7. Feb. 2018

Schönes neues Telefon

Gerade hat Freundin I. wieder einmal etwas Kluges und Tiefsinniges auf Facebook gepostet. Normalerweise vermeide ich es, ihre Posts zu lesen, da sie mir meist zu esoterisch und pseudoweise sind. Spirituelles Gesülze vertrage ich nur in sehr kleinen Dosen. Aber irgendwie bin ich doch daran hängen geblieben und muss jetzt darüber nachdenken. Sinngemäß lautet die Sache so: „Wieso rackern wir uns eigentlich ab, um noch mehr Geld zu verdienen und noch mehr Dinge zu kaufen, und werfen dabei das einzig Wichtige weg, das wir haben: nämlich Zeit und unser Leben.“ Ja, der Guru des Tages hat nicht ganz unrecht. Wenn man diejenigen wegzählt, die sich Tag und Nacht abrackern, um irgendwie über die Runden zu kommen, bleiben doch eine ganze Menge Leute, die ihr Glück und ihren Lebensinhalt in einem noch schöneren Haus oder noch schnelleren Auto suchen. Von all den Accessoires wie Uhren, Schmuck und den neuesten iPhones gar nicht zu reden. Oder: Maximaler Stress, um danach den extraluxuriösen Wellnessurlaub verbringen zu können. Inklusive Entschleunigung, Regeneration von Geist und Seele, Therapie des Körpers, Mani- und Pediküre und Tiefenentspannung. Und das Ganze gerafft und effizient in einem verlängerten Wochenende.

Q wie Qualititätszeit

Ich beschließe also, den Sinnspruch „du jour“ in mein Leben einzubauen. Diesen Donnerstag habe ich einen freien Nachmittag und ich werde mit meinem Liebsten eine kleine Wanderung machen, dann gut abendessen und ein paar Gläser guten Weins trinken. Wir werden Zeit füreinander haben, ein wenig Musik hören, Kerzen anzünden und glücklich sein, dass es uns gut geht. Auf keinen Fall werden wir uns in irgendeinen Laden begeben, irgendetwas kaufen oder sonst in irgendeiner Form dem Konsumwahn frönen. Da der Beste aller Ehemänner noch nichts von unserem geplanten erleuchteten kleinen Glücksmoment wusste, beschließe ich, ihn gleich anzurufen. Ich streiche also über mein gutes altes iPhone. Das, das ich noch viele Jahre behalten wollte. Ich lösche immer unnötige Fotos und Chatverläufe, damit der Speicher nicht sofort voll ist. Ich habe ihm eine stabile Hülle und ein Panzerglas gekauft, damit es mir die vielen Stürze auf den gefliesten Küchenboden nicht übelnehmen kann, und ich poliere es regelmäßig mit einem sanften Desinfektionsmittel. Damit es keimtechnisch gesehen nicht zu grausig wird und nicht zu trüb zum Durchsehen.

Offenbar hat all meine Fürsorge nicht genutzt. Es mag mich nicht mehr. Mit viel Mühe kann ich meinen Liebsten dann doch noch erreichen, und wenn ich es schüttle und heftig mit den Fingerkuppen drauf einschlage, kann ich noch die eine oder andere SMS verschicken. Aber mir ist klar geworden, dass unsere gemeinsamen Stunden gezählt sind. Also nichts mit Quality Time und Konsumverweigerung, sondern ab in die Innenstadt und zum Shop meines Mobilanbieters. Wir müssen gar nicht besonders lange warten und werden lieb, kompetent und freundlich beraten. Ein kleines pinkfarbenes Teufelchen wedelte mit einem stylischen, mattschwarzen Äpfelchen mit aus meiner derzeitigen Sicht unendlichem Speicherplatz. Es flüstert irgendwas von Urlaubsfotos und Erinnerungen an Glücksmomente in mein Ohr. Und es bringt mich dazu, ein iPhone zu kaufen, für das ich trotz Panzerglas und Hülle gleich noch eine Versicherung abschließe.

Ein inneres Stimmchen flüstert: „Wie viele GKK-Patienten musst du jetzt dafür behandeln?“ „Kusch! Schließlich kann man sich ja auch an materiellen Werten freuen, nicht nur an den inneren.“ Und glücklich fahren wir wieder nach Hause. Essen mit Rotwein könnte man am Abend ja trotzdem. Und statt mit Musik bei Kerzenlicht hocke ich vorm PC und mache Back-ups vom alten Gerät, welche ich dem neuen gleich reinwürgen will. So wie ich das halt immer bisher gemacht hatte. Mein neues will aber nicht. Nach mehreren Versuchen lasse ich das bleiben und widme mich scheinbar einfachen Dingen: dem Aufbringen des Hammerglases auf dem Display. Statt einer glatten, glänzenden Fläche sieht es jetzt aus wie prickelndes Mineralwasser. Statt liebevoller Zweisamkeit wird der Beste aller Ehemänner nicht nur einmal angebrüllt. Der Kater hat sich längst verzogen. Schließlich am späten Abend ist es geschafft. Alle Daten sind da und alles funktioniert. Bis auf meinen E-Mail-Zugang.

Die Kamera ist übrigens großartig. Als ich das erste Foto ansehe, denke ich erschreckt, ich würde halluzinieren. Es bewegt sich nämlich. So wie bei Harry Potter. „Welcome to Hogwarts!“ Ich versuche sieben Möglichkeiten, einen Mail-Zugang einzurichten, schreibe Benutzer und Passwort sicher 200 Mal, schaltete das Ding ein und aus und bekomme immer dieselbe Antwort: „Failed“. Ich erwäge schon, das Phone ins Klo zu schmeißen, schließlich ist es ja versichert. Irgendwann nach Mitternacht schafft der Göttergatte, es mir aus der Hand zu nehmen, und fragt: „Was muss ich eingeben und wo?“ Ich sage es ihm, er tut genau dasselbe wie ich seit Stunden und wie durch Magie erscheint mein E-Mail-Programm. Mit einem überlegenen Grinsen lehnt er sich zurück und streichelt über das Display. Ich brülle das Teil mit ein paar überhaupt nicht wiedergabefähigen Worten an. „Ach sch… drauf“, beruhige ich mich und setze mich hin. Worauf eine sanfte Stimme aus dem Ding ertönt: „Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune