Macht Cannabis psychotisch?
Eine britische Studie weist darauf hin, dass täglicher Cannabiskonsum das Risiko, an Psychosen zu erkranken, um das Dreifache steigert. Handelt es sich dabei um Hanfprodukte mit hohem Gehalt an der psychoaktiven Substanz THC, erhöht sich das Risiko um knapp das Fünffache.
Cannabis-Produkte sind auf dem Vormarsch – auch in Österreich. In der ambulanten drogenspezifischen Behandlung hat Cannabis als Leitdroge den Opioiden mittlerweile den Rang abgelaufen; zwischen 2006 und 2013 waren Cannabinoide für 35 Prozent der Behandlungen verantwortlich. Schätzungen zufolge haben 20–40 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 14 und 24 Jahren hierzulande schon einmal Bestandteile der Blütenstände oder des Harzes der Hanfpflanze zu sich genommen.1
Eine Mitte März 2019 erschienene Studie in The Lancet Psychiatry untersuchte nun den Konsum von Cannabis und seine Folgen für die psychische Gesundheit und zeigt Zusammenhänge zwischen Cannabiskonsum und dem Entstehen von Psychosen.2
Studie an 901 Patienten und 1237 Kontrollen
Die multizentrische Fall-Kontroll-Studie der Forschergruppe um Marta Di Forti vom Institut für Psychiatrie, Psychologie und Neurowissenschaften am Londoner King’s College untersuchte die Inzidenz von Psychosen in elf europäischen und einem brasilianischen Zentrum. Neben Städten, in denen Cannabis leicht und in hoher Reinheit verfügbar ist (wie London und Amsterdam), wurden auch Probanden aus Städten mit vergleichsweise niedrigem Gebrauch untersucht (wie Barcelona, Paris oder Bologna). Dazu analysierten die Forscher Daten von Personen zwischen 18 und 64 Jahren, die zwischen 2010 und 2015 aufgrund eines erstmaligen Auftretens einer Psychose in einer an der Studie teilnehmenden psychiatrischen Einrichtung vorstellig wurden.
Danach verglichen sie die 901 Patienten mit einer soziodemographisch vergleichbaren Kontrollgruppe aus 1237 gesunden Personen. Von den Studienteilnehmern wurden Informationen über ihre Krankengeschichte sowie Daten zur Verwendung von Cannabis und anderen Freizeitdrogen gesammelt. Die von ihnen verwendeten Cannabis-Produkte wurden nach dem Gehalt von Tetrahydrocannabinol (THC) als niedrigpotent (<10% THC) oder hochpotent (>10% THC) klassifiziert. Neben Angaben der Probanden und psychiatrischen Befunden wurden auch Analysen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) sowie lokale Daten zur amtlich gemeldeten Zusammensetzung der verfügbaren Cannabis-Produkte aufgenommen.
Dreimal höheres Risiko bei täglichem Konsum von Cannabis
Täglicher Cannabisgebrauch war dabei bei den Patienten mit psychotischer Erstdiagnose mit 29,5 Prozent wesentlich häufiger als in der Kontrollgruppe mit nur 6,8 Prozent. Bei Konsumenten hochpotenter Cannabis-Produkte waren die Psychosen besonders häufig: 37,1 Prozent nahmen diese in der Patientengruppe zu sich, während in der Kontrollgruppe nur 19,4 Prozent Erfahrungen damit hatten.
Nach Bereinigung für andere Faktoren sahen die Autoren, dass in allen elf Städten Personen, die täglich Cannabis konsumierten, ein dreimal höheres Risiko hatten, eine Erstdiagnose einer Psychose zu bekommen, verglichen mit Personen, die Cannabis nie verwendeten (OR: 3,2; 95%-KI: 2,2–4,1). Das Risiko erhöhte sich auf beinahe fünf Mal, wenn täglich ein hochpotentes Cannabis konsumiert wurde (4,8; 2,5–6,3). Die Autoren schätzen, dass jede fünfte neu auftretende Psychose mit täglichem Cannabisgebrauch assoziiert ist (20,4%), und eine von zehn (12,2%) mit dem Gebrauch von hochpotentem Cannabis.
Auf Basis ihrer Daten berechneten die Forscher die theoretischen Auswirkungen auf das Bevölkerungsniveau: Würden hochpotente Cannabis-Produkte mit einem THC-Gehalt von über 10 Prozent vom Markt verschwinden, könnten insgesamt 12,2 Prozent der Ersterkrankungen der Psychosen verhindert werden – in London sogar 30,3 Prozent und in Amsterdam 50,3 Prozent. Der Ergebnisbericht zur Drogensituation 2018 des österreichischen Sozialministeriums zeigt, dass der THC-Gehalt in den hierzulande im Umlauf befindlichen Cannabis-Produkten in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. Für Blütenstände der Hanfpflanze lag er im Jahr 2018 durchschnittlich bei 9,6 Prozent (2008: 7,12%), für das Cannabis-Harz Haschisch bei 13,2 Prozent (2008: 10,9).
Studie zeigt Diskussionsbedarf bei Legalisierung von Cannabis
Obwohl die Fall-Kontroll-Studie nicht beweisen kann, dass Cannabis tatsächlich der Grund für mehr psychiatrische Erkrankungen ist, fügt sie sich in die wachsende Evidenz dafür aus vielen epidemiologischen Studien ein. In einem begleitenden Kommentar in The Lancet Psychiatry warnt die Expertin für psychologische Epidemiologie Dr. Dr. Suzanne H. Gage von der University of Liverpool jedoch vor voreiligen Schlüssen, denn: „Es könnte auch sein, dass die Assoziation zwischen Cannabis und Psychosen in beide Richtungen funktioniert.“
Erstatutorin Di Forti sagt dazu: „Unsere Daten zeigen auch zum ersten Mal, dass der Gebrauch von Cannabis die Inzidenz psychotischer Erkrankungen in der Bevölkerung steigert. Wenn über eine Legalisierung von Cannabis nachgedacht wird, etwa im medizinischen Bereich, ist es daher wichtig, auch über potenzielle Nebenwirkungen zu sprechen, die mit täglichem Cannabiskonsum einhergehen, vor allem bei Verwendung hochpotenter Varianten.“
Referenzen
1 Ergebnisbericht zur Drogensituation 2018 Österreich des Sozialministeriums. https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/0/0/3/CH4005/CMS1545140953803/bericht_zur_drogensituation_2018__0fehler.pdf, abgerufen am 19.03.2019
2 Di Forti M et al. (2019): The contribution of cannabis use to variation in the incidence of psychotic disorder across Europe (EU-GEI): a multicentre case-control study. The Lancet Psychiatry. DOI: 10.1016/S2215-0366(19)30048-3