14. Mai 2018

Zwickts mi, i man i tram …

An und für sich schaue ich mir selten ein Kabarett an, denn viele sind mir zu überzeichnet und damit empfinde ich sie dann eher als peinlich denn als lustig. Und jetzt muss ich feststellen, dass das Leben noch viel schlimmer ist, als sich selbst der kühnste Kabarettist hätte ausdenken können. Stellen Sie sich mal vor: Wir schreiben das Jahr 2003. Sie sitzen entspannt im Publikum und da erzählt Ihnen dann einer, dass Sie in anderthalb Jahrzehnten diese Regierung wählen würden. Sie hätten das sehr bezweifelt. Wenn Ihnen der Kasperl dann auch noch erzählt hätte, dass ebendiese Regierung überlegt, sich in Ihren Computer zu hacken und bewusst und willentlich dort eine Malware zu platzieren? Dann hätten Sie entweder verwirrt den Kopf geschüttelt, da Ihnen damals noch nicht ganz klar war, was ein Trojaner eigentlich ist und was er kann, oder Sie hätten unwillig gegähnt. Als spinnerte Phantastereien eines Paranoiden hätten Sie den Gedanken abgetan. Der Gedanke, dass potenziell immer einer da ist, der mithören und mitlesen könnte, wenn er nur wollte, war spätestens mit der Auflösung der Stasi Geschichte geworden. Aber die Geschichte lebt und heutzutage sind wir nicht mehr darauf angewiesen, dass uns vom Nachbarbalkon aus ein unterbeschäftigter Denunziant den ganzen Tag beobachtet. Dank eines immer dichter werdenden Netzes von Überwachungskameras bleibt dieser Nachbar unterbeschäftigt.

Z wie Zeitreisen

Im Jahr 2003 hätten Sie sich allerdings auch nicht vorstellen können, dass Sie einmal so etwas wie ein Smartphone besitzen. Damals ging man noch ins Bett mit einem guten Buch, mit dem Partner oder man nahm zumindest die Katze zum Kuscheln mit. Heute geht man mit der elektronischen Verlängerung seiner selbst ins Bett, aufs Klo und auch sonst überall hin. Damit man Gott sei Dank überall erreichbar, auffindbar und überwachbar ist. Und wem das noch nicht reicht, der installiert bei sich daheim Alexa. Im Jahr 2003 hätten Sie darüber auch nur milde gelächelt. Mittlerweile spielt Alexa unsere Lieblingsmusik, erinnert uns an den Einkaufszettel und übernimmt praktischerweise das Denken für uns. Wen interessiert es da schon, dass sie dabei eifrig Daten sammelt, um uns noch transparenter und noch beeinflussbarer zu machen. Im Jahr 2003 hatten wir auch schon Probleme in der Medizin.

Wir hatten zu viel Arbeit, zu wenig Mittel und ausreichend Missstände und Fehlplanung. Wenn Ihnen damals aber ein Kabarettist erzählt hätte, dass die Gesundheitsministerin in höchsteigener Person im Fernsehen auftreten und die bewusste Vergiftung der Bevölkerung verteidigen würde, hätten Sie das Kabarett verlassen. An dieser Stelle möchte ich jedoch etwas anmerken. Ich finde es unfair, dass sich so viele auf das Aussehen dieser Dame stürzen. Männliche und weibliche Politiker sollten am Umfang ihrer Taten gemessen werden und nicht an dem ihrer Taille. Auch bei Frauen sollten nicht Äußerlichkeiten den Blick auf das Wesentliche verstellen. Nämlich auf den Inhalt ihrer Reden und auf die Auswirkungen ihrer Aktionen. Und diese sind ausreichend gewichtig und schwerwiegend genug. Wir sind ja so ein gastfreundliches Land und wollen keine armen suchtkranken Menschen ausgrenzen. Heißt das, dass wir deshalb wider besseres Wissen und medizinische Erkenntnisse allesamt unsere Lungen und unser Leben aufs Spiel setzen müssen? Oder sieht man durch den blauen Dunst hindurch nicht so deutlich, dass Geldmittel im Gesundheits- und Sozialbereich gekürzt werden?

Hoffentlich waren Sie damals nicht einer von den Glücklichen, die einen Job bei der AUVA ergattert haben. Einer von denen, die immer schon geregelter arbeiten und mehr verdienen durften als der Rest von uns. Jetzt müssen Sie nämlich zittern. Willkommen im Club! Wir zittern schon lange. Die kleinen peripheren Spitäler, die Sie im Jahr 2003 noch so gut kannten, sind längst geschlossen. Auch im Jahr 2003 haben Sie schon erlebt, dass Patienten im Winter während der Grippewelle am Gang liegen mussten. Auch damals war es schon Realität, dass die eine oder andere Uroma doch nicht stationär aufgenommen werden konnte, auch wenn es die beste Möglichkeit gewesen wäre. Sie hätten dem Komiker auf der Bühne nicht geglaubt, dass man Ihnen nicht mal anderthalb Jahrzehnte später die massive Reduktion von Spitalsbetten als Fortschritt und Errungenschaft verkaufen würde. Wir haben es endlich geschafft, dass die Uroma aus der Weststeiermark mit Oberarmfraktur drei Mal mit der Rettung nach Graz und wieder zurückgekarrt wird, bevor der Bruch versorgt werden kann. Zum Totlachen. Damals.

Und wenn Ihnen der Kabarettist erzählt hätte, wie Sie heutzutage Ihre Arbeit verrichten werden, dann hätten Sie den Hut draufgehauen und hätten was Gscheites gelernt. Denn Sie hätten nie geglaubt, dass Sie erst durch siebzehn verschiedene Qualitätskontrollen, Datenschutzverordnungen und Dokumentationspflichten durchmüssen, bevor Sie überhaupt anfangen dürfen, mit dem Patienten zu sprechen. Hätten Sie damals geglaubt, dass Sie sich mehr Sorgen über richtig gesetzte Hakerln im Programm, bombensicher versperrbare Kästen (nicht für die Diamanten der Erbtante, für simple Papierbefunde!) und regelmäßig geeichte Personenwaagen machen müssen? Hätten Sie geglaubt, dass es wichtiger ist, den Lichtbildausweis des Patienten eingescannt und seine Unterschrift auf siebzehn Einverständniserklärungen zu haben, als von Mensch zu Mensch mit ihm oder ihr zu reden? Zwickts mi, i wü aufwochn!

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune