Krebsdiäten auf dem Prüfstand
Die Diskussion, ob sich Tumorerkrankungen durch eine bestimmte Ernährungsform günstig beeinflussen lassen, wird kontrovers und zum Teil sehr emotional geführt. Insbesondere die ketogene, nahezu kohlenhydratfreie Kost ist in jüngster Zeit in den Fokus gerückt. (Medical Tribune 19-20/20)
Ketonkörper werden aus Fettsäuren hauptsächlich in der Leber gebildet und entstehen vermehrt beim Fasten durch den Fettabbau – oder aber bei sehr fettreicher Ernährung. Eine ketogene Kost besteht aus 70–80% Fett, 20% Proteinen und nur 5–10% Kohlenhydraten. Das „Aushungern“ von Krebszellen – wie zum Teil in der Laienpresse dargestellt – ist nicht die Rationale hinter einer ketogenen Ernährung bei Krebserkrankungen, betonte Prof. Dr. Monika Reuss-Borst, niedergelassene Onkologin und Ernährungsmedizinerin aus Bad Bocklet.
Vielmehr geht es primär um einen geänderten Metabolismus im Gesamtkörperstoffwechsel. Dies beinhaltet eine Reduktion von Insulinresistenz und Entzündungsreaktionen sowie eine Verminderung des Katabolismus und damit auch des Muskelabbaus. Sekundär kann sich der geänderte Stoffwechsel auf die Tumorzellen auswirken. Dies sei z.B. durch verringerte wachstumsfördernde Entzündungsmediatoren der Fall, ausgebremste Insulin- bzw. Glukosespitzen als krebswachstumsfördernde Faktoren oder den möglichen wachstumshemmenden Effekt des Ketonkörpers 3-Hydroxybutansäure (3-OHB). Um die Diskussion über die am besten geeignete „Krebsdiät“ auf eine wissenschaftlichere Basis zu heben, verglichen Forscher in der KOLIBRI-Studie drei verschiedene Ernährungsformen bei Patientinnen mit Mammakarzinom im Rehabilitations-Setting. In der monozentrischen, offenen und nicht randomisierten Interventionsstudie konnten die Teilnehmerinnen frei zwischen drei Diätformen wählen:
- Mischkost (28–31% Fett bzw. Protein, 52% Kohlenhydrate)
- kohlenhydratreduzierte Kost (40–50% Fett, jeweils 20–30% Proteine und Kohlenhydrate)
- ketogene Ernährung (80–85% Fett, 16–18% Proteine, 2–4% Kohlenhydrate)
Höchste Proteinaufnahme in der Keto-Gruppe
Die Frauen waren mit einem mittleren Alter von 50 Jahren relativ jung und überwiegend in einem guten Allgemeinzustand. Alle wurden während der dreiwöchigen stationären Reha intensiv geschult, führten die Ernährungsweise über insgesamt 20 Wochen zu Hause weiter fort und hielten sie in einem Tagebuch fest. Die Teilnehmerinnen in der Keto-Gruppe starteten im Mittel mit einem etwas niedrigeren BMI und wiesen häufiger bereits Metastasen auf. In die Analyse gingen bei ursprünglich 152 Patientinnen die Daten von 20 Frauen mit jeweils ketogener und Mischkost und 76 mit Low-Carb-Diät ein.
Wie erwartet fiel die Fettaufnahme in der Keto-Gruppe deutlich höher aus als unter den anderen beiden Diätformen, was die gute Adhärenz widerspiegelte. Die Deutsche Krebshilfe empfiehlt Krebspatienten, pro Tag 1,2–1,5 g Protein/kgKG zu sich nehmen. Dies gelang nur im Keto-Arm mit einem mittleren Wert von 1,3 g/kgKG (Low Carb 1,1 g/kgKG). Patientinnen unter der Mischkost schnitten mit einem mittleren Wert von 0,9 g/kgKG signifikant schlechter ab im Vergleich zu den anderen Ernährungsformen. Auch hinsichtlich der Energieaufnahme war die Keto-Gruppe ganz vorn – mit einer ca. 30 % höheren Kalorienaufnahme im Vergleich zu den anderen Armen. Das Gewicht reduzierte sich bei dieser Diät nicht relevant.
Ketogene Kost steigert Leistungsfähigkeit
Die Sorge, dass eine ketogene Ernährungsweise Krebskranken keine ausreichende Proteinzufuhr und Kalorienaufnahme ermöglicht und so einer Kachexie Vorschub leisten könnte, scheint somit unberechtigt, sagte die Onkologin. Insgesamt schienen die Frauen von der ketogenen Kostform zu profitieren: Sie hatten eine deutlich günstigere Muskel-Fett-Relation und eine signifikant höhere körperliche Leistungsfähigkeit. Über 36 % dieser Patientinnen erreichten zum Studienende die höchsten Fitnesskategorien nach Cooper „gut“ oder „hoch“ – erstaunlich viele für eine Gruppe, von der bereits über ein Viertel Metastasen aufwies, betonte Reuss-Borst. Natürlich hat auch diese Ernährungsstudie Limitationen: Die Referentin nannte die fehlende Randomisierung, die Tatsache, dass viele Frauen bereits Vorerfahrungen mit der jeweiligen Kostform hatten, und die relativ kurze Studiendauer von vier Monaten. Positiv seien hingegen Schulung, umfangreiche Diagnostik, Überwachung und gute Adhärenz.
Herbstkongress der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie 2019