Auf der Suche nach dem Afamin-Algorithmus

Die Afamin-Konzentration im Blut korreliert hochsignifikant mit allen Parametern des metabolischen Syndroms. Spielt das Glykoprotein womöglich auch eine kausale Rolle bei der Diabetes-Entstehung? (Medical Tribune 14/18)

Obwohl Afamin als ubiquitär vorkommendes Protein der Genfamilie der Albumine in relativ hoher Konzentration im menschlichen Blutkreislauf vorkommt, wird es erst seit Kurzem intensiver erforscht. Mit einem Molekulargewicht von 87 kDa gehört Afamin zu den größeren Plasmaproteinen und wird von der Leber sezerniert. „Schon vor Jahren wurde in vitro gezeigt, dass das Glykoprotein Vitamin E binden kann und neuroprotektive Eigenschaften besitzt“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Hans Dieplinger, Institut für Genetische Epidemiologie, Medizinische Universität Innsbruck. „Aus Tierstudien weiß man auch, dass Afamin sowohl für die männliche als auch für die weibliche Fertilität eine wichtige Rolle spielt: genetisch manipulierte Knockout-Mäuse sind interessanterweise vollkommen unfruchtbar.“

Seit kurzer Zeit ist zudem bekannt, dass Afamin im Wnt-Signaltransduktionsweg beteiligte Proteine binden kann, der essenziell in der Embryonalentwicklung vorkommt und in Zusammenhang mit bestimmten Krebsarten steht. Afamin gilt als bekannter Marker für Ovarialkarzinome. Das ist aber noch längst nicht alles: In Untersuchungen an transgenen Mäusen, die humanes Afamin überexprimieren, stellten die Innsbrucker Forscher fest, dass die Tiere im Vergleich zu gesunden Wild-Typ-Mäusen einen hyperlipämischen, hyperglykämischen und adipösen Phänotyp aufwiesen. Das führte zur Hypothese, dass Afamin auch eine Funktion in der Entwicklung des metabolischen Syndroms und kardiovaskulärer Erkrankungen haben könnte. Wie weit sind diese Befunde aus dem Mausmodell auf den Menschen übertragbar? Um das zu überprüfen, untersuchten Dieplinger und seine Mitarbeiter drei unabhängige Populationen aus Österreich und Deutschland (Bruneck-, SAPHIR- und KORA-F4-Studie) mit über 5.000 Probanden.

Das Ergebnis: Die Afamin-Konzentrationen korrelierten linear mit der Anzahl der Parameter, die die Definition des metabolischen Syndroms erfüllten. Noch beeindruckender sind die Daten aus insgesamt acht prospektiven Kohorten-Studien mit mehr als 20.000 Teilnehmern, die im Rahmen einer internationalen Kooperation untersucht wurden. Im Zeitraum von vier bis acht Jahren konnten rund 1.400 prävalente und 600 inzidente Fälle von Diabetes mellitus beobachtet werden. Die im Vorjahr in „Diabetes Care“ veröffentliche Analyse zeigt, dass Afamin sowohl mit prävalentem als auch mit inzidentem Diabetes hochsignifikant korrelierte. Für Dieplinger ist das ein starker Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Afamin und der Entstehung von Typ-2-Diabetes. „Zusätzliche Analysen haben ergeben, dass diese Korrelation unabhängig von etablierten Risikofaktoren wie Alter, körperlicher Aktivität, Bluthochdruck oder Taillenumfang war.“

Schwangerschaft und Fettleber

Ganz ähnliche Zusammenhänge finden sich auch bei anderen Erkrankungen aus dem Formenkreis des metabolischen Syndroms: Afamin steigt während jeder gesunden Schwangerschaft linear an. Dieser Anstieg ist aber signifikant höher, wenn die werdenden Mütter im weiteren Verlauf einen Schwangerschaftsdiabetes entwickeln. Mit einer Messung der Afamin-Konzentration im ersten Trimester lässt sich so vorhersagen, wie groß die Gefahr ist, dass im zweiten oder dritten Trimester ein Diabetes mellitus auftritt. Also noch rechtzeitig, um entgegensteuern zu können. In einer Fall-Kontroll-Studie aus Innsbruck und Salzburg (n = 146) konnten die österreichischen Afamin-Forscher zeigen, dass Patienten mit einer nicht-alkoholischen Fettleber ebenfalls deutlich höhere Afamin-Konzentrationen im Plasma aufweisen. Bestätigt wurde das in größerem Rahmen (n = 2042) mit Proben aus der Young Finns Study: Je nachdem, ob die Patienten gesund waren oder eine mittlere bzw. schwere Steatose aufwiesen, variierte auch der Baseline-Afaminwert.

Nur Marker oder auch Kausalität?

Da Afamin viele unterschiedliche physiologische Funktionen zu besitzen scheint, sind die Einflussfaktoren und die Überlappungsbereiche zwischen verschiedenen Gruppen relativ groß. Als Single Marker für den individuellen Patienten ist das Glykoprotein daher nicht geeignet. Derzeit versuchen Bioinformatiker allerdings Algorithmen zu entwickeln, in denen Afamin als unabhängiger Faktor zusammen mit etablierten Markern zum Erkenntnisgewinn beiträgt. Ob bei einer vermuteten Kausalität auch eine Afamin-Hemmung als therapeutisches Prinzip vorstellbar ist, steht noch in den Sternen. Zuerst gilt es in geeigneten Zellmodellen herauszufinden, über welchen pathogenetischen Mechanismus Afamin wirkt und ob die Sekretion beeinflussbar ist. Klar scheint bisher zu sein, dass das exprimierende Gen sehr wichtig ist. Die Forscher schließen das daraus, dass bisher noch keine Afamin-Mutationen entdeckt wurden.

45. Jahrestagung, der Österreichischen Diabetes Gesellschaft; Salzburg, November 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune