19. März 2019

Landärztin aus Leidenschaft

Dr. Stefanie Essl übernahm 2016 eine Landarztpraxis. Für die Medical Tribune erzählt sie von den Fallstricken bei der Übernahme einer älteren Praxis, ihren Erfahrungen als junge Mutter im Beruf, und warum sie ihre Entscheidung nicht bereut hat. (Medical Tribune 10/19)

Essl wurde nicht nur von den jüngsten Patienten schnell akzeptiert.

Die Landarztpraxis von Dr. Stefanie Essl zeichnet sich durch ihre zentrale Lage am Hauptplatz der steirischen Gemeinde Passail (Bezirk Weiz) aus. Apotheke, Bushaltestelle und Parkplätze finden sich in unmittelbarer Nähe. Das Haus ist im Besitz der Gemeinde. Die bestehenden Räumlichkeiten werden von der Jungärztin gemietet. Die Ordination hat an fünf Tagen die Woche geöffnet, zweimal nachmittags. Das Praxisteam setzt sich aus drei Ordinationsassistentinnen und einer Reinigungskraft zusammen.

Essl hat die Ordination in der knapp 4.300-Einwohner-Gemeinde 2016 von ihrem Vorgänger übernommen. Dieser wollte zurück in den städtischen Bereich und hat die Landarztpraxis als Nachfolgeordination ausgeschrieben. „Nach reiflicher und intensiver Überlegung habe ich mich für eine Bewerbung entschieden, da mein Mann und ich tief mit der Gegend verwurzelt sind“, erzählt die gebürtige Steirerin. „Ich bin im Ort aufgewachsen, in die Schule gegangen, habe Verwandte und Freunde hier.“ Nach Zusage der Kassenstelle brach die damals 32-Jährige ihre Facharztbildung ab – und wurde zur jüngsten Allgemeinmedizinerin mit eigener Ordination in der Steiermark.

„Die ganze Bürokratie im Hintergrund, die ein eigener Betrieb mit sich bringt“ hat Essl zu Beginn sehr wohl als „abschreckend“ und „sehr fordernd“ erlebt. Die 1985 Geborene hatte keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet. „Gott sei Dank hatte ich Leute um mich, die mich in dieser Zeit unterstützt und gut beraten haben“, schildert sie.

Auch die Investitionen seien am Anfang „ein sehr großer Brocken, jedoch überschaubar“ gewesen: „Leider kam aber relativ rasch die Ernüchterung in Form von unerwarteten Kosten, welche die Übernahme einer älteren Ordination mit sich bringt.“ Denn: Während der Standort der Ordination ideal ist, ist es das Gebäude, wegen seiner alten Bausubstanz, weniger. „Die Räumlichkeiten sind zu klein, es gibt wenig Tageslicht – jedoch fast keine Möglichkeiten zu expandieren“, so die junge Kollegin.

Dauerbaustelle

„Was man macht, soll bezahlt werden, so wie in allen anderen Berufen auch.“
Dr. Stefanie Essl

Gleichzeitig sei eine Erweiterung und umfassende Sanierung unumgänglich. „Seit der Praxiseröffnung gibt es beinahe jedes Monat Dinge, die erneuert werden müssen“, sagt Essl.

Inwieweit das Einkommen ausreicht, kann sie nach wie vor schwer sagen, da in den ersten Jahren die Steuervor- und -nachzahlungen sowie die Ärztekammerabgaben erst eingestuft werden müssen: „Man hofft, dass es durch die angekündigten Leistungserhöhungen der Sozialversicherungen auch zu einer Verbesserung des Einkommens kommt. Dies ist jedoch noch abzuwarten.“

Am eigenen Leib hat Essl gerade erlebt, wie schwierig es als Selbstständige ist, Mutter zu werden. Ihr erstes Kind kam im Sommer zur Welt. Finanzielle Unterstützung gibt es nur für die Zeit des Mutterschutzes. Gute Vertretungsärzte sind teuer und schwer zu bekommen und müssen über den Mutterschutz hinaus aus eigener Tasche bezahlt werden. „Von der Familie und dem Partner braucht man definitiv viel Unterstützung“, so die junge Ärztin und Mutter. Wichtig sei ein Partner, der selbst auch mit beiden Beinen im Leben steht und Verständnis für die Situation mitbringt.

Trotz diverser Schwierigkeiten, die sich für Selbstständige im Zuge der Familienplanung ergeben, rät Essl, sich davon nicht abschrecken zu lassen, wenn man Kinder möchte. Denn den „richtigen Zeitpunkt“ gebe es einfach nicht. Grundsätzlich sei alles lösbar und selbst die beste Arbeit könne die wunderbaren Momente mit dem Nachwuchs nicht ersetzen. „Die Zeit, die mit der Familie bleibt, muss man einfach richtig genießen und nutzen!“ Umgekehrt sollte man nicht wegen der schwierigeren Familienplanung das Landarztdasein „verteufeln“ und immer nach Ausflüchten suchen: „Es ist zwar ein anspruchsvoller, jedoch überaus schöner Beruf, den ich engagierten Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen kann!“

Auf die Frage, ob sich die Arbeit in einer Landarztpraxis generell mit einer modernen Lebensführung vereinbaren lasse, antwortet die Jungärztin mit einer Gegenfrage: „Was bezeichnet eine moderne Lebensführung? Man passt sich den Gegebenheiten an. Freizeit ist oft sehr knapp bemessen, man muss die Gelegenheiten dann einfach besser nutzen.“ Was leicht unterschätzt werde, seien die bürokratischen Tätigkeiten und die Hausbesuche.

Süße Unabhängigkeit

Essl weiß jedoch auch um die Vorteile einer eigenen Ordination: Man ist sein eigener Boss. Der Alltag ist abwechslungsreich. Die Menschen geben einem sehr viel zurück. Die jahrelange Betreuung der Patienten ist zwar anspruchsvoll, doch eine besonders schöne Erfahrung. Diese sind keine „anonymen Ziffern“ im System wie im Krankenhaus. Auch den kurzen Weg von drei Minuten zur Arbeit weiß die Landärztin zu schätzen. „Davor waren es 50 Minuten bei schönem Wetter und bis zu 90 Minuten bei Schneefall – und das war nur eine Strecke!“, gibt sie zu bedenken.

In einem PHC statt in einer Einzelordination zu arbeiten, hätte sich Essl nicht vorstellen können. Denn einer der Entscheidungsgründe für die Praxisübernahme sei ja die Unabhängigkeit gewesen, sagt sie. „Eine Gruppenpraxis wäre eventuell eine Überlegung wert, müsste dann aber sicher hervorragend durchgeplant sein, damit sie reibungslos funktioniert.“

Wertvolle Erfahrungen

Eine gute Abwechslung sieht die Landärztin in der Lehrpraxis: „Man kann sich mit Studenten und Jungärzten austauschen und in dieser Zeit die Attraktivität des Berufes herzeigen.“ Sie hatte selbst während ihrer Turnuszeit das, wie sie meint, Privileg, in einer sehr gut geführten Lehrpraxis im Burgenland arbeiten zu dürfen.

„Dort habe ich viel für die Arbeit, aber auch fürs Leben gelernt“, erinnert sie sich. „Ohne diese Erfahrung wäre die Tätigkeit in der Ordination nicht zu bewältigen.“ Weiters hat die Jungmedizinerin bei einem Kollegen im Ort während ihrer vorherigen Tätigkeit im Krankenhaus mehrmals am Wochenende Vertretungen gemacht. Dadurch ergab sich ein guter Einblick ins spätere Berufsleben. Auch ein Praxisseminar von Ärztekammer und GKK besuchte sie. Von ihrem Vorgänger bekam sie hingegen kaum Unterstützung.

Hausbesuche macht die Landärztin fast täglich. Wobei der Aufwand sehr unterschiedlich ausfällt. Manche dauern nur wenige Minuten. Andere beanspruchen „Unmengen an Zeit“. „Generell nehmen die Hausbesuche sicher ein Drittel meiner Tätigkeit ein“, schätzt sie. „Außerdem weiß man oft nicht, was einen erwartet, es kann von RR-Messen und Routineuntersuchungen bis hin zu medizinischen Notfällen alles passieren. Oft können die Angehörigen die jeweilige Situation nur schwer einschätzen.“

Viel Wertschätzung

Als „großes Glück“ bezeichnet Essl, dass sie von den Patienten sehr schnell und gut akzeptiert wurde. „Ab Beginn meiner Tätigkeit habe ich mich dieser mit voller Energie gewidmet, und ich denke, dass die Menschen das gespürt und mir deshalb von Anfang an viel Wertschätzung entgegengebracht haben.“ Die Bekanntheit als Ärztin in einer kleinen Gemeinde sei nicht in der Arbeit das Problem, sondern eher in der Freizeit. Da Patienten doch immer wieder der Versuchung erliegen, von ihren Problemen und Leiden zu berichten.

Von der Politik und der Sozialversicherung wünscht sich Essl die Sicherung und Aufwertung des Allgemeinmediziners als Berufsstand, eine Anpassung der Leistungen und die Bezahlung aller zu verrichtenden Tätigkeiten ohne Deckelung: „Was man macht, soll bezahlt werden, so wie in allen anderen Berufen auch.“

Wichtig ist ihr darüber hinaus eine bessere Finanzierung der Lehrpraxis, damit mehr Jungärzte dieses Angebot nutzen können und wollen. Sowie der Erhalt der bestehenden Laborgemeinschaften. Denn diese seien eine unverzichtbare Unterstützung für eine qualitative Diagnostik.

Weise Worte

Die Entscheidung für die Landarztpraxis würde Stefanie Essl auf jeden Fall wieder treffen. „Es gibt Tage, da läuft alles wie im Bilderbuch, und dann gibt es natürlich auch weniger gute Tage“, sagt sie ehrlich. „Doch die gibt es in jedem Beruf. Und ich empfinde sie dennoch als positive Erfahrung, aus der man lernen kann und auch lernen soll.“

Praxissteckbrief

Dr. Stefanie Essl
Ärztin für Allgemeinmedizin
Markt 13, 8162 Passeil
Tel. 03179/23640

ÖÄK-Diplom Kompl. Med.: Akupunktur, ÖÄK-Diplom-Fortbildung Vorsorgeuntersuchungen, DMP Therapie Aktiv

Offene Stellen in der Steiermark

44 kassenärztliche Stellen wurden in der Steiermark zuletzt ausgeschrieben (17 davon als Nachfolgepraxen), 30 betreffen die Allgemeinmedizin. Nicht wenige Stellen wurden bereits zum wiederholten Male ausgeschrieben, weil sich niemand dafür findet. Abhilfe soll ein neues, zwischen Ärztekammer und GKK ausverhandeltes Konzept bringen. Ärzte, die eine schwer zu besetzende Kassenstelle übernehmen, erhalten eine attraktive Starthilfe: 70.000 Euro für eine Einzelpraxis und sogar 105.000 Euro für eine Gruppenpraxis. Insgesamt nimmt die Steiermärkische GKK für die Stärkung der ärztlichen Versorgung somit 3,85 Millionen Euro in die Hand.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune