„Wir sind Fans der normativen Kraft des Faktischen“

Foto: Matthias WeissengruberKonsolidierungsprozesse in der Krankenhausversorgung sind weit mehr als das Zusperren von Häusern oder das „Rausschneiden“ von Abteilungen, erzählten die Geschäftsführer der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebs GmbH Dir. Dr. Gerald Fleisch und Prim. Dr. Peter Fraunberger im CliniCum-Roundtable-Gespräch. (CliniCum 11/17)

CliniCum: Herr Direktor Fleisch, Sie sind auf heimischen Krankenhauskongressen ein gerne gebuchter Referent, um das Strukturkonzept der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebs GmbH vorzustellen. Was macht Ihr Konzept – Stichwort: Fokussierung der Kräfte – erfolgreich und herzeigbar?

Gerald Fleisch: In gewisser Weise war Vorarlberg immer schon Pionier. So wurde etwa 1979 die erste Krankenhaus Holding österreichweit gegründet, weil frühzeitig die Sinnhaftigkeit erkannt wurde, ehemals singulär agierende Landes-, Gemeinde- und Gemeindeverbandsspitäler oder Ordensspitäler zusammenzufassen, um Synergien zu heben. Die Strategie hat sich über die Jahrzehnte als guter Schritt erwiesen. Heute sind alle Spitäler in der Holding, ausgenommen das Stadtspital Dornbirn. Die Holding repräsentiert damit 85 Prozent Marktanteil in Vorarlberg. Privatspitäler existieren bei uns nicht. Das finde ich persönlich gut. Ich bin ein deklarierter Anhänger einer funktionierenden Staatsmedizin. Ein größerer Verbund mit einem dahinter liegenden klaren Versorgungskonzept ist aber nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern macht es erst möglich, den zunehmenden Fachkräftemangel in der Medizin zu managen, weil wir nicht mehr überall alles bereithalten müssen. Auch die neue Ausbildungsverordnung verlangt nach einem entsprechend flexiblen System, um alle Anforderungen an eine moderne Ärzteausbildung abde­cken zu können.

Natürlich erfordert ein Konsolidierungsprozess auch Veränderungsbereitschaft, etwa bei Abteilungszusammenlegungen oder auch Schließungen ganzer Standorte. Das haben wir auch gemacht. Aus meiner Erfahrung ist eine erfolgreiche Konsolidierung nur möglich, wenn folgende drei Punkte gegeben sind: Erstens braucht es den Rückhalt der politisch Verantwortlichen. Dabei ist die große politische Kontinuität, die wir in Vorarlberg haben, ganz sicher sehr hilfreich. Zweitens muss man historische Fenster, die sich ergeben, dafür konsequent nutzen, zum Beispiel wenn ein Abteilungsleiter in Pension geht. Und drittens soll man dabei unaufgeregt und sachlich vorgehen, lieber in kleinen Schritten als große Reformen öffentlichkeitswirksam an­zukündigen. Wir sind jedenfalls Fans der normativen Kraft des Faktischen.

Herr Primarius Fraunberger, sind Konsolidierungen inklusive Zusammenlegungen und Fokussierungen nur ökonomisch notwendig oder auch medizinisch sinnvoll?

Peter Fraunberger: Beide Aspekte gehen Hand in Hand, können gar nicht anders als gemeinsam. Um medizinisch ordentlich versorgen zu können, müssen wir ökonomisch arbeiten, weil der finanzielle Gesamtkuchen, der uns zur Verfügung steht, nicht größer wird. Geld, das ich heute vergeude, fehlt mir morgen an anderer Stelle. Ich würde daher in der Fragestellung sogar noch einen Schritt weiter gehen: Konsolidierung ist für mich mehr als eine ökonomische Notwendigkeit, nämlich eine Verpflichtung, um mit den Ressourcen, die uns die Bevölkerung zur Verfügung stellt, verantwortungsvoll umzugehen. Aus medizinischer Sicht sind wir ohnehin getrieben, etwa aufgrund der Ausbildungsanforderungen, die mittlerweile durch Mindestkennzahlen getriggert werden. Es gibt zunehmend medizinische Indikationen (onkologische, chirurgische Dimensionen), wo wir gefordert sind, bestimmte Fallzahlen zu liefern. In einem kleinen Land wie Vorarlberg ist das schwierig, weil es naturgemäß beschränkte Inzidenzen gibt, Pankreas-OPs zum Beispiel. Da hilft eine Fokussierung.

Die Ausbildungsärzte wandern dann mit den Abteilungen mit. In diesem Konsolidierungsstadium sind wir aktuell. Es geht also nicht mehr um das Schließen von Abteilungen, sondern um die Fokussierung und Schwerpunktsetzung. Jedes Spital braucht dafür eine bestimmte Mindestgröße. Man kann nicht einfach etwa herausschneiden. Wir als Träger sind vielmehr gefordert, die für zukunftsorientierte Abteilungen notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Man kann nicht nur Abteilungen anbieten, sondern braucht dazu auch das entsprechende Versorgungssystem rundum. Für Patienten ist eine Fokussierung kein Hindernis, obwohl sie vielleicht etwas länger anfahren müssen. Im Gegenteil, das nehmen sie gerne in Kauf, wenn dort dafür die medizinische Expertise konzentriert ist. Das war schon immer so.

Im Osten des Landes wird derzeit kontroversiell über den völlig offenen Zugang zu den Krankenhausambulanzen diskutiert. Ist das in Vorarlberg auch ein Thema?

Fleisch: Ja, ist es. Wir haben über 400.000 Ambulanzfrequenzen im Jahr. Das heißt: die Vorarlberger kommen traditionell gerne ins Krankenhaus. Wir haben intern sehr umfassende Ambulanzanalysen gemacht: Wer kommt wann in welche Abteilungen? Dann haben wir in einem Pilotprojekt in den Krankenhäusern Bregenz und Hohenems ambulante Erstversorgungseinheiten vorgeschalten und die Patienten nach dem anerkannten Manchester-Triage-System triagiert. Unsere Erfahrungen: Ein Drittel der Patienten wurden aus diesen Erstversorgungseinheiten unbehandelt wieder nach Hause geschickt, ein Drittel in den niedergelassenen Bereich überwiesen und nur rund ein Drittel im Krankenhaus weiterbehandelt. Das heißt also: Zwei Drittel der Patienten, die in Ambulanzen ankommen, sind keine Krankenhauspatienten. Sie dürften nach dem – eigentlich restriktiven – Krankenanstaltengesetz gar nicht versorgt werden.

Fraunberger: Aber in Wahrheit versorgen unsere Ambulanzen natürlich die zwei Drittel, ohne dafür bezahlt zu werden. Dazu kommen dann noch die zahlreichen Spezialambulanzen wie etwa Diabetes, Onkologie-Nachsorge etc., die eigentlich auch zumindest teilweise in den niedergelassenen Bereich gehören, dort aber nicht angeboten werden, weil die entsprechende Honorierung fehlt.

Fleisch: Auch die beiden angesprochenen ambulanten Erstversorgungsmodelle sind rein organisatorische Lösungen, keine finanziellen. Die Last tragen wir alleine. Für Primärversorgungszentren wären das jedenfalls gute Standorte. Mitten auf dem Areal des LKH Bludenz haben wir mit Unterstützung der Ärztekammer eine pediat­rische Doppelordination etabliert, eine Art Mini-PHC. In diese Richtung wird es im niedergelassenen Bereich in Zukunft verstärkt gehen. Wir stecken gerade mitten in einem gewaltigen Generationenkonflikt, den die Ärztekammer derzeit völlig verschläft. Das Einzelkämpfertum ist ein Modell aus dem letzten Jahrhundert, das zusehends nicht mehr funktioniert. Die jungen Ärzte wollen im Team arbeiten, wollen flexibel bleiben und wollen auch nicht das unternehmerische Risiko, sich finanziell über Jahrzehnte verschulden oder binden. Das geht in größeren Einheiten leichter. In den skandinavischen Ländern gibt es etwa kaum mehr niedergelassene Fachärzte, sondern fast ausschließlich Erstversorgungseinrichtungen und Spezialzentren.

