Patienten aufklären statt sie verpflichtend steuern

Foto: Barbara BülowBundesministerin Dr. Rendi-Wagner wird ab Herbst keine längeren Wartezeiten für CT und MRT mehr akzeptieren. Sollten die angekündigten freiwilligen Maßnahmen nicht ausreichen, will sie „dieses Problem gesetzlich lösen“. Damit ihr die Wähler dazu aber überhaupt die Gelegenheit geben, dafür möchte die oberste Gesundheitspolitikerin in einem „kurzen, aber fairen Wahlkampf“ ihren aktiven Beitrag leisten. (CliniCum 7-8/17)

CliniCum: Frau Bundesministerin, nach wie vor gibt es besonders innerhalb der Ärzteschaft prominente Stimmen, die Österreichs gesetzliche Arbeitszeitregelung für eine Übererfüllung der EU-Vorgaben halten – mit negativen Kon­sequenzen für die Patientenversorgung ebenso wie für die Forschung und Ausbildung der Jungärzte. War Österreich tatsächlich übermotiviert zulasten einer nachhaltigen Versorgung?

Rendi-Wagner: Gerade für die nachhaltige Absicherung des öffentlichen Gesundheitssystems brauchen wir gute Rahmenbedingungen für Ärztinnen und Ärzte und für die anderen Gesundheitsberufe. Die Arbeitszeiten sind hier natürlich ein ganz wesentlicher Punkt, der für den Spitalsbereich mit den neuen Regelungen ganz wesentlich verbessert wurde.

Zur Medizinerausbildung: 16.000:1.600 lautet heuer das Verhältnis von Bewerbern zu angebotenen Studienplätzen. Am anderen Ende klagen viele über eine zunehmende Verknappung personeller Ressourcen in der Medizin. Was kann die Politik beitragen, um mehr von jenen, die man teuer ausbildet, dann auch ins System zu integrieren und nicht durch Abwanderung ins Ausland oder andere Berufe zu ­verlieren?

Wir wissen, dass 2025 rund 60 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte das Pensionsalter erreichen werden. Umso wichtiger ist es, eine Grundlage zu schaffen, den Bedarf an Medizinerinnen und Medizinern optimal planen zu können. Als Grundlage für diese Planung haben wir eine ganze Menge an Daten im System. Das Wissenschaftsministerium hat Zahlen zu den Medizinstudierenden, die Ärztekammer hat Zahlen zur Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, und die Sozialversicherung hat Zahlen zu Vertragsärztinnen und Ärzten. Wir müssen diese Daten zusammenführen und im Gesamtbild betrachten.

Mir ist es wichtig, dass ich mit fundierten, wissenschaftlichen Daten arbeite. Ich möchte genau wissen: Wie viele Ärztinnen und Ärzte brauchen wir in den nächsten Jahren, in welchen Fachgebieten? Wie ist die Aufteilung zwischen Ärzten und Ärztinnen? Wie viele Studierende aus dem Ausland verlassen wann und vor allem warum das Land? Ziel ist es, eine Gesamtschau zu haben, vom Studium angefangen bis hin zur Versorgungfrage. Ich habe meinem Haus den Auftrag gegeben, die Daten aus den verschiedenen Bereichen zusammenzutragen.

Bei den Spitalsambulanzen klafft ein großes Loch zwischen gesetzlichem Versorgungsauftrag und gelebtem Alltag. Sie haben längst Aufgaben eines schwächelnden niedergelassenen Bereichs übernommen. Ihre Antwort darauf ist das PHC-Gesetz. Sind Sie auch für eine verpflichtende Steuerung der Patientenströme im Sinne des „Best Point of Service“?

Mit dem am 28. Juni im Nationalrat beschlossenen Gesetz zur Primärversorgung stellen wir entscheidende Weichen für die Zukunft unseres Gesundheitssystems. Wir sichern das Gesundheitssystem von morgen ab, und wir stellen damit die bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle Menschen in diesem Land sicher. Ziel ist es, der Bevölkerung ein starkes medizinisches Versorgungsangebot in ihrer nächsten Umgebung zur Verfügung zu stellen. Gute Erreichbarkeit, längere Öffnungszeiten und umfassende Leistungen für die Patientinnen und Patienten sollen so gewährleistet werden. Die Primärversorgung ist aber nicht nur auf die bloße Behandlung von Krankheiten beschränkt, sondern umfasst auch den gesamten Bereich der Gesundheitsvorsorge.

Gemeinsam mit seinem Team begleitet die Hausärztin/der Hausarzt etwa nach einem Aufenthalt im Krankenhaus, unterstützt chronisch kranke Patientinnen und Patientinnen oder arbeitet mit mobilen Pflegediensten zusammen. Eine verpflichtende Steuerung der Patientenströme im Sinne von Vorschriften ist keinesfalls geplant. Wir setzen hier auf mehr Information und eine bessere Aufklärung, die beispielsweise über die telefonische Gesundheitsberatung 1450 geleistet werden kann. Hier erfahren die Menschen genau, welche Anlaufstelle mit ihrer Verletzung oder Erkrankung sinnvoll wäre, und können so selbst Entscheidungen treffen.

Gesundheit wird zum überwiegenden Teil durch Faktoren determiniert, die mit kurativer Versorgung wenig zu tun haben – Stichwort: Armut, Integration, Ausbildung etc., aber auch Gesundheitsförderung, Prävention usw. Sie proklamieren seit Jahren zu Recht den Begriff „Health in all policies“. Fühlen Sie sich von Ihren Ministerkollegen dabei ausreichend unterstützt?

Ich bin mit ihnen in laufendem Kontakt, und wir führen immer sehr konstruktive Gespräche. Das Bewusstsein über die Bedeutung des Gesundheitssystems und der Gesundheitsförderung in Österreich ist in der gesamten Regierung sehr ausgeprägt, weshalb elf verschiedene Ministerien und das Bundeskanzleramt bei der Formulierung der Gesundheitsziele Österreichs mitgearbeitet haben.

Apropos Gesundheitsziele: Sie feierten vor Kurzem fünf Jahre Gesundheitsziele als internationales Vorzeigeprojekt. Vielen Kritikern fehlen in diesem Konzept aber konkrete, messbare und damit verpflichtende Zieldefinitionen. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Die Gesundheitsziele sind ein Meilenstein in der österreichischen Gesundheitspolitik. Das hat nicht nur mit dem Inhalt zu tun, sondern ebenso mit der breiten Beteiligung und Unterstützung. 40 Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bereichen haben ausführlich diskutiert und die zehn Ziele entwickelt. Gleichzeitig hat auch die gesamte Bevölkerung ein enormes Interesse gezeigt. Auf einer eigens dafür eingerichteten Online-Plattform sind über 4.500 Anregungen zum Thema Gesundheitsförderung eingegangen. Ich freue mich, dass Gesundheitsförderung heute als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen wird.

Seit die Bundesgesundheitskommission und der Ministerrat die zehn Gesundheitsziele für Österreich im Sommer 2012 beschlossen haben, ist schon einiges passiert. Beispiele für konkrete Projekte, die bereits umgesetzt wurden bzw. immer noch laufen, sind etwa die Frühen Hilfen, die Österreichische Plattform für Gesundheitskompetenz, der Ausbau von außerschulischen Lernförderungen oder die Maßnahmen zum altersgerechten Arbeiten.

Im Rahmen der Frühen Hilfen werden Eltern und Alleinerzieherinnen und -erzieher von der Schwangerschaft an von geschultem Personal unterstützt und begleitet. Das umfasst individuelle Angebote für Hilfe und Prävention in allen Lebensbereichen. Das bedeutet, die Begleiterinnen und Begleiter sprechen Familien in Belastungssituationen, sei es finanziell oder in anderer Form, gezielt an. So schaffen sie es auch, Familien zu erreichen, die von Angeboten der Gesundheitsförderung oder Prävention ansonsten wegen eines fehlenden Zugangs nicht profitieren würden. Zu den Frühen Hilfen gibt es bereits Evaluierungen und konkrete Zahlen, die die Wirksamkeit und den positiven Nutzen des Projektes bestätigen. Diese zeigen, dass jeder Euro, der in dieses Unterstützungsangebot fließt, später gleich mehrfach wieder zurückkommt.

Ein großes Anliegen ist Ihnen der Kampf gegen eine Zwei-Klassen-Medizin. Angesichts der tatsächlichen Entwicklung – Stichworte: Wahlärzteboom, vorgezogene Op-Termine für private Primarärzte-Patienten, massiv fehlende Kassen­stellen in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Betreuung – kommen Sie sich da nicht manchmal vor wie ­Don Quijote in seinem hoffnungslosen Kampf gegen Windmühlen?

Österreich besitzt im europäischen und im internationalen Bereich ein hervorragendes Gesundheitssystem. Dieses muss auch allen zugute kommen, egal bei welcher Versicherung man ist oder wie viel Geld man besitzt. Es ist nicht hinnehmbar, wenn der Geldbeutel darüber entscheidet, wann eine medizinisch notwendige Untersuchungen oder ein medizinisch notwendiger Eingriff stattfindet. Mehr als zwei Wochen Wartezeit für eine CT und vier Wochen für eine MRT dürfen es einfach nicht sein. Zu diesem Zweck sollen laut den Sozialversicherungen die Wartezeiten auf den Homepages der Institute sichtbar gemacht werden. Das ist ein guter Schritt. Mir wurde von den Vertragspartnerinnen und -partnern außerdem zugesichert, dass ab dem Sommer bereits eine deutliche Verkürzung der Wartezeiten zu spüren sein wird. Sollte sich hier keine Besserung über den Sommer einstellen, dann werden wir an unserem Plan festhalten und dieses Problem gesetzlich lösen.

Abschließend eine persönliche Frage: Als Sie sich entschieden haben, aus der „sicheren“ Position der Sektionschefin in die raue, kurzfristig orientierte Politik zu wechseln, haben Sie wohl kaum geahnt, wie kurzfristig Ihre Aufgabe tatsächlich sein könnte. Kaum hatten Sie begonnen, etwas zu bewegen, ist es schon wieder vorbei: Stillstand, Wahlkampf. Frustriert? Stehen Sie auch der nächsten Bundesregierung als Ministerin zur Verfügung?

Ich konzentriere mich jetzt, noch wichtige Projekte in der Gesundheits- und Frauenpolitik auf den Weg zu bringen, und anschließend kommt ein kurzer und fairer Wahlkampf, zu dem ich sicherlich einen Beitrag leisten werde. Zukunftsfragen werde ich dann zu gegebenem Zeitpunkt mit meiner Familie besprechen.

Priv.-Doz. Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc wurde am 8. März 2017 als Bundesministerin für Gesundheit und Frauen angelobt. Davor leitete sie (seit 2011) die Sektion für Öffentliche Gesundheit und Medizinische Angelegenheiten im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. Sie promovierte an der Universität Wien, habilitierte an der MedUni Wien (Spezielle Prophylaxe und Tropenmedizin).

kurz & spontan

Assoziationen von Bundesministerin Rendi-Wagner …

… zur Anzahl der Sozialversicherungen:
Für mich steht nicht die Frage der Struktur im Vordergrund,
sondern dass alle Menschen denselben Umfang an medizinischen Leistungen erhalten, egal wie groß ihr Geldbeutel ist.

… zur Finanzierung aus einer Hand:
Mit der Gesundheitsreform haben wir einen guten Weg beschritten, um im Rahmen der bestehenden Kompetenzen als Bund mit Ländern und Sozialversicherungen zusammenzuarbeiten. Im Rahmen dieser Kooperation ist es möglich, die komplexen Finanzierungs­ströme im Gesundheitssystem weiterzuentwickeln.

… zu Pflichtbeiträgen für die Ärztekammer:
Die Ärztekammer ist gesetzlich als die Interessenvertretung
der Ärztinnen und Ärzte eingerichtet. Daher sieht auch das
Ärztegesetz eine entsprechende verpflichtende Kammerumlage vor.

… zur „Verweiblichung“ der Medizin:
Die Politik ist in der Pflicht, die Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in allen
Bereichen des Gesundheitssystems möglich ist. Ein großer Schritt ist die Einrichtung der Primärversorgungszentren, die es etwa ermöglichen, Arbeitszeiten besser auf die individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse abzustimmen.

… zur Impfpflicht für Gesundheitsberufe:
Wir prüfen gerade, welche Maßnahmen im Bereich des Gesundheitspersonals gesetzt werden können, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren.