30. Juni 2025medonline Medizingeschichte #51

Rebecca Lee Crumpler: Die erste afroamerikanische Ärztin der USA

Wie die erste schwarze Ärztin der USA ihre Spuren in der Pädiatrie und in der öffentlichen Gesundheitsversorgung hinterlassen hat.

A Book of Medical Discourses
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Rebecca Lee Crumpler wird 1831 als Tochter von Absolum Davis und Mathilda Webber in Delaware geboren. Sie wächst bei einer Tante in Pennsylvania auf, die regelmäßig von erkrankten Mitgliedern ihrer Wohngemeinde aufgesucht wird, um medizinischen Rat und medizinische Hilfe zur Verfügung zu stellen. In diesem Umfeld wächst auch in Rebecca der Wunsch, erkrankten und leidenden Menschen zur Seite zu stehen. Als Kind besucht sie die West-Newton English and Classical School in Massachusetts.

1852 heiratet sie Wyatt Lee, mit dem sie bis zu dessen Tod im Jahr 1863 zusammenlebt. Zwischen 1852 und 1860 arbeitet Davis Lee bei Ärztinnen und Ärzten in Charlestown, Massachusetts, als Krankenschwester, während sie nebenbei eine Ausbildung für den Beruf absolviert. Wegen ihres offensichtlichen Talents und ihrer Hingabe für Kranke empfehlen sie manche ihrer Arbeitgeber für ein Medizinstudium am New England Female Medical College in Boston. Verschiedene Lehrkräfte dort äußern angesichts dieses Vorgehens, das dem zu jener Zeit noch lückenlos institutionalisierten und in den Köpfen vieler Menschen fest verankerten Rassismus zuwiderläuft, ernsthafte Bedenken.

Als Rebecca Davis Lee nichtsdestotrotz mit dem Medizinstudium beginnt, sind nur etwa 300 der 54.543 in den Vereinigten Staaten registrierten Ärzte weiblich – unter ihnen allerdings keine African Americans. Sie schließt das Studium nach vier Jahren mit dem Titel „Doctress of Medicine“ ab, was ihr nicht zuletzt durch das vom Abolitionisten Benjamin Wade eingerichtete Wade Stipendium möglich ist, welches das finanzielle Auskommen ihrer Familie während der Studienendphase sichert. Davis Lee ist damit die erste afroamerikanische Ärztin. In den Unterlagen des Colleges wird sie als Mrs. Rebecca Lee, negress, geführt.

Einsatz im Süden nach dem Sezessionskrieg: Medizinische Hilfe für befreite Sklaven

1864 heiratet Davis in zweiter Ehe Lee Arthur Crumpler und beginnt in Boston als Ärztin zu ordinieren. Nach dem Sezessionskrieg zieht sie mit ihrem Mann nach Richmond, Virginia, um dort für das Virginia Bureau of Refugees, Freedmen, and Abandoned Lands – im Volksmund Freedmen’s Bureau – zu arbeiten, einer Bundesbehörde, die sich um die befreiten Sklaven der Region kümmert.

Sie findet ein in ihren Augen geeignetes Feld für echte Missionsarbeit, ist aber auch gerade dort nicht vor dem tief verwurzelten Rassismus des amerikanischen Südens dieser Zeit gefeit. Viele Krankenhäuser erkennen ihr Recht nicht an, Patienten einzuweisen, viele Apotheken weigern sich, von Crumpler ausgestellte Rezepte anzuerkennen. Viele in den rassistischen Reflexen des Südens verhaftete Menschen amüsieren sich über die Feststellung, das M.D. nach Crumplers Namen könne nur für mule driver stehen.

Während auch einige Mitarbeitende des Freedmen’s Bureau Krankheitsausbrüche wie Pocken auf eine mangelnde Hygiene ehemaliger Sklaven oder auf vorgeblich rassisch bedingte Defizite der African Americans zurückführen, erkennt Crumpler, dass der wahre Ursprung der Gesundheitsgefährdung im Mangel an adäquaten Unterkünften, Kleidung und Nahrung liegt – soziale Determinanten der Gesundheit im modernen Sprachgebrauch.

Gesundheitsversorgung für Frauen und Kinder: Crumplers Praxis in Boston

Nach ihrer Rückkehr nach Boston 1869 bezieht Crumpler mit ihrer Familie ein Haus im vorwiegend von African Americans bewohnten Stadtteil Beacon Hill und nimmt ihre Arbeit mit neuer Energie wieder auf. Sie behandelt vorwiegend Frauen und Kinder vor Ort und bei ihr zu Hause, unabhängig davon, ob sich die Familien die Kosten für eine Behandlung leisten können.

1880 zieht sie mit ihrer Familie in den Bostoner Stadtteil Hyde Park. Sie hört auf zu praktizieren und verfasst anhand von Tagebuchnotizen, die sie während ihrer jahrelangen medizinischen Praxis führte, das Werk A Book of Medical Discourses in Two Parts, in dem sie ihr medizinisches Wissen weitergibt. Das Buch erscheint 1883 und verhandelt Therapieoptionen für Krankheiten bei Säuglingen, Kleinkindern und Frauen im gebärfähigen Alter.

Pionierin der Kinderheilkunde und Autorin: „A Book of Medical Discourses“

Sie glaubt fest an die gesundheitlichen Vorteile des Stillens, ermutigt Mütter und unterstützt sie bei alltäglichen Schwierigkeiten. Besonders interessiert sie sich für die Ursachen der Cholera infantum – jenes Sommerdurchfalls, der jedes Jahr viele Säuglinge das Leben kostet. Der Begriff beschreibt nicht die echte Cholera, sondern eine schwere Durchfallerkrankung bei Babys, die, wie heute bekannt ist, verschiedene virale und bakteriologische Ursachen hat und häufig durch verunreinigte Milch oder Wasser ausgelöst wird. Im Sommer verschärft sich das Problem durch verdorbene Milch und Dehydrierung.

Crumpler_Medical_Discourses_Faksimile
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In mehreren Kapiteln widmet sich Crumpler dieser Krankheit und schildert den typischen Verlauf: Ein Kind, das gestillt oder mit der Flasche gefüttert wird, hört plötzlich auf zu trinken, wirkt apathisch und teilnahmslos und erbricht Flüssigkeit sofort wieder. Der Stuhlgang ist häufig, aber nur minimal. Mit dem Fortschreiten der Krankheit trocknet die Zunge aus und die Gesichtszüge fallen ein – Anzeichen einer schweren Dehydrierung.

Für Ärztinnen und Ärzte im 19. Jahrhundert bedeutet die Betreuung kranker Säuglinge und Kinder noch, einem mehr oder weniger unausweichlichen Todesfall nach dem anderen beizuwohnen. Selbst von Ansätzen einer öffentlichen Gesundheitsversorgung und von einem organisierten Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit kann noch keine Rede sein, als A Book of Medical Discourses erscheint. Sie ist aber schon zu diesem frühen Zeitpunkt überzeugt, dass viele dieser tragischen Verläufe vermeidbar sind.

People do not wish to feel that death ensues through neglect on their part, schreibt Crumpler. Therefore, they speak of consumption, cholera infantum, and diphtheria, etc., as if sent by God to destroy our infants … there is no doubt that thousands of little ones annually die at our very doors, from diseases which could have been prevented, or cut short by timely aid.

Crumpler besteht im Allgemeinen darauf, dass Krankheiten spezifische Ursachen haben – und daher vermeidbar sind. Ihre Beobachtungen überzeugen sie davon, dass nicht allein schlechte Luft – damals noch immer eine gefällige Erklärung für alle möglichen Gesundheitsprobleme –dafür verantwortlich ist. Auch wenn sie die verursachenden Mikroben noch nicht kennt, erkennt sie andere, unsichtbare Kräfte, die über den armen, oft schwarzen Kindern schweben. Sie mahnt ihre Kolleginnen und Kollegen: It is just as important that a doctor should be in attendance before the birth of a poor woman’s child as that he should be present before the birth of the child of wealth. And it should be considered inhuman in any physician to purposely absent him or herself.

Crumpler erkennt die enormen Belastungen schwarzer Eltern und sorgt sich, dass sie sich nicht ausreichend um sich selbst kümmern – besonders in Bostons rauem Klima. Sie rät zu regelmäßigen Bädern, jahreszeitlich angemessener Kleidung, weniger Medikamenten, zum Verzicht auf Alkohol und Tabak sowie zur Vorsicht bei Wetterwechseln. Sie schreibt: By seeking to get in possession of the comforts of life, and buying a little home, our men can yet be enabled to live, and raise up children who shall be an honor to that noble race with which we are identified, in point of strength and longevity.

Zwar spricht Crumpler nicht offen über eigene Erfahrungen mit Rassismus, aber sie gibt zu Protokoll: Women doctors, or, more properly speaking, doctresses of medicine, although usually treated with less courtesy by doctors, are, nevertheless, by them considered to be in their proper sphere in the confinement-room and nursery.

Unbeeindruckt vom abfälligen Verhalten mancher Kollegen (I feel under no obligations to them for their charity) hebt sie die Bedeutung der Pflege von Säuglingen hervor – als wichtigste Aufgabe überhaupt, die den moralischen und körperlichen Zustand der Menschheit beeinflussen kann.

Crumpler lebt in einer prägenden Zeit der Kinderheilkunde. Sie wird ein Jahr nach Abraham Jacobi geboren, dem Begründer der amerikanischen Pädiatrie, der 1860 die erste Kinderklinik der USA gründet. Im Herbst ihres Lebens entstehen in vielen Städten Bewegungen, die sich für die Reinigung von Milch einsetzen, um Säuglingstode durch Sommerdurchfall zu verhindern. Allgemein setzt sich nun ein öffentliches Bewusstsein für Säuglingsgesundheit durch – ganz im Sinne der Hygiene- und Präventionsprinzipien, die Crumpler bereits in ihrem Werk betont.

Tod und späte Würdigung

Dr. Rebecca Lee Crumpler stirbt am 9. März 1895 im Alter von 64 Jahren an Myomen. Sie wird ohne Grabstein auf dem Bostoner Fairview-Friedhof im Stadtteil Hyde Park beigesetzt. Crumpler war ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht voraus. Sie ist die erste afroamerikanische Frau in den Vereinigten Staaten, die einen medizinischen Abschluss erwarb, und die erste afroamerikanische Ärztin, die ein Buch publizierte.

Im Jahr 2019 startet eine Spendenkampagne, um sowohl für Dr. Crumpler als auch für Arthur, der neben ihr begraben liegt, Grabsteine zu errichten. 125 Jahre nach ihrem Tod, im Jahr 2020, werden diese Grabsteine aufgestellt. Aufgrund ihres Wirkens erklärte der Gouverneur von Virginia 2019 den 30. März zum Dr. Rebecca Lee Crumpler Day. Ihr Haus in Beacon Hill ist heute eine Station des Boston Women’s Heritage Trail, und eine der ersten medizinischen Gemeinschaften für afroamerikanische Frauen trägt den Namen Rebecca Lee Society. Auch heute noch identifizieren sich nur etwa zwei Prozent der praktizierenden Ärztinnen in den USA als afroamerikanisch.