Dr. Ricky Richardson und Captain Jack Sparrow
Was einen bahnbrechenden und visionären britischen Kinderarzt und den berüchtigtsten Piratenkapitän der Karibik verbindet.

Richard (Ricky) James Richardson wird 1947 in Reading, Südengland, geboren und wächst in Madrid auf, wo sein Vater bei einer Niederlassung der NATO beschäftigt ist. Seine Eltern sichern ihm einen Platz im prestigeträchtigen Eton College. Danach erwirbt er an der University of London einen Bachelor of Science in Zellbiologie und Immunologie mit Auszeichnung. 1973 schließt er sein Medizinstudium an der Middlesex Hospital Medical School in London ab. Nach drei Jahren als intern (etwa: Turnusarzt) und resident (etwa: Assistenzarzt) auf dem Gebiet der Inneren Medizin wechselt er auf das Fachgebiet der Pädiatrie, auf dem er sein ganzes Berufsleben tätig sein und für Fortschritt und positive Veränderung verantwortlich zeichnen wird.
Richardson arbeitet dann für mehrere Jahre im Ausland: 1979 für den Save the Children Fund in Westafrika und Nicaragua sowie weitere fünf Jahre in Brunei, wo er ein integriertes pädiatrisches Versorgungsmodell entwickelt und implementiert. Dazu gehört ein erfolgreiches Programm zur Förderung des Stillens, bei dem seine Ehefrau als Role Model mit gutem Beispiel vorangeht. Hier kommt er erstmals mit den gerade neu aufkommenden E-Health-Technologien in Berührung und nutzt diese, um telemedizinische Versorgung sicherzustellen.
1986 tritt Richardson als beratender Kinderarzt dem Great Ormond Street Hospital (GOSH) bei und erwirbt sich schnell den Ruf eines „hoch angesehenen Klinikers“.
Das Great Ormond Street Hospital wurde 1852 als erstes Kinderkrankenhaus Großbritanniens gegründet, um die mangelhafte medizinische Versorgung von Kindern in London zu verbessern. Der Kinderarzt Charles West initiierte das Projekt mit Unterstützung von Philanthropen und Gesundheitsreformern. Dank prominenter Fürsprecher wie Queen Victoria und Charles Dickens, der als Fundraiser eine Erweiterung möglich machte, expandierte das Krankenhaus. Die Expansion lief auch im 20. Jahrhundert weiter und das GOSH wuchs stetig, erlangte internationalen Ruf für Kinderheilkunde und wurde 1948 in den National Health Service (NHS) integriert. Heute ist es ein führendes Zentrum für spezialisierte pädiatrische Behandlungen.
Pionier der E-Health-Revolution: Wie Richardson das Gesundheitswesen transformierte
Früher als die meisten anderen erkennt Richardson das Potenzial der elektronischen Datenverarbeitung – in Form von elektronischen Patientenakten (EMR – Electronic Medical Records) – für das Gesundheitswesen. Die zu dieser Zeit noch recht neue Technologie und ihre Möglichkeiten sind dem Gesundheitspersonal weitgehend unbekannt. Die medizinische Fachwelt betrachtet EMR mit großer Skepsis und argumentiert in der Regel, dass es wesentlich länger dauert, Daten in einen Computer einzugeben, als handschriftliche Aufzeichnungen zu machen. Richard Kitney, Professor für biomedizinische Systemtechnik am Imperial College London, gibt zu Protokoll, dass Richardson einer der ersten Mediziner seiner Zeit war, der ein wesentliches Faktum erkannte: Nämlich, dass Patientendaten, sobald sie in elektronischer Form vorliegen, von überall abgerufen werden können und im Gegensatz zu Papierakten in der Regel nicht verloren gehen.
Um sein Wissen einer breiten Masse von Ärzten und Stakeholdern im Gesundheitssystem zugänglich zu machen, gründet Richardson 1992 „Richardson Consulting“, das Beratungsdienste für Telemedizin und E-Health anbietet. Neben zahlreichen nationalen und internationalen Rollen, die er in der Entwicklung von E-Health spielt, wird er 2004 als Gastprofessor für E-Health ans Imperial College London berufen.
Richardson wird zu einer international anerkannten Autorität in Bezug auf elektronische Patientenakten und des transformativen Potenzials, das sie beinhalten. Er leistet darüber hinaus kritische Beiträge zur Entwicklung eines universellen Standards für elektronische Bildgebungssysteme.
1999 wird Richardson zum Gründungsvorsitzenden der UK E-Health Association berufen. Er setzt sich stark für die Einbindung von Ärzten ein – zunächst als Mitglied des britischen Nationalen IT-Programms, das 2002 von Premierminister Tony Blair ins Leben gerufen wird. Das Programm entwickelt sich zu einem der kostspieligsten IT-Fehlschläge des Vereinigten Königreichs und wird 2011 wieder eingestellt – laut Richardson ist eine mangelnde Einbindung klinischen Personals dafür verantwortlich zu machen.
