Beinprothese für Bartgeier Mia von Spitzenchirurg Oskar
Der Fuß hatte sich beim Nestbau in Schafwolle verheddert, das führte zur Ischämie und Nekrose aller Zehen am distalen Tarsometatarsus. Aber das einjährige Bartgeierweibchen hatte Glück im Unglück.
Mia, so der Name des niederösterreichischen Vogels, bekam eine bionische Beinprothese vom renommierten Extremitäten-Chirurgen Univ.-Prof. Dr. Oskar C. Aszmann – weltweit das erste osseointegrierte Implantant bei einem Geier. Die Vetmeduni Vienna hatte den Spitzenchirurgen der MedUni Wien, an der erst im Vorjahr weltweit die erste voll integrierte bionische Armprothese entwickelt wurde, zurate gezogen. Die Operation gelang, die Reha auch, Mia übte fleißig. Heute kann der schöne Vogel wieder landen und gehen.
Konventionelle Prothesenschäfte können bei gefiederten Gliedmaßen und der extremen Belastung „im täglichen Gebrauch“ bisher nicht verwendet werden, rollen die Medizinische Universität Wien und die Veterinärmedizinische Universität Wien am 11.06.2021 in einer gemeinsamen Aussendung den ungewöhnlichen Fall „Mia“ auf, der es ins renommierte Journal Scientific Reports schaffte.* Das Bartgeierweibchen aus der Eulen- und Greifvogelstation in Haringsee (Leiter: Dr. vet.med. Hans Frey) in Niederösterreich, Bezirk Gänserndorf, hatte sich den rechten Fuß so schwer verletzt, dass dieser amputiert werden musste.
„Füße sind für einen Geier jedoch lebenswichtige Instrumente, nicht nur im Landeanflug oder zum Gehen, sondern auch beim Halten der Nahrung muss der Fuß unterschiedlichen Belastungen standhalten“, erklärt Sarah Hochgeschurz von der Vetmeduni. Bartgeier sind die europaweit größten flugtüchtigen Vögel überhaupt und erreichen eine Spannweite von bis zu 2,6 Metern. Daher wandte sich die Forscherin mit Mia an das Team von Univ.-Prof. Dr. Oskar C. Aszmann an der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, das bei der Bionischen Extremitätenrekonstruktion seit Jahren als weltweit führend gilt und immer wieder Schlagzeilen macht mit Bionik nach Plexus-brachialis-Abrissen wie hier berichtet oder hier: Die Kabel neu verlegen.
Bionische Prothese ermöglicht „natürliche“ Verwendung des Geierbeines
Nach einer „klinischen Visite“ in Haringsee war Aszmann (li. im Bild) klar, dass der seltene Vogel in der aktuellen Situation nicht lange überleben würde: „Wir konzipierten und fertigten ein eigenes Knochenimplantat an, welches bei der OP am Stumpf eingesetzt wird.“ Es handelt sich um die neue Technik „Osseointegration“, die von der Arbeitsgruppe Aszmann vor Kurzem erstmals in Österreich bei einem Patienten nach Armverlust angewendet wurde.
Bei einem Vogel war die Technik, bei der externe Prothesenteile direkt mit einem Knochenanker zur soliden Skelettbefestigung verbunden werden, zuvor noch nie „gewagt“ worden. „Dieses Konzept bietet ein hohes Maß an Verkörperung, da die Osseoperzeption ein direktes intuitives Feedback liefert, das eine natürliche Verwendung der Extremität beim Gehen und Füttern ermöglicht“, erläutert der Chirurg, „nun ist uns erstmals eine derartige bionische Rekonstruktion einer Extremität eines Geiers gelungen.“
Nach drei Wochen die ersten Gehversuche
Das Team führte die Operation gemeinsam mit Dr. Rickard Brånemark vom Center for Osseointegration Research (San Francisco) am Zentrum für Biomedizinische Forschung an der MedUni Wien (Leiter: Univ.-Prof. Dr. Bruno Podesser) erfolgreich durch. Dann ging’s an die Rehabilitation und prothetische Versorgung – wieder zurück in Haringsee. „Schon nach drei Wochen erfolgten die ersten Gehversuche und nach sechs Wochen die vollständige Belastung“, sagt Aszmann, der vor allem durch seine bahnbrechenden Arbeiten zu bionischen Händen weltweite Bekanntheit erlangte. Heute könne der Bartgeier wieder mit zwei Füßen und als erster „bionischer Vogel“ landen und gehen (Details zu Mia mit spektakulären Bildern zur OP und Reha siehe Publikation*).
Der erste Mensch mit bionischer Prothese
Der erste Mensch, der 2011 weltweit erstmalig eine bionische Prothese bekam, war Patrick Mayrhofer. 2008 geriet der junge Elektriker beim Arbeiten in den Stromkreis, durch schwerste Verletzungen vor allem an der linken Hand wurde diese funktionslos. Er entschied sich, die Hand amputieren und einige Wochen später durch die neuartige Prothese an der MedUni Wien ersetzen zu lassen.
*Hochgeschurz, S., Bergmeister, K.D., Brånemark, R. et al. Avian extremity reconstruction via osseointegrated leg-prosthesis for intuitive embodiment. Sci Rep 11, 12360 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-90048-2