18. Jan. 2017Patienten mit Gangstörungen

Wie Sie Gangstörungen bei älteren Patienten richtig deuten

Allein durch eine aufmerksame klinische Beobachtung des Gangbilds kommen Sie den Ursachen der Störung in vielen Fällen auf die Spur. Ein typischer Fall: Der Gang wirkt wie in Einzelteile zerlegt, verschiedene Mobilitätsphasen wie Aufstehen, Geradeausgehen und Wenden sind durch kurze Abstände voneinander getrennt und die Bewegungen sind stark verlang­samt.

Dieses Gangbild ist typisch für die «Higher Level Gait Disorder» (HLGD). Die Funktionsdefizite sind im frontalen Kortex und in den Assoziationsbahnen lokalisiert und werden in aller Regel durch ausgeprägte Mikroangiopathien ausgelöst. Die HLGD dürfte für viele Stürze im Alter verantwortlich sein.

Betroffene sollten sich möglichst voll auf das Gehen konzen­trieren, da die Fähigkeit zum Multitasking bei diesem Krankheitsbild stark eingeschränkt ist. Schon allein gleichzeitiges Sprechen oder das Tragen eines Gegenstands können die Gangunsicherheit verstärken, warnen Dr. Christian Schlenstedt, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, und sein Kollege.

Ebenfalls häufig bei geriatrischen Patienten sind Gangstörungen nach territorialem Schlaganfall. Auch hier hat die Störung ihren Ursprung im Kortex, der für die zentrale Bewegungssteuerung und die Bewegungsorientierung im Raum zuständig ist. Beim territorialen Schlaganfall ist jedoch meist nicht das Steuersystem selbst betroffen, sondern es fehlen die sensorischen Informationen. Das Gangbild erscheint deshalb oft unauffällig, aber die Patienten stossen ständig irgendwo an oder stolpern über Hindernisse, statt ihnen auszuweichen.

Normaldruck-Hydrozephalus oder M. Parkinson?

Charakteristisch für den Normaldruck-Hydrozephalus ist ein ma­gnetischer, oft breitbasiger Gang. Die Füsse werden beim Gehen kaum vom Boden gehoben, und man kann oft das Schleifen der Schuhe hören. Häufig, aber nicht immer besteht bei diesem Krankheitsbild eine Trias aus Gangstörung, Harninkontinenz und kognitiven Defiziten bis hin zur Demenz. Mit Liquor-Entlastungspunktionen oder einem ventrikuloperitonealen Shunt kann den Betroffenen effektiv geholfen werden.

Breitbeiniger und steif stolzierender Gang?

Ganz anders das Gangbild bei einer zerebellären Ataxie: Die betroffenen Patienten fallen durch einen unkoordiniert breitbasigen Gang mit überschiessenden Kompensationsbewegungen auf. Schädigungen der Pyramidenbahn im Bereich des ersten Motoneurons führen zu Muskelschwäche und Spastik, woraus ein steif stolzierender, bewegungseingeschränkter Gang mit gesteigerten Muskeleigenreflexen resultiert. Dieses Gangbild kommt z. B. bei lakunärem Schlaganfall, zervikaler Spinalkanalstenose und amyotropher Lateralsklerose vor.

Eine Schädigung des zweiten Motoneurons ist die Ursache von Gangstörungen bei der lumbalen Spinalkanalstenose und im Rahmen von Polyneuropathien (z. B. Guillain-Barré-Syndrom). Typisch ist ein schlaff-paretisches weiches Gangbild mit hypotoner Schwäche der beeinträchtigten Muskelpartien.

Ist der Fussstrecker betroffen, schlappt der Fuss. Bei einer Schwächung von Hüftbeuger und Kniestrecker funktioniert dagegen das Treppensteigen nicht mehr. Bei der lumbalen Spinalkanalstenose treten oft spontane Störungen der Harn- und Stuhlausscheidung auf, und auch starke dermatombezogene Schmerzen vor allem beim Abwärtsgehen können die Gangstörungen begleiten. Kyphotische Haltungen etwa beim Fahrradfahren führen dagegen oft zu einer Schmerzreduktion.

Funktionelle Störungen werden oft verkannt

Bei geriatrischen Patienten sollte immer auch an die Möglichkeit funktioneller Gangstörungen gedacht werden, die in dieser Altersgruppe häufig vorkommen. Es lassen sich keine neurologischen Defizite objektivieren, aber die Gangstörung ist evident. Zugrunde liegt eine Art «Softwareproblem». Funktionelle Gangstörungen werden oft verkannt, zumal exakte Diagnosekriterien fehlen. Typischerweise treten funktionelle Bewegungsstörungen nicht immer auf, sie sind aber induzierbar und können durch Ablenkung der Aufmerksamkeit zum Verschwinden gebracht werden.

Schlenstedt C, Maetzler W. Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 1441–1444.