Ricky Richardson bleibt während seiner gesamten Karriere ein Verfechter des GOSH und des NHS Gleichzeitig baut er eine erfolgreiche Privatpraxis auf, weil er erkennt, dass es in London eine große Zahl von Expatriates gibt, die keinen Anspruch auf NHS-Versorgung haben.
Johnny Depp, Captain Jack Sparrow und die bewegende Geschichte einer Rettung
Einer davon ist der Schauspieler Johnny Depp. Der lebt 2006 mit seiner Familie in einem gemieteten Haus, um an den Dreharbeiten für den Film „Sweeney Todd“ teilzunehmen, in dem er die Hauptrolle spielt. Als seine Tochter schwer erkrankt, ruft Depp Richardson zu Hilfe, der das Kind sofort ins Great Ormond Street Hospital einliefern lässt.
Depp und seine damalige Frau Vanessa Paradis verbringen neun Tage lang am Krankenbett ihrer Tochter – und spenden später aus Dankbarkeit gegenüber der Institution und deren Personal eine Million Pfund an das GOSH. Der Star der Fluch der Karibik-Filmreihe sucht das Krankenhaus in voller Captain-Jack-Sparrow-Kostümierung auf, die extra aus Los Angeles eingeflogen wird, und besucht die jungen Patienten, liest ihnen Geschichten vor und sammelt Spenden für das GOSH.
Ein Vermächtnis der Innovation: Richardsons Einfluss auf die moderne Kinderheilkunde
Richardson ist die rare Spezies eines wahren Visionärs. Er spielt eine führende Rolle in einer Vielzahl erfolgreicher Projekte auf dem allgemeinen Gebiet der Gesundheitsversorgung für Kinder. Nachdem er vier Marathons gelaufen ist, um Spenden für Mobilitätshilfen für Kinder zu sammeln, hilft er bei der Gründung der Wohltätigkeitsorganisation Whizz Kidz. Diese wird zum größten Anbieter von Mobilitätshilfen für behinderte Kinder außerhalb des NHS und stellt mehr als 10.000 Kindern und Jugendlichen Rollstühle zur Verfügung.
Sein Interesse an den psychologischen Problemen mancher seiner Patienten und deren Familien führt in Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Arnon Bentovim im Jahr 2000 zur Gründung der Child and Family Practice (TCFP), einer privaten Klinik in London.
TCFP bietet Untersuchungen durch ein multidisziplinäres Team an, was in vielen Fällen zu einer schnellen Diagnose von überlappenden Grunderkrankungen führt. Dazu gehören Autismus, Angststörungen und Depressionen, Geschlechtsdysphorie und Essstörungen. Seine guten Kontakte zum GOSH, eine Zusammenarbeit mit der US-Botschaft in London und Verbindungen zu mehreren Public Schools (Privatschulen in der kontradiktorischen britischen Nomenklatur) ermöglichen es ihm, das beängstigende Projekt einer erfolgreichen Klinikgründung zu stemmen.
Richardsons Ansatz ist, immer aktiv zuzuhören und von seinen Patienten und deren Familien zu lernen. Er ist einer von wenigen Kliniker zu dieser Zeit, die den Einfluss von alltäglichen Herausforderungen auf das Wohlbefinden von neurodivergenten Personen, speziell von Mädchen im Teenager-Alter, erkennen. Richardson geht mit seinen Patienten sehr einfühlsam um und anerkennt schulischen Stress und andere soziale Probleme, die diese oft unterdiagnostizierte und missverstandene Gruppe betreffen.
Charismatisch und mit einem natürlichen Charme ausgestattet, pflegt Richardson einen großen Kreis einflussreicher Freunde und nutzt dieses Netzwerk geschickt für seine humanistischen und medizinischen Projekte. Seinen Freund Desmond Tutu, Nelson Mandelas klerikalen Partner im Kampf gegen die Apartheit in Südafrika, gewinnt Richardson als Botschafter für globale E-Health-Initiativen. Unter anderem unterstützt Tutu ein Projekt, bei dem vollständig ausgestattete, in Schiffscontainern untergebrachte mobile Primärversorgungseinheiten in entlegenen Gebieten Afrikas zur Verfügung gestellt werden.
Richardsons vielfältige Tätigkeiten auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung werden im Laufe der Jahre mit Fellowships des Royal College of Physicians und des Royal College of Paediatrics and Child Health wie von der Royal Society of Medicine und der Royal Society of Tropical Medicine and Hygiene gewürdigt.
2017 wird bei ihm Morbus Parkinson diagnostiziert. Am 11. November 2024 stirbt Richard James Richardson, FRCP, FRCPCH, FRSM, FRSTMH, an Lewy-Körper-Demenz infolge von Parkinson. Er hinterlässt seine Ehefrau, zwei Söhne und drei Enkelkinder.