Abschließend noch eine Frage zu Ihrem – scheinbar erfolgreichen – Kampf um die besten Köpfe: Die MedUnis sind fern, die Konkurrenz hingegen nah (die Schweiz ist gerade einmal einen Steinwurf oder 1,5 Kilometer entfernt). Trotzdem schaffen Sie es offenbar, genügend Jungmediziner zu „ködern“ – und dann auch an der Angel zu halten. Welche Köder werfen Sie aus, was bieten Sie den Geköderten an, um zu bleiben?

Fleisch: Vorarlberg alleine hätte nicht genug Ärzte, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Daher mussten wir schon früher als viele andere schauen, wie wir Jungärzte ins Land holen. Das ist jetzt vielleicht unser Vorteil. Dafür muss man in einem ersten Schritt ein gutes Package schnüren, das zudem berechenbar und verlässlich ist. Wir haben daher schon sehr früh eine Gehaltsreform erarbeitet, als einer der Ersten in Österreich. Gleiches gilt für unser Karrieremodell, das unter anderem einen bereichsführenden und einen geschäftsführenden Oberarzt mit entsprechenden Entwicklungspotenzialen vorsieht. Das hat uns sehr geholfen beim Rekrutieren, ebenso wie unser scharfes Tätigkeitsprofil für Turnusärzte. Dafür haben wir einen Maßnahmenkatalog mit 36 Hauptmaßnahmen erstellt.

In einem zweiten Schritt haben wir dann mit diesem Package offensiv Werbung gemacht: „Wir haben eine tolle Ausbildung, die wir anbieten können!“ Das ist die Message, mit der wir regelmäßig Veranstaltungen wie etwa die Winter School, zu der 880 Interessierte aus ganz Österreich gekommen waren, ebenso bespielen wie die sozialen Medien. Das Resultat dieser Bemühungen: Wir haben heute in Vorarlberg eine positive Ärztebilanz, es kommen mehr Ärzte als uns verlassen.

Fraunberger: Uns wird immer wieder vorgeworfen: von den hier Ausgebildeten gehen 50 Prozent weg. Dieser Vorwurf stimmt so nicht. Denn von jenen, die zu uns kommen, stammen 80 Prozent nicht aus Vorarlberg. Trotzdem bleibt nach der Ausbildung fast die Hälfte von ihnen dauerhaft hier, das ist eine gute Quote. Außerdem haben wir auch viele Schweiz-Rückkehrer. Daran sieht man, dass es den jungen Medizinern eben nicht nur um das Geld geht. Die Ausbildungsqualität und das soziale Umfeld sind zumindest ebenso entscheidend. Zu dieser Ausbildungsqualität gehört auch die Möglichkeit, wissenschaftlich arbeiten zu können, auch wenn wir keine Universitätsklinik haben. Eine Möglichkeit ist die Mitarbeit beim hier in Feldkirch am LKH angesiedelten Verein VIVIT, das Vorarlberg Institute for Vascular Investigation and Treatment.

Das wissenschaftliche Institut wurde 1997 gegründet und fokussiert sich primär auf die Erforschung und Therapierung von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Diabetes oder Atherosklerose. Darüber hinaus beschäftigt sich das VIVIT intensiv mit der Untersuchung von nephrologischen Erkrankungen und Krebserkrankungen. Wir kooperieren zudem auch eng mit der MedUni im benachbarten Lichtenstein. Wir fördern das, schaffen entsprechende Freiräume für jene Mitarbeiter, die das machen wollen. Hier gibt es sicherlich eine Holschuld der Mitarbeiter. Wer das will, bekommt auch die Chance dazu.

Dir. Dr. Gerald Fleisch ist Sprecher der Geschäftsführung der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebs GmbH und unter anderem für Personal,  Kommunikation, IT sowie das Finanz- und Rechnungswesen verantwortlich.
Prim. Dr. Peter Fraunberger ist in der Geschäftsführung für sämtliche medizinische Angelegenheiten sowie u.a. für Logistik und Qualitätsmanagement zuständig.

Leistungsangebot „passgenau definieren“

Foto: Alexandra Serra/Land Vorarlberg Statements von Dr. Christian Bernhard, Vorarlberger Landesrat für Gesundheit, zum …

… Vorarlberger Spitalskonzept:
„Die gegenwärtige Krankenhauslandschaft mit den sechs Standorten steht außer Frage. Krankenhausschließungen sind nicht vorgesehen. Es besteht ein klares Bekenntnis zu den Standorten. Die Frage ist aber, wie die Häuser am besten zu bespielen sind. Es gilt, das Leistungsangebot der einzelnen Standorte passgenau zu definieren. Von Zusammenlegungen kann in diesem Zusammenhang ausgegangen werden, dazu sei auf den Regionalen Strukturplan Gesundheit (SGBP Vorarlberg) verwiesen. Strukturänderungen wie Abteilungszusammenlegungen sind immer ein Abgehen vom vertrauen Weg und werden von Betroffenen durchaus auch kritisch gesehen. Wesentlich ist aber, dass Überlegungen der Qualität, der Ausbildungserfordernisse, der Fallzahlen und entsprech­en­des Bewusstsein dafür gegeben sind, um sie ‚politisch zu verkaufen‘.“

… politischen Beitrag zur Versorgungssicherheit:
„Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung erfolgt über vielfältige Maßnahmen. Zu nennen sind unser sehr erfolgreiches Rekrutierungsprogramm, die Einführung eines Turnusärztekongresses, der österreichweit, aber auch über die Grenzen hinaus Beachtung findet, die Einführung des Lehrpraxenmodells zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs. Nicht zuletzt durch die Attraktivierung des Arbeitsumfeldes durch die Einführung eines wettbewerbsfähigen Gehaltssystems, neue Arbeitszeitmodelle und umfassende Angebote für Fort- und Weiterbildung. Darüber hinaus hat Vorarlberg mit dem Medizinervorbereitungskurs als erstes Bundesland auf die Zugangshürde des Medizinertests in Österreich reagiert. Die Zugangsquoten von Studenten aus Vorarlberg sind aufgrund dieses Vorbereitungskurses deutlich gestiegen. Auf Bundesebene gilt es sich dafür einzusetzen, dass die Quotenregelung adaptiert und soziale Kompetenzen im Aufnahmetest mehr Berücksichtigung finden.“

Der neue Hybrid-OP am LKH Feldkirch

Im Endausbau werden ab Mitte 2018 am LKH Feldkirch zwölf neue OP-Säle für die Disziplinen Anästhesie, Chirurgie, Gefäßchirurgie, Gynäkologie, Interventionelle Radiologie und Urologie zur Verfügung stehen. Prunkstück des aktuell größten Hochbauprojekts des Landes Vorarlberg ist der Hybrid-OP, der den Chirurgen für eine fächerübergreifende Nutzung bereits jetzt zur Verfügung steht. Er bietet modernste Medizintechnik sowohl im Bereich Operation als auch in der Bildgebung an. Unter anderem befindet sich hier eine Rotationsangiografie mit 3D-Bildgebung der jüngsten Generation. Die CliniCum-Redaktion überzeugte sich vor Ort von dem einzigartigen interdisziplinären Konzept und informierte sich bei Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Cejna, Leiter der Interventionellen Radiologie, über die Vorzüge und Besonderheiten seiner brandneuen Wirkungsstätte.

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