12. Juli 2024medonline Medizingeschichte #27

Der Herr (Dr.) Karl – Leopold Schönbauer

Leopold Schönbauer wird am 13.11.1888 im niederösterreichischen Thaya in eine angesehene Arztfamilie geboren.

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Er besucht das Gymnasium im südböhmischen Prachatitz, dem heutigen Prachatice in Tschechien. Nachdem er dort im Jahr 1907 die Matura abgelegt hat, studiert er an der Karl-Ferdinands-Universität (der Deutschen Universität) in Prag Medizin. 1914 schließt er das Studium sub auspiciis imperatoris ab.

Als das habsburgische Österreich die diffizile europäische Bündnisarchitektur nach dem Attentat von Sarajewo mit seiner Kriegserklärung an Serbien über die Schwelle des Krieges treibt, wird Leopold Schönberger eingezogen. Er dient aber nur kurz und wird 1915, nach einer erlittenen Schussverletzung, wieder aus dem Kriegsdienst entlassen.

1916 kommt Schönbauer zu einer mobilen Chirurgengruppe an der I. Chirurgischen Universitätsklinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus bei Anton v. Eiselsberg. 1919 wird er dort zum Assistenten berufen. 1924 habilitiert er sich an der Universität Wien für Chirurgie und tritt einen mehrmonatigen, von der Rockefeller Foundation geförderten Studienaufenthalt in Boston, Massachusetts, bei Harvey Cushing, dem Begründer der Neurochirurgie, an.

Leopold Schönbauer, das rote Wien und der Austrofaschismus

1930 macht ihn Wiens Bürgermeister Karl Seitz zum Leiter der chirurgischen Abteilung im städtischen Krankenhaus Lainz. 1931 übernimmt er dort das strahlentherapeutische Institut, das sich auf die Behandlung von Krebs spezialisiert hat – eine der ersten derartigen Behandlungsstätten weltweit. 1933 wird Leopold Schönbauer schließlich außerordentlicher Professor.

Neben seiner akademischen Karriere, mit einer großen Anzahl von teils vielbeachteten Publikationen, weiß sich Schönbauer auch auf der Ebene des Politischen geschickt zu bewegen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitet er eng mit den Institutionen des Roten Wien zusammen. Es ist auch sein Förderer Seitz, der ihm angeblich den Rat gibt, das Krankenhaus Lainz als politikfreien Raum zu führen.

Die austrofaschistischen Säuberungen übersteht der politisch nicht eindeutig zuordenbare Schönbauer unbeschadet. Im September 1938 wird er zum Direktor der Chirurgischen Klinik an der Deutschen Universität Prag ernannt, tritt diesen Posten aber wegen des heraufziehenden Zweiten Weltkriegs nie an. Stattdessen wird er 1939 Vorstand und Ordinarius an der I. Chirurgischen Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus, wo er im Zweiten Weltkrieg seine Klinik zu einem großen Lazarett ausbaut und als Zentrum für Neurochirurgie etabliert. Darüber hinaus gründet er ein Sonderlazarett für Gehirn-, Rückenmarks- und Nervenverletzungen mit angeschlossenem Rehabilitationszentrum.

Leopold Schönbauer in der Zweiten Republik

In den letzten Kriegstagen verhindert Schönbauer durch persönlichen Einsatz ohne Rücksicht auf seine eigene Unversehrtheit, dass das Allgemeine Krankenhaus zum Schauplatz von Kampfhandlungen wird. Nach Kriegsende wird er kurz seiner Positionen enthoben. Durch den persönlichen Einsatz von Adolf Schärf kann er unter Anwendung einer Ausnahmeregelung des Verbotsgesetzes (§27 des NS-Verbotsgesetz vom Mai 1945) auf seine Person rasch und ohne berufliche oder wirtschaftliche Nachteile entnazifiziert werden.

Das Allgemeine Krankenhaus führt Schönbauer noch bis 1961 als Direktor. 1953/54 bekleidet er das Amt des Rektors der Universität Wien. Von 1959–1962 ist er Abgeordneter zum Nationalrat für die ÖVP, steigt zu einer populären Figur der österreichischen Nachkriegsgesellschaft auf und wird zeitweise sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Am 11. September 1963 verstirbt Leopold Schönbauer an einem Herzinfarkt und wird in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof in Wien bestattet.

Das ist die Geschichte Schönbauers, wie sie bis in die jüngste Vergangenheit tradiert wurde ...

Leopold Schönbauer … der Herr Dr. Karl

Allgemein bekannt, aber lange Zeit wenig beachtet ist aber die Tatsache, dass Schönbauer im Nationalsozialismus zum ordentlichen Professor, zum Vizedekan der Medizinischen Fakultät, zum Leiter der I. Chirurgischen Universitätsklinik und zum Beiratsmitglied der Hauptabteilung E (Gesundheitspolitik und Volkspflege) der Gemeindeverwaltung in Wien ernannt wurde. Positionen, die man ohne Naheverhältnis zum NS-Staat nicht erlangen konnte.

Darüber hinaus war er war Mitglied der NSDAP, förderndes Mitglied der SS und Träger des „Silbernen Treuedienstabzeichens“ der NSDAP. An seiner Abteilung im AKH wurden Patienten zwangssterilisiert, die nach der NS-Ideologie als nicht erbgesund galten. Im Mai 1943 stand er auf der Teilnehmerliste einer Tagung in der Militärärztlichen Akademie in Berlin, zu der die Elite der NS-Ärzteschaft geladen war. Dort berichteten ausgewählte Ärzte von ihrer Forschung am Menschen, unter anderem von unmenschlichen Experimenten, die an KZ-Häftlingen durchgeführt wurden (siehe die medonline-Medizingeschichte #25 über den Nürnberger Ärzteprozess).

In den 1950er-Jahren war er gern gesehener Gast bei Veranstaltungen deutschnationaler Burschenschaften, nahm im Dezember 1953 an der rechten Heldengedenkfeier in der Universitätsaula teil und protegierte die Antrittsvorlesung des NS-belasteten Theaterwissenschaftlers Heinz Kindermann. Schönbauer publizierte in der einschlägigen Zeitschrift Die Aula und trat als Fürsprecher Sigbert Ramsauers auf, des berüchtigten Arztes der Konzentrationslager Dachau, Mauthausen und Loibl.

Bei genauerer Betrachtung erkennt man Leopold Schönbauer als großen Profiteur der nach 1945 vorhandenen österreichischen Sehnsucht nach einer kollektiven Amnesie und als Paradebeispiel dafür, wie weit man es als situationselastischer Opportunist in diesem Land bringen konnte. Carl Merz und Helmut Qualtinger nahmen in ihrem Programm Blattl vorm Mund direkt Bezug auf Leopold Schönbauer und dessen prototypische Qualitäten im post-nationalsozialistischen Österreich. Ein Schelm, wer denkt, dass auch Der Herr Karl – ihr fiktiver Monolog eines opportunistischen NS-Mitläufers – seine Anleihen an ihm nimmt.