18. Okt. 2024medonline Medizingeschichte #34

Die Geschichte der plastischen Chirurgie

Der Begriff der plastischen Chirurgie leitet sich vom griechischen Wort „plastikos“ ab, was so viel wie „formen“ oder „gestalten“ bedeutet. Primitive plastische Eingriffe sind schon aus dem alten Ägypten bekannt.

Detail eines Kupferstichs aus "De Curtorum Chirurgia per Insitionem" („Über die Chirurgie der Verstümmelung durch Transplantation“) aus 1597 von Gaspare Tagliacozzi.
wikimedia/Public Domain
Detail eines Kupferstichs aus "De Curtorum Chirurgia per Insitionem" („Über die Chirurgie der Verstümmelung durch Transplantation“) aus 1597 von Gaspare Tagliacozzi.

Bereits im Jahr 1600 v. Chr. wird in ägyptischen Papyri plastische Chirurgie erwähnt, mit der gebrochene Nasen repariert werden. Im Jahr 1213 v. Chr. kommt sie bei der Mumifizierung von Ramses II. zum Einsatz. Die Präparatoren führen einen Eingriff an seiner Nase durch und fügen Knochen und Samen ein, um ihn im Jenseits als König erkennbar zu machen.

Um das Jahr 600 v. Chr. beginnt der indische Arzt Sushruta Pionierarbeit in der plastischen Chirurgie zu leisten und macht sich speziell um die Rekonstruktion und Wiederherstellung von Nasen verdient. In dem berühmten chirurgischen Kompendium „Sushruta Samhita“ (Sushrutas Kompendium oder Sammlung) beschreibt er die grundlegenden Prinzipien der plastischen Chirurgie. Auch die alten Römer führen einfache plastische Eingriffe durch, um ihr Aussehen zu verbessern und beispielsweise beschädigte Ohren zu rekonstruieren. Der römische Mediziner und Autor Aulus Cornelius Celsus beschreibt plastische Eingriffe im Gesicht, bei denen Haut von anderen Körperteilen transplantiert wird. Sein Werk dient für lange Zeit als Leitfaden für plastische Chirurgen.

Vom Orient in den Okzident – Plastische Chirurgie in Europa

Im 15. Jahrhundert wird die „Sushruta Samhita“ ins Arabische übersetzt, und die plastische Chirurgie verbreitet sich in Europa. Italienische Chirurgen wie Gustavo Branca und sein Sohn Antonio entwickeln Techniken zur Nasenkorrektur weiter. Sie verwenden Haut vom Unterarm anstelle von Stirn oder Wangen, um die Vernarbung zu minimieren.

Im 19. Jahrhundert wird der Begriff „plastische Chirurgie“ erstmals verwendet, um kosmetische Eingriffe zu beschreiben. Der deutsche Chirurg Karl Ferdinand von Graefe veröffentlicht seine bedeutende Arbeit mit dem Titel „Rhinoplastik“, eine Modifikation der italienischen Methode. Das Hauttransplantat wird in der „Sushruta Samhita“ wiederentdeckt, und Chirurgen wie Felix Jean Casimir Guyon und Jacques Reverdin beginnen 1869, fortschrittlichere Hauttransplantationstechniken zu entwickeln, die heutigen Methoden ähneln. 1895 wird die erste dokumentierte Brustvergrößerung durchgeführt, bei der Gewebe aus dem Rücken in die Brust transplantiert wird, um Asymmetrien zu korrigieren.

Innovationsmotor Krieg – Die plastische Chirurgie im 1. und 2. Weltkrieg

Während des Ersten Weltkriegs macht die britische plastische Chirurgie einen Quantensprung. Unter den neuen Bedingungen der industrialisierten Kriegsführung verursachen aus Maschinengewehren abgefeuerte Projektile und Fragmente explodierender Artilleriegranaten ein bis dahin unbekanntes Ausmaß an schweren Kopf- und Gesichtsverletzungen. Major Harold Gillies, ein Chirurg des Royal Army Medical Corps, richtet daraufhin ein Zentrum für die Rekonstruktion von Gesichtern im Queen Mary’s Hospital in Sidcup, Kent, ein. Dort wendet er bahnbrechende Verfahren an, welche die moderne plastische Chirurgie begründen. Gillies gilt in der Folge weithin als „Vater der plastischen Chirurgie“. Nach dem Krieg eröffnet er eine Privatpraxis und wird an verschiedenen renommierten Institutionen Berater für plastische Chirurgie. (Vgl. medonline Medizingeschichte #4: Harold Gillies und die Ursprünge der modernen plastischen Chirurgie)

Der Zweite Weltkrieg lenkt die innovativen Energien der plastischen Chirurgie auf die Rekonstruktion von Verbrennungen. In der sich massiv ausweitenden Luftkriegsführung können sich Flugzeugbesatzungen oft nicht rechtzeitig aus ihren in Brand geschossenen Maschinen retten und erleiden schwerste Verbrennungen. Archibald McIndoe spezialisiert sich darauf, die Gesichter von im Krieg verbrannten Fliegern wiederherzustellen. Darüber hinaus werden unter den Notwendigkeiten des Krieges viele neue Techniken in der plastischen Chirurgie entwickelt, wie die Rekonstruktion ganzer Gliedmaßen, umfassende Hauttransplantationen für Brandopfer sowie Mikrochirurgie. Auch das Wissen über Gewebegesundheit und Antikörper nimmt zu. 1942 führen Gillies und McIndoe Operationen an verbrannten Fliegern vor Medienvertretern durch, was die plastische Chirurgie ins öffentliche Bewusstsein rückt. Nach dem Krieg ist sie nicht zuletzt deswegen weitgehend akzeptiert. Die anfängliche Zurückhaltung gegenüber solchen Eingriffen nimmt ab, und es entstehen professionelle Organisationen, die die Branche legitimieren.

Plastische Chirurgie als Lifestyle

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg macht die plastische Chirurgie große Fortschritte. Sie wird von der Öffentlichkeit zunehmend akzeptiert und unter den Bedingungen des zunehmenden Hedonismus im wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit von Frauen und Männern gleichermaßen genutzt, um ihr gewünschtes Aussehen zu erreichen. Das steigende Interesse führt zu sinkenden Kosten für derartige Eingriffe. Plastische Chirurgen entwickeln innovative Techniken, um die Auswirkungen des Alterns auf Gesicht und Körper zu reduzieren oder um Körperteile wie Nase und Brust zu formen.

In den 1960er- und 1970er-Jahren gewinnt Silikon, ein neu entwickeltes Material, an Popularität. 1962 führt Dr. Thomas Cronin die ersten Silikon-Brustimplantate ein. In den 1980er- und 1990er-Jahren steigt das Interesse an plastischer Chirurgie weiter an, nicht zuletzt wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Hochkonjunktur. Nicht-chirurgische Verfahren wie injizierbare Filler und Laserbehandlungen werden als Alternative für kosmetische Verbesserungen eingeführt. Heute gibt es eine Vielzahl solcher nicht-invasiver Optionen, die weltweit immer beliebter werden.

Plastische Chirurgie entwickelt sich durch neue Technologien und andere Fortschritte kontinuierlich weiter und ist in der Welt der „sozialen“ Medien zu einer Angelegenheit des Lifestyle geworden. Im Jahr 2023 wurden weltweit etwa 34,9 Millionen ästhetische Eingriffe durchgeführt, rund 15,8 Millionen chirurgische Eingriffe und 19,1 Millionen nicht-chirurgische Verfahren.