Barbara McClintock: Jumping Genes
Wie eine revolutionäre Entdeckung in der Genetik über Dekaden als wissenschaftliche Zeitbombe unbeachtet bleiben konnte.

Barbara McClintock wird am 16. Juni 1902 in Hartford, Connecticut, als drittes von vier Kindern der Familie McClintock geboren. Ihre Eltern, Thomas Henry McClintock und Sara Handy McClintock, unterstützen sie von klein auf in ihrem unabhängigen und wissbegierigen Naturell. 1908 zieht die Familie nach Brooklyn, New York, wo Barbara früh in ihrer schulischen Laufbahn ein tiefes Interesse an der Wissenschaft entdeckt.

Die McClintock-Kinder im Jahr 1907 (v.l.n.r.): Mignon, Malcolm Rider "Tom", Barbara und Marjorie.
Sie besucht die Erasmus Hall High School, wo sich schnell herausstellt, dass sie eine außergewöhnliche Begabung für Mathematik und die Naturwissenschaften hat. Aufgrund ihrer makellosen akademischen Leistungen wird sie an der Cornell University aufgenommen und beginnt dort 1919 zu studieren. Ihre Mutter lehnt ein mögliches Hochschulstudium zunächst ab, da sie befürchtet, dass es sich später nachteilig auf Barbaras Chancen auf dem Heiratsmarkt auswirken könnte. Im Gegensatz dazu ermutigt sie ihr Vater aber nachdrücklich, ihren wissenschaftlichen Ambitionen zu folgen.
An der Cornell University entdeckt McClintock ihre Leidenschaft für Botanik, bevor sie sich später auf Zytologie und Genetik spezialisiert. 1923 erwirbt sie ihren Bachelor of Science. Sie verbleibt an der Universität, wo sie in der Folge 1925 einen Master- und 1927 eine PhD-Abschluss in Botanik erwirbt. Im Zuge der Forschung zu ihrer Dissertation entwickelt McClintock ein besonderes Interesse an der Maisgenetik, dem Gebiet, auf dem sie ihre bedeutendsten Entdeckungen machen wird.
McClintocks frühe Forschungsarbeit
Nach ihrer Promotion bleibt McClintock an der Cornell University, ist dort zwischen 1927 und 1931 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Lehrbeauftragte tätig und erlangt rasch Anerkennung für ihre innovativen Arbeiten in der Zytogenetik. Im Speziellen interessiert sie sich für das chromosomale Crossing-over während der Meiose und trägt maßgeblich zur Entwicklung von Färbe- und Visualisierungstechniken für Maischromosomen bei. Diese Methoden ermöglichen es, strukturelle Veränderungen in Chromosomen zu identifizieren und bislang unbekanntes Wissen über die genetische Rekombination zu gewinnen.
1931 kann sich McClintock ein National Research Council Fellowship sichern und verlegt ihre Arbeit an das renommierte California Institute of Technology (CalTec) und die University of Missouri in Columbia. Gemeinsam mit Harriet Creighton weist sie erstmals nach, dass die chromosomale Rekombination direkt mit der genetischen Rekombination verbunden ist – ein entscheidender Beweis für die Theorie des Crossing-overs. Im Jahrgang 1933-34 wird ihr unter anderem dafür das Guggenheim Memorial Foundation fellowship zuerkannt.
Zwischen 1934 und 1936 kehrt sie ans Cornell’s Department of Plant Breeding zurück. Trotz ihrer bahnbrechenden Entdeckungen fällt es ihr aber schwer, eine dauerhafte akademische Stelle zu erhalten – eine Folge der geschlechtsspezifischen Diskriminierung in der Wissenschaft dieser Zeit. 1936 nimmt sie eine Stelle als Assistenzprofessorin an der University of Missouri an. Doch sie empfindet das dortige Umfeld als restriktiv und verlässt die Universität 1941, da ihr nach ihrer Ansicht keine ausreichende Forschungsfreiheit gewährt wird. Nichtsdestotrotz arbeitet sie an diesen Institutionen mit führenden Genetikern wie Rollins Emerson, Lester Sharp und Marcus Rhoades zusammen und hilft dabei, Mais als Modellorganismus in der genetischen Forschung zu etablieren.
Jumping Genes – Cold Spring Harbor und die Entdeckung transponierbarer Elemente
1941 schließt sich McClintock dem Genetik-Department der Carnegie Institution of Washington am Cold Spring Harbor Laboratory, Long Island, New York, als wissenschaftliche Mitarbeiterin an. Dort genießt sie schließlich Forschungsfreiheit in dem von ihr gewünschten Ausmaß – was in ihrer bedeutendsten Entdeckung resultieren wird.
Während ihrer Mais-Studien beobachtet McClintock, dass bestimmte genetische Elemente innerhalb des Genoms ihre Position verändern können. Sie identifiziert zwei Schlüsselregionen, die sie Dissociation (Ds) und Activator (Ac) nennt. Sie stellt fest, dass Ac die Aktivität von Ds kontrolliert und dadurch chromosomale Brüche und genetische Umlagerungen verursacht. Diese Erkenntnisse widersprechen der etablierten wissenschaftlichen Meinung, dass Gene feste Positionen auf Chromosomen haben. 1944 wird sie für ihre wissenschaftlichen Leistungen als die erst dritte Frau in die National Academy of Sciences aufgenommen.
McClintock stellt die Hypothese auf, dass diese beweglichen Elemente – später als transponierbare Elemente oder „jumping genes“ bezeichnet – eine entscheidende Rolle bei der Genregulation und der Evolution von Genomen spielen. Sie präsentiert ihre Ergebnisse 1951 auf einem Symposium, doch die überwiegend männliche wissenschaftliche Gemeinschaft reagiert skeptisch. Viele Genetiker lehnen die Idee beweglicher Gene ab, da sie nicht mit der etablierten wissenschaftlichen Position eines stabilen Genoms vereinbar scheint.
McClintocks Jahre der Isolation
Nach dieser Ablehnung ihrer Hypothesen zieht sich McClintock zunehmend aus dem wissenschaftlichen Diskurs zurück. Sie setzt ihre Forschung in Cold Spring Harbor fort, dokumentiert ihre Ergebnisse jedoch größtenteils ausschließlich in den Jahrbüchern der Carnegie Institution, anstatt sie in den führenden Fachpublikationen vorzulegen.
1957 erhält McClintock Mittel von der National Science Foundation und der Rockefeller Foundation, um verschiedene Maisarten in Süd- und Mittelamerika zu untersuchen. Anfang der 1960er Jahre reist sie ausgiebig, sammelt Maisproben mit spezifischen evolutionären Merkmalen und betreuGebiet der Maisgenetik. McClintock und ihre Kollegen verbringen in Summe zwei Jahrzehnte damit, Daten über Unterschiede in südamerikanischen Maissorten zu sammeln, die im Jahr 1981 unter dem Titel The Chromosomal Constitution of Races of Maize publiziert werden.
McClintock untersucht ein komplexeres System transponierbarer Elemente, das sie Suppressor-mutator (Spm) nennt. Ihre Forschung liefert weitere Hinweise darauf, dass transponierbare Elemente Gene aktivieren und deaktivieren können und damit die Genexpression beeinflussen. Ihre Beobachtungen nehmen zentrale Konzepte der Epigenetik vorweg, einem Forschungsfeld, das erst Jahrzehnte später an Bedeutung gewinnen wird.
Trotz des fehlenden Rückhalts in der wissenschaftlichen Community bleibt McClintock unbeirrt. Sie beginnt, sich mit den umfassenderen Auswirkungen der genomischen Plastizität zu beschäftigen, also der Fähigkeit von Genomen, sich in Reaktion auf extern einwirkenden Stress umzustrukturieren. Auch diese Idee ist ihrer Zeit weit voraus und findet erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts breite Anerkennung.
Anerkennung und späte Jahre
Von 1965 bis 1974 ist McClintock als einer der ersten Andrew D. White Professors-at-Large der Cornell University regelmäßig am Campus der Universität, um mit Doktoranden und Doktorandinnen des College of Agriculture and Life Sciences zu arbeiten.
Im Lauf der 1970er Jahre bestätigen schließlich neue Entdeckungen in der Molekularbiologie die Existenz transponierbarer Elemente in Bakterien und anderen Organismen. Dies führt zur Wiederentdeckung von McClintocks Arbeit und zu einem zunehmenden Interesse an ihren Forschungsergebnissen. In der Folge wird sie 1981 mit dem renommierten Lasker-Preis und dem Wolf-Preis ausgezeichnet. Zwei Jahre später, 1983, erhält sie schließlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für ihre Entdeckung der transponierbaren genetischen Elemente. Sie ist die erste Frau, der der Preis in dieser Kategorie alleine zugesprochen wird.

8. Dezember 1983: Barbara McClintock bei ihrem Vortrag am Karolinska Institute in Stockholm, in der Woche der Nobelpreisverleihung.
Trotz ihres späten Ruhms, den sie durch das Erlangen einiger der bahnbrechendsten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genetik erreicht hat, bleibt sie McClintock bodenständig und setzt ihre Arbeit in Cold Spring Harbor fort. In ihren letzten Jahren widmet sie sich der Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und reflektiert über die weitreichenden Implikationen ihrer Entdeckungen.
Barbara McClintock stirbt am 2. September 1992 im Alter von 90 Jahren. Ihr von intellektueller Neugier, Ausdauer und einer unerschütterlichen Hingabe zur wissenschaftlichen Forschung geprägtes Erbe machen sie zu einer der einflussreichsten Genetikerinnen in der Geschichte dieser Disziplin. Ihre Entdeckung der transponierbaren Elemente prägt die moderne Genetik, Biotechnologie und Medizin bis heute.
- https://profiles.nlm.nih.gov/spotlight/ll/feature/biographical-overview
- Nina V. Federoff, Barbara McClintock. 1902–1992 (Washington D.C. 1995)
- https://www.nature.com/scitable/topicpage/barbara-mcclintock-and-the-discovery-of-jumping-34083/
- https://mcclintock-lecture-series.research.cornell.edu/about-barbara-mcclintock/