9. Dez. 2017

Dr. Stelzl: “Zwei-Klassen-Ärzte”

Die Debatte über die „Zwei-Klassen-Medizin“ erhitzt immer wieder die Gemüter. Dass wir auch eine zumindest „Zwei-Klassen-Bildung“, einen „Zwei-Klassen-Wohlstand“, eine „Zwei-Klassen-Ernährung“ und eine „Zwei-Klassen-Arbeitsqualität“ haben, scheint weniger zu stören. Außerdem sind es ja nicht nur zwei Klassen. Es gibt viel mehr Schattierungen und Abstufungen, und ganz am unteren Ende gibt es da noch die „Anderen“, die „Fremden“, die „Ausländer“. Die, denen man praktischerweise möglichst viel Schuld an möglichst vielen Missständen in unserem schönen Land umhängen kann. Aber selbst innovative Geister haben es bis jetzt nicht hinbekommen, ihnen die Verantwortung für alle Dysfunktionen im Gesundheitssystem anzudrehen. Der Einfachheit halber wollen wir es bei zwei Klassen belassen. Wenn es die „Zwei-Klassen-Medizin“ gibt, dann existieren logischerweise auch die „Zwei-Klassen-Ärzte“.

Was mich als ehemalig erstklassige Studentin und danach zumindest in der Eigensicht erstklassige Ärztin auf jeden Fall einmal auf die billigen Plätze weist. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass ich mich all die Jahre nur selber belogen habe. Ich bin eine zweitklassige Ärztin, und da wir nur zwei Klassen haben, damit auch gleich letztklassig. Ob mich das morgen, da wieder Montag sein wird, so richtig gut motiviert, in die Ordi zu gehen, um mit ganzer Energie, mit ganzem Einsatz und mit ganzer Seele zu arbeiten? So richtig anspornend ist es nicht. Da hat man ein super Studium hingelegt, bildet sich ständig weiter und bewältigt im Arbeitsalltag den Spagat zwischen medizinischen Notfällen einerseits und Befindlichkeitsstörungen auf der anderen Seite. Manchmal kann man sehr sachlich bleiben und gelegentlich ist fast seelsorgerische Einfühlsamkeit gefragt. Und während sich das eigene Hirn in Sekundenbruchteilen von einer Problemstellung zur nächsten umstellt, von einer Anforderung auf die nächste schaltet und von einem Patienten zum nächsten einfühlt, versucht man relativ erfolglos, nicht im Papierkram unterzugehen oder von der Bürokratie verschüttet zu werden.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune