dünndarm schlecht absorbiert werden (darunter z.B. Fruktose, Laktose und Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit). Sie werden im Dickdarm rasch fermentiert, so dass Bauchschmerzen, Blähungen und ein weicher, voluminöser Stuhl entstehen. Eine FODMAP-arme Ernährung eliminiert eine Reihe von Nahrungsmitteln, die in einer Diät zur Vermeidung von besonders gasbildenden Nahrungsmitteln noch enthalten sind. Hier sollte eine Ernährungsberatung erfolgen, um unnötige, zu starke Einschränkungen und eine Mangelernährung zu vermeiden. Bei Reizdarmpatienten mit einer Obstipation kann eine Low-FODMAP-Diät auch empfohlen werden, in diesem Fall unter Supplementierung von wasserlöslichen Ballaststoffen.

Ablauf einer low-FODMAP-Diät

  1. Elimination: Für 6–8 Wochen FODMAP-reiche Lebensmittel komplett vermeiden.
  2. Toleranzfindung: Nach Besserung der Symptome, ausgewählte FODMAP-reiche Nahrungsmittel langsam wieder in die Ernährung einbeziehen, um die individuelle Verträglichkeit unterschiedlicher fermentierbarer Kohlenhydrate zu testen.
  3. Langzeiternährung mit angepasster Diät

Eine Reihe von klinischen Studien haben eine Verbesserung der RDS-Symptome unter einer Restriktion von FODMAPs nachgewiesen. Ein rezentes Beispiel ist eine randomisierte Studie mit 60 RDS-Patienten (überwiegend mit Blähungen) in der 60 Prozent der Teilnehmer aus der Low-FODMAP-Gruppe den Endpunkt, definiert als Abnahme der abdominellen Beschwerden um ≥30 Prozent binnen vier Wochen, erreichten; in einer Kontrollgruppe war dies nur bei 28 Prozent der Fall.2

Verschiedenste Nahrungsergänzungsmittel werden bei Verdauungsbeschwerden oder das RDS angeboten. Eine klinische Studienlage zur Beurteilung möglicher therapeutischer Effekte gibt es jedoch nicht (Ausnahme: Probiotika).

Probiotika. Ausgewählte Probiotika sollten in der Behandlung des RDS eingesetzt werden.1 Unter Probiotika sind nach offizieller Definition vitale Mikroorganismen zu verstehen; der Begriff wird aber auch für eine uneinheitliche Gruppe von Produkten verwendet, die unterschiedliche devitalisierte Zubereitungen enthalten.

Die Leitlinie zeigt eine exemplarische Auswahl probiotischer Stämme, die in randomisierten, kontrollierten Studien bei RDS-Patienten positiv getestet wurden, darunter zwölf Bakterienstämme (Bifidobacterium, Lactobacillus und Escherichia coli), eine Hefe, sowie Multispezies-Produkte. Weiters wird darauf hingewiesen, dass diverse Probiotika auch in kommerziell erhältlichen Joghurt-Zubereitungen enthalten sind.

Eine Fülle von Einzelstudien und systematischen Übersichten zeigen trotz methodologischer und qualitativer Heterogenität, dass Probiotika die relevanten Symptome des RDS (u.a. Schmerzen, Blähungen, Stuhlfrequenz und -konsistenz) signifikant reduzieren und die Lebensqualität der Studienteilnehmer verbessern können. Es scheint, dass Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Bakterienstämmen und den Einzel- und Kombinationstherapien bestehen. Vergleichende Studien fehlen jedoch. Empfehlungen für einzelne Produkte können daher derzeit nicht gegeben werden. Ein Ansprechen auf ein Präparat kann im Einzelfall nicht vorausgesagt werden. Daher ist jeder Behandlungsversuch mit Probiotika zunächst probatorisch und nur nach überzeugender Linderung der Beschwerden fortzuführen.

Symptomorientierte medikamentöse Therapie bei RDS

Wirkstoff
Empfehlung
Bemerkung
Symptomatik: Diarrhoe
Loperamid
empfohlen
Colestyramin
empfohlen
Colesevelam
offen (neu)
Eluxadolin
empfohlen (neu)
in therapierefraktären Fällen
5-HT3- Antagonisten
empfohlen
in therapierefraktären Fällen
Racecadotril
keine
fehlende Evidenz
Symptomatik: Obstipation
Laxantien vom Macrogoltyp
stark empfohlen
Neu: stärkere Empfehlung
Andere Laxantien*
empfohlen
je nach individueller Verträglichkeit
Prucaloprid
empfohlen
wenn konventionelle Laxantien nicht wirken
Linaclotid
empfohlen (neu)
bei Laxantien- refraktärer Obstipation, vor allem bei begleitenden Bauchschmerzen/Blähungen
Lubiproston
empfohlen
off-label
Symptomatik: Bauchschmerzen
Spasmolytika**
stark empfohlen
Amitriptylin
empfohlen
nicht bei Obstipation
5-HT3- Antagonisten
empfohlen
in therapierefraktären Fällen
Antidepressiva (SSRI); Duloxetin
offen
bei psychischer Komorbidität
ASS, Paracetamol, NSAR, Metamizol, Opioide, Pregabalin
keine
* z.B. Bisacodyl, Natriumpicosulfat
** z.B. Butylscopolamin, Mebeverin, Iberogast, Pfefferminzöl

Rifaximin. Bei therapierefraktärer RDS kann man eine bakterielle Fehlbesiedlung des Darms als Ursache des RDS in Erwägung ziehen. Sofern keine Obstipation vorliegt, wird die Behandlung mit dem hauptsächlich lokal im Darm wirksamen Breitband-Antibiotikum Rifaximin (off-label) jetzt von der Leitlinie aufgrund neuer Daten erstmals empfohlen.

Psychotherapie. Die Leitlinie nennt als Indikationen für Psychotherapie bei RDS unter anderem eine relevante Beeinträchtigung der Lebensqualität, chronische Erkrankung trotz Behandlung und psychische Komorbidität. Als psychotherapeutische Verfahren werden kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, Bauch-gerichtete Hypnose sowie Mischformen empfohlen, eventuell in Kombination mit Psychopharmaka.

Komplementäre Therapien. Pfefferminzöl hat sich in Studien als wirksam zur Behandlung vor allem von Schmerz und Blähungen bei RDS erwiesen3 und soll gemäß der Leitlinie als Ergänzungstherapie erwogen werden; es ist auch zur Selbstmedikation geeignet. Mehrere weitere phytotherapeutische Präparate lindern RDS-Symptome und sollten individuell ins Behandlungskonzept integriert werden.

Nicht empfohlene Therapieformen. Keine Empfehlung wird von der Leitlinie für Präbiotika, Stuhltransplantation, Pankreasenzyme und Antihistaminika ausgesprochen. Eine Therapie mit Mesalazin und eine Darmlavage sollte bei RDS nicht erfolgen.

Symptomorientierte medikamentöse Therapie

Die Tabelle auf Seite XX gibt einen Überblick über zielgerichtete Behandlungsoptionen der verschiedenen Symptome des RDS, die in Österreich verfügbar sind.

Die einzige spezifisch für Blähungen im Handel befindliche Therapie sind Entschäumer (Simeticon, Dimeticon), für die die Wirksamkeit nicht sicher belegt ist. Substanzen zur Behandlung des RDS mit Obstipation, insbesondere Linaclotid, haben hingegen auch eine Wirksamkeit auf das Symptom „Blähungen“ zeigen können.

Die 5-HT3-Antagonisten werden trotz guter Wirksamkeit bei Diarrhoe und Bauchschmerz nur bei therapierefraktären Einzelfällen empfohlen, unter anderem, weil sie aufgrund des Wirkmechanismus zu einer Obstipation führen können. Von den in Österreich verfügbaren 5-HT3-Antagonisten ist lediglich Ondansetron in einer Studie bei RDS mit Diarrhoe untersucht worden, wo es sich als wirksam erwiesen hat;4 eine Zulassung für diese Indikation besteht jedoch nicht.

  1. Layer P et al.: Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom. AWMF-Reg.-Nr.: 021/016. Z Gastroenterol 2021; 59: 1323–1415
  2. Patcharatrakul T et al., Nutrients 2019; 11:2856
  3. Alammar N et al., BMC Complement Altern Med 2019; 19:21
  4. Garsed K et al., Gut 2014; 63:1617–25
Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum innere