Perioperatives Schmerzmanagement

Illustration eines menschlichen Körpers mit mehreren hervorgehobenen Schmerzherden.

Singuläre oder nicht abgestimmte Therapiemaßnahmen sind in der Schmerzbehandlung nicht nur ineffizient, sondern führen nicht selten zu einer Chronifizierung des Schmerzes. Für eine multimodale interprofessionelle Schmerztherapie fehlt es aber noch immer an den notwendigen Strukturen und medizinischen Kompetenzen. (CliniCum 4/18)

Zum zweiten Mal fand im Moorheilbad Harbach ein Ärztekongress zum Thema Schmerzbehandlung statt. Auf Einladung von Kongressorganisatorin OÄ Dr. Waltraud Stromer, Vorsitzende der Sektion Schmerz der österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivstation (ÖGARI), war zu diesem Anlass das „Who is who“ der heimischen Schmerzmedizin nahezu vollzählig in den nordwestlichsten Zipfel Niederösterreichs gekommen. Unter dem Titel „Von der Theorie zur Praxis – Fallen und Tricks in der Schmerzmedizin“ informierten sich über 300 Teilnehmer – neben Ärzten unterschiedlichster Fächer auch Pharmazeuten, Pflegefachkräfte und Therapeuten – über den aktuellen Stand der schmerzmedizinischen Versorgung in Österreich, internationale Studienergebnisse und Positionspapiere sowie innovative Therapieansätze.

Das Thema Schmerz mobilisiert also – und das hat seine guten Gründe: Laut Statistik Austria leiden 1,5 Millionen Menschen in Österreich an chronischen Schmerzen aller Art (Rücken, Arthrosen, Migräne etc.). 40.000 davon konsultieren mindestens einmal pro Jahr einen Arzt, 4.000 erleben eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität. Nicht selten hat der chronische Schmerz – definiert als ein subjektives Schmerzempfinden, das länger als drei Monate anhält – zudem weitreichende soziale Folgen für die Betroffenen und führt zu Isolation, Arbeitslosigkeit, Vereinsamung. Nebenbei sind auch die ökonomischen Auswirkungen frappant: 660.000 Arbeitstage gehen aufgrund von Erkrankungen des Bewegungsapparates jährlich verloren, laut Recherche des Grazer Joanneum Instituts entspricht das einem volkswirtschaftlichen Schaden von rund 400 Millionen Euro.

Kongressorganisatorin Stromer interpretierte diese Zahlen in ihrer Eröffnungsbotschaft als einen „klaren Auftrag an die Schmerzmedizin, an einer Verbesserung des Status quo zu arbeiten“. Schließlich sei das Recht auf eine bestmögliche schmerzmedizinische Behandlung in der Patientencharta verankert. „Dieses Recht dürfen wir unseren Patienten nicht länger vorenthalten“, appellierte Stromer vor allem an die verantwortlichen Stakeholder, für entsprechende infrastrukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen zu sorgen.

Postoperative Schmerzversorgung

Dass die Chronifizierung von Schmerz häufig eine direkte Folge einer unzureichenden postoperativen Akutschmerzbehandlung ist, thematisierte Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar MSc, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Präsident der ÖGARI, in seinem Vortrag. 1,2 Millionen Operationen finden jährlich in Österreichs Krankenhäusern statt, etwa zehn Prozent der Patienten entwickeln in der Folge einen chronischen Schmerz. „Wir produzieren postoperativ 120.0000 chronische Schmerzpatienten pro Jahr“, meinte Likar und forderte die Kollegenschaft dazu auf, besonderes Augenmerk auf die ersten 24 Stunden nach einer Operation zu legen. Bis zu 40 Prozent der Betroffenen empfinden in dieser kritischen Phase starke Schmerzen.

Höhe des Risikos und Schmerzart (postoperativer Akutschmerz bzw. neuropathische Schmerzen) hängen wesentlich von der Art der Operation ab, korrelieren zudem mit Alter, Geschlecht und dem Vorhandensein präoperativer Schmerzen. Auch kleine, alltägliche Eingriffe wie Appendektomie, Cholezystektomie oder Hämorrhoidektomie könnten „oft zu unerwartet hohen postoperativen Schmerzwerten führen“, so Likar weiter, „möglicherweise bedingt durch unzureichende Analgetikagabe aufgrund einer medizinischen Fehleinschätzung der zu erwartenden Schmerzintensität.“ Erfolgt in den ersten 24h keine ausreichende oder eine falsche Therapie, „machen wir aus unseren Patienten chronische Schmerzpatienten“, warnte Likar.

Ein adäquates und effektives Management perioperativer Schmerzen erfordere allerdings speziell ausgebildete Akutschmerz-Teams sowie geeignete organisatorische Strukturen im Krankenhaus. Wie diese aussehen sollten, haben ÖGARI und Österreichische Schmerzgesellschaft in einem Positionspapier festgeschrieben.1 Ein weiteres Risiko in der Schmerzbehandlung stellt der unkritische Einsatz von Opioiden dar. Likar empfahl in diesem Zusammenhang den Einsatz international bewährter Scores, um Risikopatienten frühzeitig zu ermitteln. Bei diesen sollte der Einsatz von Opioiden in der Schmerzbehandlung unbedingt vermieden werden. In den USA sei das lange Zeit nicht beachtet worden – mit dramatischen Folgen.

Opioide und Cannabinoide

Die öffentlich diskutierte Situation in den USA, wo die Schmerzbehandlung über Jahrzehnte viele Opioidabhängige produziert hat, bildete auch den Ausgangspunkt des Vortrags von OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA, Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, Wilhelminenspital Wien. Täglich sterben 115 Amerikaner an Überdosierung, wobei synthetische, verschreibungspflichtige Opioide die Zahl der Drogentoten durch illegale Drogen inzwischen weit hinter sich gelassen hätten. Die Situation sei zwar nicht auf Europa übertragbar, so Jaksch, aber „wenig an Morphin verwenden wir in Österreich auch nicht gerade“.

In der Folge referierte Jaksch über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und mögliche Kontraindikationen (etwa Panikattacken, bipolare Störung oder Schizophrenie) in der Opioid- und Cannabinoid-Schmerztherapie. Seine Conclusio: Sowohl Opioide als auch Cannabinoide haben in der Schmerztherapie ihre Berechtigung, sind auch nicht ersetzbar. „Da die Erfolgsrate niedrig ist, benötigen wir eine große Auswahl an Medikamenten, um für die Patienten das beste Ergebnis zu erzielen, speziell bei komplexen chronischen Zuständen.“ Cannabinoide weisen in der Schmerzbehandlung breitere Wirkungsmechanismen auf als Opionide. Als mögliche Indikationen für ihren Einsatz beschrieb Jaksch unter anderem „Schmerzpatienten, die mit Opioiden oder anderen Analgetika nicht suffizient behandelt werden können, multisymptomatische Schmerzpatienten, die nicht nur von einer Analgesie profitieren (z.B. Tumor- oder MS-Patienten), oder Schmerzpatienten, deren Schmerz auf Entzündungen oder erhöhtem Muskeltonus beruhen“.

Wie Likar bei den Opioiden riet Jaksch auch beim Einsatz von Cannabinoiden zur Vorsicht und verwies in diesem Zusammenhang auf das „Positionspapier zum klinischen Einsatz von Canabinoiden in der Schmerzmedizin“2, das in Ergänzung zum „Positionspapier zum Einsatz von Opioiden bei tumorund nicht tumorbedingten Schmerzen“ von der Schmerzgesellschaft erarbeitet und publiziert wurde. In jedem Fall müsse der Einsatz von Cannabinoiden oder Opioiden gut überlegt und ebenso gut dokumentiert werden, stellte Jaksch fest und empfahl außerdem eine „regelmäßige Re-Evaluation der sogenannten 4S bzw. 4A“:

  • Schmerzlinderung/Analgesia
  • Sicherheit/Adverse Effects
  • Soziale Teilhabe/Activity
  • Substanzproblematik/Aberrant behavior

Wichtiger als die Schmerzintensität sei in der Behandlung jedenfalls das subjektiv empfundene Leiden, Einschränkungen und Behinderungen im Alltag, so Jaksch abschließend: „Wir müssen uns damit abfinden, meist einem palliativen statt einem kurativen Ansatz zu folgen. Schmerzfreiheit ist in der Regel kein Therapieziel! Es gehe immer um das individuelle Empfinden, um Lebensqualität, Schlafqualität und Aktivität.“

Referenzen:
1 Likar R, Jaksch W et al., Interdisziplinäres Positionspapier „perioperatives Schmerzmanagement“; Der Schmerz, 2017;
2 Positionspapier der Österreichischen Schmerzgesellschaft zum klinischen Einsatz von Canabinoiden in der Schmerzmedizin, Der Schmerz 2b/2017

Schmerzkongress „Von der Theorie zur Praxis – Fallen und Tricks in der Schmerzbehandlung“, Moorheilbad Harbach, 16.3.18

Stimmen vom Schmerzkongress

Einige der Vortragenden haben wir vor das CliniCum-Mikrofon gebeten, um ihre zentralen Botschaften für unsere Leser nochmals zusammenzufassen.

„Es besteht kein Zweifel, dass es in Österreich einen Mangel an Schmerztherapie bzw. schmerztherapeutischen Einrichtungen und zu einer modernen Schmerztherapie befähigten Ärzten gibt“, Univ.-Prof. Dr. Michael Herbert, Vorstand der UniKlinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Leiter der Klin. Abt. für Spezielle Anästhesiologie, Schmerz- und Intensivmedizin der MedUni Graz.

Weitere Video-Interviews mit OÄ Dr. Waltraud Stromer, OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer, Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar MSc und OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA, finden Sie unter https://mma.ac/schmerzkongress-harbach