13. Dez. 2024medonline Medizingeschichte #38

X-Strahlung: Wilhelm Conrad Röntgen

Wilhelm Conrad Röntgen wird am 24. März 1845 in dem heute zu Remscheid gehörenden Lennep im Rheinland als Sohn eines Textilhändlers und -produzenten geboren.

Wilhelm Conrad Röntgen
Foto: Public Domain/wikimedia

Seine Mutter stammt aus einer alten Lenneper Familie, die sich in der Vergangenheit in Amsterdam niedergelassen hatte. Als Conrad 3 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Apeldoorn in den Niederlanden.

Als Schüler wird er wegen der Karikatur eines Lehrers, die ein anderer Schüler angefertigt hat, die aber ihm zugeschrieben wird, von der Technischen Schule in Utrecht ausgeschlossen. Danach ist er zuerst als Student, dann als Lektor an den Universitäten in Utrecht, wo er Physik studiert, Zürich und Straßburg tätig. In Zürich erwirbt er ein Doktorat in Maschinenbau. Sein fehlendes Diplom verhindert zunächst, dass er selbst nach seiner Promotion eine Stelle an der Universität Würzburg bekommt. Nach Lehrtätigkeiten in Straßburg, Hohenheim und Gießen erhält er schließlich 1888 eine Einladung an die Universität in Würzburg, die er annimmt. Seine Experimente dort konzentrieren sich auf Lichtphänomene und andere Emissionen, die durch das Entladen von elektrischem Strom in sogenannten „Crookes-Röhren“ entstehen. Diese Glasröhren mit positiven und negativen Elektroden sind luftleer und zeigen bei der Durchleitung von Hochspannung ein fluoreszierendes Leuchten. Besonders interessiert ist er an Kathodenstrahlen und daran, ihre Reichweite außerhalb der geladenen Röhren zu untersuchen.

Röntgens Entdeckung der X-Strahlung

Am 8. November 1895 bemerkt Röntgen, dass, wenn er die Röhre mit schwerem schwarzem Pappkarton abschirmt, ein grün-fluoreszierendes Licht einen Platinbariumschirm in etwa drei Metern Entfernung zum Leuchten bringt – zu weit entfernt, um auf die Kathodenstrahlen zu reagieren, wie er sie versteht. Er stellt fest, dass die Fluoreszenz durch unsichtbare Strahlen verursacht wird, die von der Crookes-Röhre ausgehen, die er zur Untersuchung der Kathodenstrahlen (später als Elektronen erkannt) verwendet. Diese Strahlen durchdringen das undurchsichtige schwarze Papier, das die Röhre umhüllt. Weitere Experimente zeigen, dass dieser neue Strahlentyp in der Lage ist, die meisten Materialien, einschließlich der Weichteile des Körpers, zu durchdringen, jedoch Knochen und Metalle sichtbar zurücklässt. Der Erzählung nach gerät er beim Experimentieren mit seiner Hand zwischen die Kathodenröhre und den Leuchtschirm und blickt direkt auf die Schatten seiner Handknochen. Röntgen experimentiert mit fotografischen Platten und fertigt in einem frühen Versuch eine Abbildung der Hand seiner Frau Bertha an, deren Ehering deutlich sichtbar ist.

Röntgen nennt seine Entdeckung X-Strahlen. Im deutschen Sprachraum wie im gesamten mittel- und osteuropäischen Raum setzt sich im Unterschied zum Rest der Welt aber Röntgenstrahlung als Name durch.

Um seine Beobachtungen zu testen und die Datenlage zu verbessern, führt Röntgen sieben Wochen akribisch geplante und durchgeführte Experimente durch. Am 28. Dezember legt er seine erste „provisorische“ Mitteilung, „Über eine neue Art von Strahlen“, in der Zeitschrift der Würzburger Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft vor. Im Jänner 1896 hält er den ersten öffentlichen Vortrag vor derselben Gesellschaft. Im Anschluss an seinen Vortrag führt er seine Entdeckung vor: Er fertigt eine fotografische Platte aus der Hand eines anwesenden Anatomen an, der daraufhin vorschlägt, die Entdeckung „Röntgenstrahlen“ zu nennen.

Medizinische und nicht medizinische Anwendungen der Röntgenstrahlen

Die Nachricht verbreitet sich rasend schnell auf der ganzen Welt. Wenige wissenschaftliche Durchbrüche haben eine so unmittelbare Wirkung wie die Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen. Es ist ein folgenschweres Ereignis mit unmittelbaren und großen Auswirkungen auf die Bereiche Physik und Medizin. Einsatzmöglichkeiten entstehen erstaunlich schnell und innerhalb eines Jahres nach der Bekanntgabe seiner Entdeckung, ist die Anwendung von X-Strahlen in Diagnostik und Therapie fester Bestandteil in der Medizin.

Thomas Edison gehört zu jenen, die Röntgens Entdeckung weiterentwickeln wollen, und konstruiert ein handliches Fluoroskop. Sein Vorhaben, eine kommerzielle „Röntgenlampe“ für den häuslichen Gebrauch herzustellen, ist jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Geräte zur Herstellung von Röntgenstrahlen verbreiten sich aber schnell und es entstehen Studios, die „Knochenportraits“ anbieten, was das öffentliche Interesse und die Fantasie der Menschen weiter befeuern. Gedichte über Röntgenstrahlen erschienen in populären Zeitschriften und die metaphorische Verwendung der Strahlen taucht in politischen Karikaturen, Kurzgeschichten und in der Werbung auf. Detektive werben für die Verwendung von Röntgengeräten bei untreuen Ehepartnern, und Bleiunterwäsche wird zum Verkauf angeboten, die vor den durchdringenden Blicken von zu erwartenden Röntgenbrillenträgern schützen soll.

So wenig ernsthaft solche Reaktionen erscheinen, die medizinische Gemeinschaft erkennt schnell die Bedeutung von Röntgens Entdeckung. Im Februar 1896 werden Röntgenstrahlen in den USA in Dartmouth, Massachusetts, erstmals klinisch eingesetzt, als Edwin Brant Frost für seinen Bruder, einen ortsansässigen Arzt, eine fotografische Platte von der Colles-Fraktur eines Patienten herstellt. Bald werden Versuche unternommen, Metallstäbe einzusetzen oder radioopake Substanzen zu injizieren, um klare Bilder von Organen und Gefäßen zu erhalten – mit gemischten Ergebnissen. Die erste Angiografie, Bewegtbild-Röntgen und erste Anwendungen in der Militärradiologie werden Anfang 1896 durchgeführt.

Neben der diagnostischen Kraft der Röntgenstrahlen beginnen einige Forscher, die Strahlen zur Behandlung von Krankheiten einzusetzen. Seit dem frühen 19. Jahrhundert hat sich die Elektrotherapie zur vorübergehenden Linderung realer und imaginärer Schmerzen als populär erwiesen. Die gleichen Apparate können Röntgenstrahlen erzeugen. Im Jänner 1896, nur wenige Tage nach der Ankündigung von Röntgens Arbeit, bestrahlt ein Chicagoer Elektrotherapeut namens Emil Grubbe eine Frau mit wiederkehrendem Brustkrebs, und bis zum Jahresende stellen mehrere Forscher die palliative Wirkung der Strahlen auf Krebs fest. Andere finden bemerkenswerte Ergebnisse bei der Behandlung von Oberflächenläsionen und Hautproblemen, wieder andere untersuchen die mögliche antibakterielle Wirkung der Strahlen. Röntgenstrahlen finden sogar kosmetische Anwendungen in Enthaarungskliniken in den USA und Frankreich.

Für seine Entdeckung erhält Röntgen 1901 den ersten Physik-Nobelpreis. Auf die Frage, was seine Gedanken im Moment der Entdeckung waren, antwortet er: „Ich denke nicht, ich forsche.“ Heute gilt Röntgen als brillanter Experimentalforscher, der nie nach Ehrungen oder finanziellen Gewinnen für seine Forschung strebte. Einen ihm angebotenen Adelstitel lehnt er ab, sein Nobelpreisgeld spendet er seiner Universität. Zwar nimmt er den ihm von seiner Universität verliehenen Ehrendoktortitel der Medizin an, er schließt aber keine Patente auf Röntgenstrahlen ab, um sicherzustellen, dass die Welt frei von seiner Arbeit profitieren kann. Sein Altruismus ist jedoch mit erheblichen persönlichen Kosten verbunden. Als Röntgen 1923 stirbt, ist er wegen der hohen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg fast bankrott.