6. Apr. 2018

Wenn der Job so richtig Freude macht

 

Heute sehen Sie mich wahrscheinlich nicht in allerbester Verfassung. Möglicherweise bin ich auch nicht ganz so lieb und geduldig wie sonst. Was vielleicht daran liegen könnte, dass meine Nerven durch sind. Nach fast vier Wochen vor mich hin kränkeln (in guter Gesellschaft, denn der Beste aller Ehemänner war ebenfalls von allen möglichen Infektionen gebeutelt, die natürlich alle ganz fürchterlich waren) hatten wir endlich ein verlängertes Wochenende auf der Hütte. Man muss nichts weiter dazu erklären: Er hatte Männerschnupfen. Und das ist bekanntlich schlimmer als alles andere.

Aber diesmal will ich entschieden noch ärmer sein, denn ich hatte die ultimativ allerschlimmste aller Infektionen: Doktorschnupfen! Zum Sterben, sage ich Ihnen! Na ja, jedenfalls war mir keine Erholung gegönnt, denn am Samstag bemerkte ich plötzlich Blitze vor dem rechten Auge. Und das bei dichtem Nebel. Genau vor diesen Blitzen hatte mich meine Augenärztin gewarnt gehabt. Also pilgerte ich am Sonntag nach dem Heimkommen gleich auf die Augenklinik. Dort nahm sich eine sehr liebe Ärztin meiner Netzhaut an. Nach fünfmaligem Weittropfen werkte sie genüsslich mit dem Dreiwinkelglas in meinem rechten Auge herum. Nach gefühlten Ewigkeiten bekam ich Entwarnung. Mit Kopfschmerzen, Nackenverspannungen und einer Pupille, die nach zwei Stunden endlich weit genug war und aussah wie nach dem Hirntod, wackelte ich wieder nach Hause.

D wie Doktorschnupfen

Na ja, und nun sitze ich mit der optischen Sonnenbrille an meinem Schreibtisch. Gott sei Dank hab ich mir letztes Jahr so eine machen lassen. Damals dachte ich, ich würde damit Zeitschriften am Pool im Sommerurlaub lesen können. Dazu kam es zwar nicht, aber sie ist wunderbar, um mit einer Hirntodpupille in der Ordi zu sitzen und Massen von Menschen zu behandeln. Natürlich sage ich auch jedem, warum seine Hausärztin aussieht wie die Fliege Puck. Zwischendurch vergesse ich vor lauter Stress immer wieder einmal auf mein erklärendes Sprücherl. „Wildes Wochenende gehabt, Frau Doktor?“ fragt mich doch glatt einer mit einem breiten Grinsen. Ich überlege mir kurz, ob ich draußen einen Zettel aufhängen lassen soll, auf dem festgehalten ist, dass ich weder gefeiert habe, noch von meinem Mann geschlagen werde. Und nein, ich habe mir auch nicht die Augenlider straffen lassen.

Ich sehe wirklich nicht besonders gut. Eine Patientin ist ein bisschen vergrault, weil ich mich nicht traue, eine Aussage über ihr Muttermal am Bauch zu tätigen. Dabei bin ich heilfroh, dass ich es wenigstens vom Bauchnabel unterscheiden kann, aber mehr wäre einfach nicht seriös. Dafür freut sich ein anderer, der heute zum ersten Mal bei uns in der Ordi ist auf seinen Kontrolltermin. Er ist schon gespannt, wie die Frau unter der riesigen schwarzen Brille aussieht. Ich verspreche ihm, dass am Donnerstag seine Angina praktisch verschwunden sein wird und ich meine Sonnensegel auch wieder entfernt haben werde. Ich hoffe, der Anblick wird keine Enttäuschung. Und heute ist „Saubartl“-Tag. (Ich denke, Saubartl ist österreichweit bekannt, ansonsten wird die Bedeutung gleich aus den nächsten Zeilen hervorgehen.)

Gleich der erste VU-Patient kramt in seiner Tasche, und ich glaube, dass er nur nach seinem Impfpass sucht. Er knallt mir etwas direkt unter die Nase, das ich leider erst zu spät als Hämoccult-Test identifiziere. Und noch dazu als besonders enthusiastisch gemachten. Da hatte einer wirklich Freude daran. Wölbungen wie kleine Maulwurfshügel drücken sich durch den Karton und das Kuvert. An meinem Geruchssinn hat’s leider gar nix. Der ist wie immer 170%ig vorhanden. Normalerweise fragen meine Assistenten jeden, ob er irgendwelche Mitbringsel hat, die er dann gleich in ein dafür vorgesehenes Regal in der Toilette legen soll, um genau so was zu vermeiden. Dieser scheint ihnen aber irgendwie durchgerutscht zu sein. Ich nehme das Ding mit spitzen Fingern und trage es aufs Klo. Nicht ohne den Patienten ein klein wenig anzugiften.

Der darauffolgende VU-Patient will nach der Blutabnahme kein Pflaster. Ich verspreche ihm, dass es nachbluten wird, er glaubt mir nicht. Nach einer Minute wirft er den Tupfer weg, nach weiteren zehn Sekunden fängt es zu rinnen an. Worauf er sich mit der anderen Hand das Blut wegwischt und sicherheitshalber gründlich in beide Hände einreibt. Unter leisem Zähneknirschen weise ich ihn darauf hin, dass wir alle hier die Türschnallen angreifen müssen und bade seine Hände in Desinfekt. Da ist die Nächste ja vergleichsweise harmlos, die den vollen Harnbecher auf den Tisch im überfüllten Wartezimmer stellt. Damit alle was haben davon? Was geht bloß in den Köpfen vor?

Ich mag jedenfalls nimmer heute. Hilft mir aber nichts, gefühlte zweihundert Leute gehen durch meine Ordi. In Wirklichkeit zwar nur knapp die Hälfte, aber die meisten zählen heute doppelt. Ich werde telefonisch noch angeschrien, weil ich einen fieberfreien, quietschfidelen Patienten nicht daheim besuche, und danach noch, weil einer glaubt, am gesamten Körper an einer von mir übersehenen Gürtelrose zu leiden. Er hätte sich vorgestern hier nicht komplett nackt ausziehen dürfen. Echt jetzt? Soll ich jedem, der bei der Tür reinkommt prophylaktisch die Kleider vom Leib reißen für den Fall, dass er übermorgen einen Ausschlag bekommt?

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune