12. Juli 201850 Jahre Medical Tribune

Pionier der Transplantationschirurgie

Er gilt als Österreichs bekanntester Transplantationschirurg: Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter. Seine spektakulärsten Erfolge fallen zeitlich mit den fünf MT-Jahrzehnten zusammen. Im Interview gewährt er ungeschminkte Einsichten. (Medical Tribune 26/18)

Die erste Herztransplantation erfolgte 1967, doch die Ergebnisse waren lange Zeit bescheiden – erst in den 1980er Jahren stellten sich Erfolge ein.

Sie sind 1967 als Assistenzarzt an die Innsbrucker Chirurgie zurückgekehrt, im Jahr der spektakulären Herztransplantation durch Christiaan Barnard. War da schon Ihr Interesse an der Transplantationsmedizin geweckt?

Margreiter: Damit habe ich mich damals überhaupt nicht beschäftigt. Da ich bereits in Salzburg neben den Gegenfächern für Chirurgie auch ein halbes Jahr Unfallchirurgie absolviert hatte, habe ich in Innsbruck die Ausbildung in diesem Fach fortgesetzt. Aber etwa ein Jahr vor Erreichen der Facharztreife habe ich mich entschlossen, an die Allgemeinchirurgie zu wechseln. Obwohl es kaum ein anderes Fach gibt, in dem der Behandlungserfolg so offensichtlich ist, war mir die Traumatologie doch zu mechanistisch.

Wie kamen Sie zur Transplantation?

Margreiter: 1965 und 1967 hatte man in Innsbruck zwei Nierentransplantationen durchgeführt. Diese waren chirurgisch erfolgreich, beide Patienten verstarben jedoch an Infektionen als Folge der Immunosuppression, sodass man sich entschlossen hat, vorerst keine weiteren Transplantationen durchzuführen. 1973 hat der Nephrologe Prof. Dittrich den Oberarzt an der Gefäßchirurgie Gerhard Hilbe gefragt, ob er nicht bereit sei, ein Nierenprogramm aufzubauen. Hilbe hat zugestimmt und mich gefragt, ob ich das Projekt mit ihm in Angriff nehmen wolle. Er ging kurz darauf für ein Jahr nach Amerika. Währenddessen habe ich mich bemüht, die Hirntod-Bestimmung sowie die Gewebstypisierung zu etablieren wie auch ein Perfusionsgerät für Nieren zu beschaffen. Als Hilbe 1974 zurückkam, wechselte er von der Gefäß- auf die Herzchirurgie, verließ aber nach wenigen Monaten das Haus. Da ich drei jüngere Kollegen hatte, die sich bereit erklärten, mir zu helfen, habe ich mich entschlossen, die Sache selbst anzugehen. Und so haben wir 1974 unsere erste Niere, 1977 unsere erste Leber und 1979 das erste Pankreas transplantiert.

Wie waren damals die Rahmenbedingungen?

Margreiter: An Infrastruktur war außer einem Zweibettzimmer ohne Nasszelle praktisch nichts vorhanden, weder eine Arztstelle noch eine Sekretärin oder gar ein Koordinator. Die Transplantationen mussten meistens auf die Nachtstunden verschoben werden, da untertags keine Kapazitäten frei waren. In der Anfangsphase stand mir an den Wochenenden untertags kein Pflegepersonal zur Verfügung, sodass ich gezwungen war, auch diesen Bereich selbst abzudecken. Die Ergebnisse der Nierentransplantation waren in den ersten Jahren mit 65 Prozent Ein-Jahres-Funktionsraten nicht berauschend, aber besser als an den meisten anderen Zentren. Mit der Leber und der Bauchspeicheldrüse verhielt es sich ähnlich. 1980 hatten wir das Glück, zur ersten Cyclosporin-Studie eingeladen zu werden. Die Ein-Jahres- Ergebnisse mit diesem neuen Medikament gingen schlagartig auf 84 Prozent und die Mortalität sank von etwa acht auf ein Prozent.

Wie kam es zur ersten Herztransplantation?

Margreiter: Nach der ersten Herztransplantation in Kapstadt 1967 wurden weltweit über 100 Herzverpflanzungen mit katastrophalen Ergebnissen durchgeführt, sodass die meisten Zentren diese Aktivitäten eingestellt haben. Nachdem durch Cyclosporin auch auf diesem Gebiet die Ergebnisse signifikant verbessert werden konnten, haben in den frühen 1980er Jahren mehrere Abteilungen wieder angefangen, Herzen zu transplantieren. Bereits 1982 hat sich ein Mann für eine Herztransplantation bei uns auf die Warteliste setzen lassen. Leider ist er verstorben, noch bevor wir ein geeignetes Organ finden konnten. Im Spätsommer 1983 wurde uns ein 54-jähriger Patient vorgestellt, der wegen eines exzessiv hohen pulmonalen Gefäßwiderstandes von München, dem damals einzigen Herz-Transplantationszentrum im deutschen Sprachraum, abgelehnt worden war. Wir haben das Problem durch eine heterotope Transplantation gelöst, obwohl man vonseiten des damaligen Rektors und auch Dekans versucht hat, diesen Eingriff zu verhindern. Ich habe die beiden Herren wissen lassen, dass sie wohl für Forschung und Lehre, nicht aber für Patientenversorgung zuständig seien.

Warum haben Sie 1987 die Herztransplantationen eingestellt und erst 1993 wieder aufgenommen?

Margreiter: Wir waren damals gezwungen, die Patienten postoperativ auf die anästhesiologische Intensiv- Pflegestation zu legen. So mussten wir häufig Transplantationen wegen Platzmangels auf dieser Station absagen. Der letzte Anlass, diese Tätigkeit einzustellen, war eine 35-jährige Frau aus dem Land Salzburg, für die wir fünf Mal ein geeignetes Spenderorgan hatten, die Transplantation aber jeweils aus dem genannten Grund absagen mussten. Ich habe es für sinnlos und auch unethisch gehalten, unter diesen Bedingungen weiterzumachen und die Patienten so um ihre oftmals einzige Chance zu bringen.

Haben Sie einen Wirbel gemacht?

Margreiter: Der Wirbel ist durch die Medien entstanden, die uns sehr unterstützt haben. Von der Fakultät habe ich damals überhaupt keine Unterstützung erhalten wie auch von der Krankenhausleitung, wobei man für letztere Verständnis aufbringen muss, waren doch etwa 90 Prozent unserer Patienten Nicht-Tiroler, für die das Krankenhaus keinen Groschen bekam. Die universitäre Abteilungsstruktur wurde vom damaligen Wissenschaftsminister Heinz Fischer geschaffen, den Beschluss für die Errichtung einer Krankenstation hat Landesrat Fritz Greiderer herbeigeführt, wofür ich beiden Herren heute noch zu großem Dank verpflichtet bin. Das Programm wieder aufgenommen haben wir 1993, nachdem wir diese Station mit sechs Intensivpflegeplätzen bekommen haben.

Aber irgendwann waren Sie doch für die Klinik und die Universität ein Aushängeschild.

Margreiter: Dazu beigetragen hat sicherlich, dass uns eine Reihe von Transplantationen erstmals weltweit, im Eurotransplant-Raum oder in Österreich gelungen sind. Dazu kommt, dass wir wahrscheinlich das einzige Zentrum weltweit waren, das sämtliche Organe inklusive Hände transplantiert hat. Darüber hinaus konnten wir innerhalb einer Abteilung auch temporären Ersatz für jede Form von Organfunktionsverlust anbieten. Möglich geworden ist dies nur durch die eigene Abteilung und eine Infrastruktur, wie man sie sich nicht besser hätte wünschen können.

Wie hat Ihre eigene Forschungstätigkeit ausgesehen?

Margreiter: Nachdem unser Nieren-, Pankreas- und Leberprogramm Anfang der 1980er Jahre schon recht gut lief, war mir klar, dass diese Form der Chirurgie von Forschung begleitet werden muss, und so habe ich 1981 zusammen mit einem Onkologen begonnen, ein Forschungslabor aufzubauen. Dieses wurde in der Folge zum D. Swarovski- Forschungslabor für Transplantationsbiologie ausgebaut. Dort wurden alle Transplantationen zuerst im Ratten- und dann auch im Mausmodell etabliert, um verschiedenste Aspekte zu beforschen. Daneben war ich im Jahr 2000 Mitbegründer des Tiroler Krebsforschungsinstitutes.

Wie sehen Sie die Situation Ihrer Nachfolger?

Margreiter: Die haben es heute insofern nicht leicht, als die Ergebnisse in der Transplantation bereits so gut sind, dass keine Pharmafirma bereit ist, Geld in die Erforschung neuer Immunosuppressiva zu investieren. Dazu kommt, dass die technischen Probleme bereits Ende des letzten Jahrtausends weitgehend gelöst waren. Zudem habe ich größte Zweifel, ob die Induktion von spezifischer Immuntoleranz und die Xenotransplantation, die zwei Hauptforschungsgebiete der letzten Jahrzehnte, je klinische Realität werden.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune