Interessante Jugendgespräche

In den Energieferien war ich einmal mit meinem Sohn eislaufen. Wir hatten das Glück, da die meisten Menschen Urlaub hatten, die Eisfläche fast für uns allein zu haben. Das gab uns aber auch Gelegenheit, in den paar kurzen Laufpausen Gesprächsfetzen mitanzuhören. Einer davon hat mich sehr verblüfft. Es handelte sich ganz offensichtlich um ein junges Pärchen. Sie taten das, was alle jungen Pärchen so machen: Hand in Hand eislaufen, sich anlächeln. Bei näherem unfreiwilligem Hinhören bekamen wir mit, worüber sie sich unterhielten. „Auch nachts muss ich dauernd aufs Klo“, sagte sie in unschuldigem Ton. „Bist du etwa inkontinent?“, fragte er ehrlich interessiert. Ich meinte erst, nicht richtig gehört zu haben, das Thema bestätigte sich aber im Lauf des weiteren Gespräches.

Sofort fühlte ich mich an meinem freien Nachmittag an die Tara in der Apotheke zurückversetzt. Auch dort konnte ich in letzter Zeit des Öfteren beobachtet, dass junge Paare häufig Gespräche führten, die ich entweder in die Intimität der eigenen vier Wände verortet oder bei einem jungen Paar gar nicht von vornherein angenommen hätte. Da war zum Beispiel eines, das offensichtlich auch noch nicht sehr lange zusammen war – irgendwie bekommt man das ja mit. „Brauchst du noch etwas für deine Prostata?“, fragte die Frau, nachdem schon eine Menge Nahrungsergänzungsmittel und Vitaminpräparate eingekauft worden waren – auch das mutete angesichts der Jugend und deutlichen Gesundheit dieser beiden Menschen etwas seltsam an, aber man soll ja keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Der junge Mann war jedenfalls nicht die Spur verlegen, als er mit „Nein danke!“ antwortete. Ganz anders einer, der allein zu mir kam und anfangs sehr herumdruckste. Ich brauchte trotz guter Menschenkenntnis ziemlich lange, bis ich herausfand, wo ihn der Schuh drückte. Er sei so müde, erzählte er, ob ich nicht etwas für ihn hätte. Bei solchen unspezifischen Gesprächsanfängen beginne ich Fragen zu stellen, weil sich so gut wie immer bestätigt, dass mehr dahinter ist und Menschen ihre Geschichte loswerden wollen. Meine üblichen Fragen nach Stress, Überlastung, Arbeitsplatz und eventuellen persönlichen Problemen, die ich natürlich möglichst einfühlsam stellte, wurden mehr als bereitwillig beantwortet. Der Kern des Problems war, dass der Mann, Ende 20, etwa nur alle sechs Wochen Lust auf Sex mit seiner Freundin hatte und diese schon darunter litt, wie die gemeinsame Zweierbeziehung als Ganzes auch.

Ein Phänomen unserer Zeit, das ich schon öfter beobachten konnte: Einerseits versucht die Generation 30 und drunter immer mehr, vom totalen Leistungsprinzip wegzukommen und die sogenannte Work-Life-Balance besser in den Griff zu bekommen. Andererseits steigt der Druck allgemein natürlich trotzdem – Stichwort Generation Praktikum, die sehr häufig lange Zeit von Projekten und nicht von echten Anstellungen lebt. Dass Lust, die Raum und Zeit braucht, hier zu kurz kommen kann, ist also nicht verwunderlich. Dennoch ist da auch noch das andere Gefühl, dass unsere Zeit so übersexualisiert ist, dass gemeinsam verbrachte Schäferstündchen oft nicht mehr aus der abendlichen Fernsehkomfortzone locken können. Eigentlich traurig. All das besprach ich auch mit meinem Kunden und riet ihm, sich bewusst regelmäßig Zeit für die Liebe zu nehmen. Er schenkte mir zwar ein relativ müdes Lächeln, ging aber trotzdem nachdenklich von dannen …