28. Nov. 2023Tückischer Aufguss

Fencheltee: Estragol bringt Leber und Erbgut in Gefahr

Fencheltee ist seit jeher gegen Blähungen im Einsatz – vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern. Doch gerade bei ihnen sollte man mit dem Aufgussgetränk vorsichtig sein.

Close-Up of original  organic boiled water (Tea or kada ) with Sonf  or Fennel seed ( Foeniculum vulgare ) in a transparent glass cup over white background. Original residue in bottom of tea cup
Prashant ZI/AdobeStock
Der Estragol­gehalt in den ­Fenchel­tees schwankt stark.

Fencheltee ist als natürliches Mittel zur Behandlung von Bauchschmerzen und Blähungen bei Säuglingen weit verbreitet und auch bei stillenden Müttern beliebt. Tatsächlich sind Effektivität und Sicherheit des Nahrungsmittels nicht ausreichend bewiesen, warnt Prim. Prof. DDr. Peter Voitl, Medizinische Universität und Sigmund-Freud-Privatuniversität, Wien.1 Grund zur Sorge bietet das im Fenchel enthaltene Estragol. In mehreren Studien wurden der Substanz krebserregende und genotoxische Eigenschaften zugeschrieben.

Bereits im Jahr 2007 hatte der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) die Anwendung süßer Fenchelprodukte erst für Kinder ab 4 Jahren empfohlen und stillenden Müttern vom Konsum abgeraten.

Die aktuellste Richtlinie stammt aus dem Frühjahr 2023 und bezieht die neuesten Erkenntnisse aus Tierversuchen in die Bewertung mit ein.2 Die Studien bestätigen eine Hepatokanzerogenität und erbgutverändernde Eigenschaften für hohe Dosen Estragol bei Nagetieren. Die Autorinnen und Autoren der Richtlinie gehen davon aus, dass sich der Wirkmechanismus auf den Menschen übertragen lässt.

Der Estragolgehalt in Fencheltees schwanke außerordentlich stark, betont Voitl. In den getesteten Produkten bewegte er sich zwischen 78µg/l und 4.634µg/l. „Bedenkt man zusätzlich, dass Fenchel auch in einzelnen Babynahrungsmitteln in Breiform enthalten ist, so muss die tatsächlich erreichte bzw. erreichbare Tagesdosis ungewiss bleiben und kann möglicherweise dem hepatotoxischen Bereich durchaus nahekommen“, erklärt der Wissenschaftler. „In Summe muss empfohlen werden, estragolhaltige Produkte so wenig wie möglich anzuwenden und die Gabe auf ein kurzes Zeitintervall zu beschränken.“ Garantiert werden müsse zudem die korrekte pharmakologische Zubereitung des Tees mit einem standardisierten Estragolgehalt im sicheren Dosisbereich.

Gut zu wissen

Bei Kindern von 4–11 Jahren sollte die Exposition gegenüber Estragol so gering wie möglich gehalten werden und die Anwendung 1µg pro kg Körpergewicht am Tag nicht überschreiten. Stillende und Schwangere sollten Estragon-haltige Heilmittel oder Tees nicht zu sich nehmen.

  • Der geschätzte tägliche Konsum von Estragol durch Fencheltee lag einer österreichischen Untersuchung zufolge bei Frauen zwischen 0,32 und 6,42µg pro kg Körpergewicht und Tag. Bei geringem Estragol-Gehalt des Tees wäre die „sichere“ Estragol-Menge nicht überschritten, aber bei Höchstmengen schon. Bei 60kg Körpergewicht wären Höchstmengen von 385µg täglich möglich – ungefähr das 7-Fache der empfohlenen Menge.
  • Der Gehalt von Estragol lag in den untersuchten Tees in einem weiten Bereich zwischen 78,0µg/l und 4633,5µg/l. Bei Säuglingen schwankte die verabreichte Tagesdosis dementsprechend stark zwischen 0,008µg/kg/d und 20,78µg/kg/d.
  • Der empfohlene Grenzwert der EMA beträgt 0,052mg für eine Person mit 50kg = 52µg/Tag. Fencheltee kann bei einem Gehalt von 0,008–20µg/kg/Tag bei einem Säugling mit 5kg 0,04–100µg/Tag erreichen.
  • Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass Säuglinge in der Regel nur wenig andere nutritive Estragol-Quellen in der Ernährung haben und Fencheltee üblicherweise nicht sehr lange gegeben wird.

Estragol kommt zusätzlich noch in vielen Gewürzen vor, wie Anis, Basilikum, Sternanis, Piment, Muskatnuss, Lemongras, Estragon. Diese sollten der EMA zufolge nur gelegentlich in der Küche genutzt werden.


Quelle: Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde - ÖGKJ

Oft liegen gar keine Blähungen vor

Unruhe und häufiges Schreien hat bei Babys häufig nichts mit Blähungen zu tun, sondern mit Interaktionsproblemen, gegen die Fenchtee ohnehin nichts ausrichten kann. Starke Beschwerden müssen in jedem Fall professionell abgeklärt werden, mahnt Voitl. Den Eltern von „Schreibabys“ könne auch mit psychologischer Unterstützung weitergeholfen werden. smt

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune