9. Nov. 2017

Gewalt soll kein Berufsrisiko sein

PRÄVENTION – Die Initiative „Gewaltfreies Krankenhaus“ der Gespag soll Eskalationen verhindern. (Medical Tribune 44/17) 

V.l.n.r.: Lehner, Haberlander, Aster und Königswieser
V.l.n.r.: Lehner, Haberlander, Aster und Königswieser

Aggressives Verhalten und Gewalt sind keine Seltenheit in Gesundheitseinrichtungen. Untersuchungen in allgemeinen Krankenhäusern, Geriatriezentren und psychiatrischen Einrichtungen in Österreich zeigen, dass knapp 80 % der Mitarbeiter in den letzten zwölf Monaten verbalen Übergriffen ausgesetzt waren. 60 % sind mit körperlichen Attacken konfrontiert worden, wie bei einer Pressekonferenz der oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals-AG Gespag berichtet wurde. Zu 80 % ist es das Pflegepersonal, das mit Gewalt konfrontiert ist, unter den Ärztinnen und Ärzten sind es 17 %. Auch Patienten und Besucher können mit herabwürdigendem Verhalten konfrontiert sein.

Information für Patienten, Personal und Führungskräfte

Nun wird in der Gespag mit der Initiative „Gewaltfreies Krankenhaus“ ein Maßnahmenpaket geschnürt, das den Betroffenen hilft, frühzeitig gegenzusteuern. „Gewalt im Gesundheitswesen darf und soll nicht länger hingenommen werden“, betonte Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander. „Es geht dabei nicht um Skandalisierung, sondern um ganzheitliche Lösungen im Sinne aller Beteiligten.“ Das Salzkammergut-Klinikum fungiert bis Ende 2017 als Pilot-Spital. Danach werden die Maßnahmen auf die gesamte Gespag-Gruppe ausgerollt, erklärte Gespag- Vorstand Karl Lehner. Am Ende sollen 1038 Ärtinnen und Ärzte sowie 3583 Pflegekräfte an sechs Spitälern erfahren haben, wie Vorfälle am besten entschärft werden oder gar nicht erst zustande kommen.

„Wir wissen aus Erfahrung, dass die Dunkelziffer in diesem Kontext ungemein groß ist. Daher ist es entscheidend, den Kolleginnen und Kollegen das Gefühl zu vermitteln, dass sie Gewaltattacken nicht einfach hinnehmen müssen, dass sie kein bloßes Berufsrisiko darstellen, sondern dass es Grenzen gibt, die eingehalten werden müssen“, erklärte Gabriele Aster, Pflegedirektorin des Salzkammergut-Klinikums. Seit vier Monaten werden an den drei Standorten des Salzkammergut-Klinikums – Bad Ischl, Gmunden, Vöcklabruck – Vorfälle dokumentiert. In den ersten drei Monaten sind 24 Meldungen eingelangt. Neunmal wurden Vorfälle berichtet, in denen es zu verbaler und physischer Gewalt zugleich kam. Achtmal wurde von physischen, sechsmal von verbalen Angriffen berichtet. Eine Meldung betraf sexuelle Belästigung. Die Führungskräfte am Salzkammergut- Klinikum haben eine Schulung über Arten von Gewalt, Meldeprozesse und die Betreuung betroffener Mitarbeiter absolviert.

Personal, das in besonders exponierten Bereichen tätig ist, wie Akutaufnahme, Unfallambulanz, Psychiatrie und Kreisssaal, erhalten ein Deeskalationstraining. Kommt es zu einem Vorfall, kann auf Leitlinien und konkrete Verfahrensanweisungen zurückgegriffen werden. Den Betroffenen wird sofort kollegiale Unterstützung angeboten. In regelmäßig stattfindenden Reflexionsveranstaltungen und sog. „Reflexionscafés“ können Beispiele diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht werden. Und um Patienten zu informieren und zu sensibilisieren, werden Folder in die Patienteninformationsmappen integriert, die in jedem Krankenzimmer zur Verfügung stehen. „Außerdem möchten wir für stationäre Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen Sprechstunden einführen, um etwaig auftretende Problemstellungen möglichst bald aufzufangen und abzufedern“, gibt Dr. Tilman Königswieser, Ärztlicher Direktor des Salzkammergut-Klinikums, einen Ausblick auf weitere Pläne.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune