„Long Covid“ bei Kindern – gibt es das?
Die bereits vor Weihnachten das erste Mal von der ÖGKJ angekündigte Studie zu Corona und auch Long Covid bei Kindern startet in den nächsten Wochen: Gemeinsam mit der MedUni Graz und der AGES will die Kinderärzte-Fachgesellschaft per Online-Befragung von 5.000 Kindern und Jugendlichen u.a. Folgendes herausfinden: Gibt es „Long Covid“ bei Kindern? Währenddessen häufen sich international die Berichte zu Long Covid und/oder Folgeschäden bei Kindern (siehe auch unser Corona Virus Alert) – und auch in Österreich wollen betroffene Eltern und Kinder nicht länger schweigen und gehen an die Öffentlichkeit.
„Mein Hirn hat so weh getan“, erzählt ein Fünfjähriger von seiner SARS-CoV-2-Infektion. Er hatte zwar nur drei Tage Symptome, das aber ordentlich: Fieber, starke Kopfschmerzen. Seine Schwester, 13, war sogar 18 Tage krank: Ihr ganzer Körper habe sich „total schwer und schlapp“ angefühlt, berichtet die Mutter, die im medizinischen Bereich tätig ist. Sie hatte sich aufgrund der exklusiven Berichterstattung im Rahmen einer Recherche-Kooperation mit dem Journalisten Sebastian Reinfeldt an die Redaktion gewandt und sich entschlossen, das Schweigen zu brechen: „Für mich ist es einfach unglaublich, dass man da wegschaut.“
Ihre Tochter habe sich in der Schule angesteckt, berichtet die Mutter, es begann ein Marathon, bei dem sie der Hausarzt sehr unterstützt habe (siehe Kasuistik, Kasten 1). Am stärksten erinnert sich die 13-Jährige an ihre „Müdigkeit“, sie habe oft bis 15 Uhr geschlafen und die restlichen Stunden dahingedöst. Irritierend für den Teenager auch der völlige Geruchs- und Geschmacksverlust. Die ersten Spaziergänge nach der Erkrankung – die ersten Wochen danach war sie sehr müde und ihre Beine hatten sich sehr schwer angefühlt – seien alles andere als ein Vergnügen gewesen: „Bergauf zu gehen, war unmöglich.“
Mittlerweile kann die Tochter wieder aufatmen, doch beim Sohn heißt es plötzlich wieder Bangen: Seit Kurzem treten belastungsabhängige Thoraxschmerzen auf. Verdachtsdiagnose: Long Covid – Ultraschall und Labor sollen Aufschluss geben.
Geschmacksstörungen persistierend
Der Redaktion sind weitere Fälle bekannt, u.a. eine 16-Jährige: „Ich war noch nie so krank in meinen Leben.“ Nun sei sie wieder fit – auch der Geruchssinn sei wieder da, allerdings habe sie auch nach dreieinhalb Monaten noch leichte Geschmacksstörungen.
Ob diese und andere Betroffene im Rahmen einer mehrmals angekündigten Studie (siehe Kasten 2) zu ihren Erfahrungen befragt werden, ist eher unwahrscheinlich. Inkludiert würden 5.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0–18 Jahren, informiert Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Volker Strenger, Leiter AG Infektiologie in der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), auf Nachfrage. Mit Stand Ende Jänner hatten sich offiziell jedoch schon 25.000 in der Altersgruppe 5-14 mit SARS-CoV-2 infiziert, in der Altersgruppe 15-24 waren es mehr als 60.000.
Betroffene könnten sich auch nicht von sich aus für die Studie melden: „An der Studie ‚darf‘ nur die Stichprobe teilnehmen, da sonst die Daten verzerrt wären“, sagt Strenger. Bei seiner nächsten Abfrage der Kinder- und Jugendabteilungen werde er aber auch Long Covid abfragen, allerdings sei das ein Problem der Definition. Das heiße, es werde eventuell keine verlässlichen, konkreten Zahlen geben, aber zumindest eine Größenordnung.
Kriterien der repräsentativen Stichprobe
Die „repräsentative Stichprobe“ werde ausschließlich nach Daten gezogen werden, die im EMS ersichtlich sind: Alter, Geschlecht, Bundesland, städtischer/ländlicher Raum sowie Zeitpunkt der Infektion (1. oder 2. „Welle“). Ethnizität (höhere Prävalenz von MIS-C in bestimmtem Populationen sind in der Literatur beschrieben, Anm.) sei für die Stichprobe kein Kriterium, aus folgenden Gründen: „Bei 0,2 Prozent Hyperinflammationsfällen – zirka 50 von 25.000, wie zuletzt erhoben – erwarten wir in der Stichprobe zirka 2–10, je nach Rücklauf in der Stichprobe“, informiert Strenger auf Nachfrage, „daraus Risikofaktoren abzuleiten wäre höchst unseriös.“
Daten zur Ethnizität seien weder im EMS noch im Melderegister noch in sonst in einer öffentlichen Datenbank verfügbar, daher könne die Stichprobe danach nicht ausgewählt werden. Außerdem müsste diese repräsentativ für die Gesamt-Kohorte der Infizierten sein und nicht danach, wie viele Afro-Amerikaner/Latinos mit PIMS aus den USA gemeldet werden.
Bei PIMS-TS meist Intensivstation
Ein wichtiger Punkt: „Die von uns erhobenen Fälle von Hyperinflammationssyndrom sind nicht alle mit PIMS-TS gleichzusetzen. Für PIMS-TS bedarf es definitionsgemäß die Beteiligung von mindestens zwei Organsystemen wie z.B. Herz, Lunge, Niere, Leber, Gefäße, etc.“, erläutert Strenger. Damit sei man dann meist auf einer Intensivstation, „unsere Hyperinflammationsfälle haben diese Kriterien oft nicht erfüllt. Dafür reichen Fieber und hohe Entzündungsmarker im Blut – auch ohne jegliche, fassbare Organbeteiligung“.
Wie exklusiv berichtet, hat die ÖGKJ zuletzt 360 hospitalisierte Kinder und Jugendliche erhoben. Bei 51 Kindern unter 14a wurde ein SARS-CoV-2-assoziiertes Hyperinflammationssyndrom (PIMS-TS, MIS-C) diagnostiziert. In Medienberichten* gehen Kinderärzte aus Kärnten und Wien jedoch von mehr als 100 MIS-C-Fällen in Österreich aus. Eine Anfrage an die KABEG (Landeskrankenhäuser in Kärnten) zu den bisherigen Zahlen und den aktuellen Fällen sowie zu Long Covid blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Situation in Wiener Gemeindespitälern
Zuletzt war im AGES-Dashboard in Wien auch ein Todesfall in der Altersgruppe 5-14 – der erste österreichweit – zu verzeichnen. Dabei handelte es sich nicht um MIS-C, sondern „um einen Todesfall eines an COVID-19 erkrankten Jugendlichen“, heißt es auf Anfrage, „ein sehr trauriger Fall“ (mehr Details wurden bekanntgegeben, die Redaktion nimmt jedoch von einer Veröffentlichung Abstand).
Derzeit (Stand 26.02.2021) sind in den Kliniken des Wiener Gesundheitsverbunds drei Kinder zwischen 0 und 13 Jahren hospitalisiert: „Alle drei wurden positiv auf das neue Corona-Virus getestet. Nicht immer ist COVID-19 der Grund der stationären Aufnahme. Bei manchen Kindern ist eine Infektion ein reiner Zufallsbefund. Das bedeutet, dass der eigentliche Grund ihrer stationären Aufnahme eine andere Erkrankung ist. Das kann etwa ein Beinbruch sein, bei gleichzeitig bestehender Corona-Infektion. Es gibt im Moment nur eine stationäre Aufnahme aufgrund von MIS-C im Wiener Gesundheitsverbund.“
Was Long Covid betrifft, sei im Wiener Gesundheitsverbund hierzu bisher nichts aufgetreten: „Prinzipiell dürften Folgeerscheinungen im Sinne von Long Covid im Kindesalter extrem selten sein. Dies gilt laut unserem Experten für Kinderinfektiologie, Dr. Florian Götzinger, Klinik Ottakring, für ganz Österreich.“
Betroffene Mutter: „Sachpolitik ist jetzt gefragt“
Zurück zur betroffenen Mutter, die sich von der Politik „endlich ein auf Fakten basiertes, vorausschauendes Handeln mit klaren Richtlinien“ wünscht: „Sachpolitik ist jetzt gefragt und nicht, Wählerklientel zu bedienen.“ Es würden genügend Daten zur Verfügung, um festzulegen, wo und wann Handlungsbedarf besteht. Und weiter: „Vor allem die Bildungspolitik hat im letzten Jahr völlig versagt. Es wurden weder wirklich sichere Konzepte für den Schulalltag – Schulbusse sind wohl das beste Beispiel – erarbeitet, noch erfolgte eine zentrale Vorbereitung auf Distance Learning. Diese Fehler sollten gründlich evaluiert und aufgezeigt werden, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.“
Abschließend wünscht sie sich „Wertschätzung“ seitens der Politik gegenüber all jenen, die im letzten Jahr wirklich Großartiges geleistet haben, wie Ärzte, Krankenpfleger, Altenpfleger, usw.
Medizinisch betreutes Register eventuell nach der Studie
Eine bundesweite Ansprechstelle für Betroffene gebe es nicht, informiert Strenger auf Nachfrage, am besten wende man sich an die zuständige Kinderabteilung. Ein medizinisch betreutes Register für Long Covid wäre sicher interessant, „allerdings haben wir schon einige Studien und wenig Zeit für weitere Projekte. Wir werden abwarten, welche Häufigkeit unsere Studie mit der AGES ergibt und danach entscheiden“.
Kasuistik: Thoraxschmerzen nach mehreren Wochen
Eine Mutter, die im medizinischen Bereich tätig ist, berichtet:
„Am 14.12.2020 bekam ich die Info von der Schule, dass ein Klassenkollege von T. (= Tochter, geb. 2008) positiv getestet wurde. Dieser war am 10.12. das letzte Mal in der Klasse und dabei symptomlos.
Leider war der sofort veranlasste Ag-Schnelltest positiv, bei mir zum Glück negativ, da ich an diesem Tag enorm viele Kundenkontakte vor allem mit sehr alten Menschen hatte.
T. entwickelte bereits am 14.12. erste Symptome (Halsschmerzen, leichtes Fieber, Kopfschmerzen), der darauffolgende PCR-Test am 15.12. war ebenfalls positiv.
Ihr Bruder S. (= Sohn, geb. 2015) entwickelte am 16.12. Symptome (Fieber, starke Kopfschmerzen). Meine Ag-Schnelltests blieben negativ.
Die Telefonate mit den Behörden entwickelten sich zu einem Marathon, da zwei Bundesländer in die Sache involviert waren. Unglaublich, wie oft man dasselbe gefragt wurde, aber nie wirklich nach Kontakten außer jenen in der Schule. Die Schule war anscheinend mit dem weiteren Vorgehen völlig überfordert, aber unser Hausarzt hat uns sehr unterstützt! Schlussendlich wurde die Klasse unter Quarantäne gestellt.
Alle Kontaktpersonen von T. und S. der letzten vier Tage ließen sich zum Glück zweimal freiwillig testen und blieben negativ.
S. war nach drei Tagen wieder topfit.
T. war 18 Tage wirklich krank. Sie war sehr müde, hatte Halsschmerzen, massive Muskelschmerzen, immer wieder leichtes Fieber, keinen Geruchs- und Geschmacksinn und definitiv Orientierungs- und Sehstörungen.
Eigentlich glaubten wir alles gut überstanden zu haben, bis Mitte Februar langsam Zweifel aufkamen.
S. klagte immer öfter über Bein- und Armschmerzen, Kopfschmerzen und Bauchschmerzen.
Nach zirka einer Woche drehten wir nach zehn Prozent unseres täglichen Spaziergangs um, weil er zu müde wurde. Zu Hause angelangt, legte sich unser sonst überaktiver Wirbelwind auf die Couch und wollte nur mehr schlafen.
Nachdem nun auch noch belastungsabhängige Thoraxschmerzen auftraten (nach etwas Ballspielen im Wohnzimmer hatte er arge Brustschmerzen und eine enorme Pulsfrequenz), ist er im Moment wirklich alles andere als fit. Herzultraschall und Blutuntersuchungen sollen nun Aufschluss über die Symptome geben.“
Studie der ÖGKJ und AGES: „Kinder sind anders!“
„Kinder sind anders!“ So lautet der Titel einer gemeinsamen Presseaussendung von der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und der Medizinischen Universität Graz (MUG). Die groß angelegte „Österreichische Studie zur Coronavirus-Infektion bei Kindern und Jugendlichen“ soll folgende Fragen beantworten:
- Wie häufig zeigen Kinder mit einer Coronavirus-Infektion Symptome?
- Welche Symptome zeigen sie?
- Wie lange halten diese an?
- Gibt es „Long Covid“ bei Kindern?
- Wie häufig werden Übertragungen innerhalb der Familie oder in der Schule beobachtet?
- Wie belastet sind Eltern und Kinder durch eine kindliche Coronavirus-Infektion?
Laut der Aussendung infizieren sich Kinder seltener mit SARS-CoV-2 und erkranken durch die Infektion meist nur sehr mild oder zeigen gar keine Symptome, sie dürften das Virus auch seltener übertragen. Die „Dunkelziffer“ sei je nach Studie niedriger oder „jedenfalls nicht höher“ als bei Erwachsenen, schreiben Assoz.-Prof. PD Dr. Strenger, Studienleiter seitens der ÖGKJ und AG Leiter Infektiologie, PD Dr. Daniela Schmid, Studienleiterin seitens der AGES, ÖGKJ-Präsidentin Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall sowie ÖGKJ-Generalsekretär Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl.
Neben den typischen Symptomen „Husten, Fieber, Kurzatmigkeit“ zeigen Kinder auch häufig untypische Symptome wie Bauchschmerzen und Durchfall, heißt es weiter. Im Gegensatz zu Erwachsenen entwickeln Kinder und Jugendliche „in äußerst seltenen Fällen“ eine überschießende Immunreaktion nach einer SARS-CoV-2-Infektion: Hyperinflammationssyndrom, PIMS-TS, MIS-C. Die für Erwachsene typischen Störungen des Geschmacks- und Geruchssinns sowie langanhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion („Long Covid“) seien bei Kindern bisher „kaum“ beschrieben. „Während Kinder von der Erkrankung selbst also wenig betroffen sind, leiden sie umso mehr unter den Maßnahmen, die gegen die Ausbreitung der Pandemie gesetzt werden, wie z.B. Schulschließungen“, heißt es in der Aussendung.
Um ein verlässliches Bild zu erlangen, werde eine „repräsentative Stichprobe“ von über 5.000 Kindern und Jugendlichen nach Coronavirus-Infektion ausgewählt, deren Familien zu einer online-Umfrage eingeladen würden.
*Kärnten: https://kaernten.orf.at/stories/3090701/, Wien: https://www.diepresse.com/5942848/neue-schwere-kinderkrankheit-als-folge-von-corona; umfangreiche Artikel- und Literatursammlung siehe auch unter https://wieneralltag.wordpress.com/longcovid