20. Dez. 202353. Kongress für Allgemeinmedizin

STAFAM: Onkologische Rehabilitation – Positiver Einfluss auf Krankheitsverlauf

Vor 25 Jahren galt eine zusätzliche körperliche Belastung unter laufender Krebstherapie noch als absolute Kontraindikation. Heute wissen wir, dass Sport mit Krebs nicht nur vereinbar ist, sondern auch sehr positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat: Eine onkologische Rehabilitation mit Bewegung und Training kann das Überleben verbessern, die Lebensqualität erhöhen und den Patientinnen und Patienten helfen, wieder mehr am sozialen Leben teilzuhaben und ein selbstbestimmteres Leben zu führen.

woman with cancer, blue eyes, fight against cancer,
PintoArt/AdobeStock

Krebserkrankungen sind chronische Erkrankungen, deren Folgen weit über das lokale Tumorgeschehen hinausgehen. Die Palette der Funktionsstörungen und Nebenwirkungen, unter denen die Patientinnen und Patienten leiden, reicht von Erschöpfung, Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch Verlust an Muskelmasse, Ausdauer, Flexibilität und Koordinationsstörungen bis hin zu Polyneuropathien, Schmerzen, Inkontinenz und Lymphödemen. Auch Ängste (vor Stürzen oder den Folgen der Erkrankung), Depressionen, Distress sowie Einschränkungen von sozialen Kontakten und der beruflichen Teilhabe tragen dazu bei, dass die Lebensqualität von Krebspatienten und -patientinnen oft stark beeinträchtigt ist. Onkologische Rehabilitation ist ein ganz wichtiges Instrument, Betroffenen beim Management dieser Kurz- und Langzeitfolgen zu helfen.

Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna, Vorstand der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin, Medizinische Universität Wien, und sein Team befassen sich seit 1999 mit diesem Thema und haben wesentlich zum Paradigmenwechsel beigetragen. „Wir waren die Ersten, die Patientinnen und Patienten in Österreich unter Chemotherapie trainiert haben, und weltweit die Ersten, die auch bei Knochen- und Hirnmetastasen ein aktives Training durchgeführt haben“, erinnert sich der anerkannte Rehabilitationsmediziner. Bereits im Jahr 2000 wurde eine Spezialambulanz für onkologische Rehabilitation eingerichtet.

Training auf Rezept

Eine der großen Befürchtungen war damals noch, dass eine zusätzliche körperliche Belastung bei Knochenmetastasen zu Brüchen führen könnte. „Wir haben in 25 Jahren durch die Trainingstherapie noch keine einzige pathologische Fraktur erzeugt“, entkräftet Crevenna dieses Argument. „Fast jeder kann trainieren, auch Patientinnen und Patienten mit einem Multiplen Myelom und zahlreichen Lysen im Bereich des Achsenskeletts.“ Voraussetzung dafür ist aber eine maßgeschneiderte Trainingstherapie, quasi ein Rezept für das Training. Der Arzt bzw. die Ärztin muss entscheiden, was den Patientinnen und Patienten zugemutet werden kann und was nicht. Im Gesamtbild müssen vor allem auch die Komorbiditäten und die Medikation, die in der Onkologie eine ganz wichtige Rolle spielt, berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck wurde 2010 im Comprehensive Cancer Center Vienna das weltweite erste Tumorboard für onkologische Rehabilitation eingerichtet: Hier werden nicht Tumorbehandlungen geplant, sondern von Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen maßgeschneiderte Rehabilitationsmaßnahmen für Patientinnen und Patienten nach Krebsbehandlungen festgelegt.

Im optimalen Fall wird bereits die Zeit zwischen Krebsdiagnose und therapeutischer Intervention genutzt, um die Patientinnen und Patienten durch Prähabilitation besser auf die drohende funktionale Verschlechterung und negative klinische Konsequenzen durch die Erkrankung und die Therapie vorzubereiten.

Stationäre und ambulante Rehabilitation

Derzeit gibt es in Österreich etwa 640 Betten für stationäre onkologische Rehabilitation, unter anderem in Bad Tatzmannsdorf, Bad Sauerbrunn oder St. Veit im Pongau. Üblicherweise werden während des Reha-Aufenthaltes keine Chemotherapien appliziert. Zumindest theoretisch sollte die onkologische Therapie schon abgeschlossen sein, bevor mit der stationären Rehabilitation begonnen wird. Für die Bewilligung einer onkologischen Rehabilitation ist es nicht erforderlich, dass die Patientinnen und Patienten noch im Berufsleben stehen. Sie kann auch in Anspruch genommen werden, wenn die Betroffenen bereits in Pension sind.

Verbesserungsbedarf sieht Crevenna noch bei ambulanten Konzepten: „Wenn Patientinnen und Patienten wieder ins Berufsleben einsteigen, können sie nicht jeden Tag ins stationäre Rehazentrum zum Trainieren fahren. Hier brauchen wir noch mehr Angebote für ambulante onkologische Rehabilitation.“ Seit 2018 gibt es auch die Möglichkeit, onkologische Rehabilitation additiv als Telerehabilitation durchzuführen.

Säulen der onkologischen Rehabilitation

Das wichtigste Modul der onkologischen Rehabilitation ist die medizinische Trainingstherapie, also regelmäßige körperliche Aktivität. Dafür ist es aber oft notwendig, erst die Beschwerden und Symptome der Krebspatienten und -patientinnen zu reduzieren, da Schmerzen, Lymphödeme oder Depressionen für das Training kontraproduktiv sind. Trainiert werden Ausdauer, Kraft, Koordination und Flexibilität. Bewegung als „Polypill“ soll nicht nur die Lebensqualität und die soziale Teilhabe verbessern, sondern auch die chronische Inflammation und den Stoffwechsel positiv beeinflussen und die Immunität stärken.

Ein ganzjähriges tägliches Training ist natürlich zeitintensiv. „Wir sollten den Patientinnen und Patienten einen gesunden Egoismus einimpfen, sich diese Zeit auch zu nehmen“, betont Crevenna. Ideal ist, wenn es Freunde oder Familienmitglieder mit ähnlicher Leistungsfähigkeit und Motivation gibt, mit denen zusammen trainiert werden kann. Auch ein Testimonial („Fit mit Philipp“) kann hilfreich sein.

Das Konzept der onkologischen Rehabilitation geht aber über körperliche Aktivität hinaus und umfasst auch Edukation/Information, Psychoonkologie und Diätologie.

Erfolge durch onkologische Rehabilitation

Was kann durch die onkologische Rehabilitation erreicht werden? Ziel ist ein verbessertes Überleben. Bei manchen Tumorentitäten (Brust-, Darm- und Prostatakrebs) ist auch belegt, dass die Trainingstherapie zu einem verlängerten Überleben verhilft. Die Lebensqualität steigt und die Patientinnen und Patienten werden in die Lage versetzt, wieder am sozialen Leben teilzunehmen und rascher in den Beruf zurückzukehren. Das Training verstärkt auch das Selbstverstrauen und ermöglicht ein selbstbestimmteres Leben.

„Onkologische Begleitung und Rehabilitation“, Vortrag am 53. Kongress für Allgemeinmedizin, Graz, 23.11.2023