15. Juli 2015

Was geht TTIP die Ärzte an?

Die möglichen Folgen eines Transatlantischen Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA auf das Gesundheitswesen und die Gesundheit wurden in Österreich bisher kaum diskutiert.<(p>

Das Gesundheitswesen ist auch Gegenstand der TTIP-Verhandlungen.
Das Gesundheitswesen ist auch Gegenstand der TTIP-Verhandlungen.

116 Empfehlungen gibt das Europä­ische Parlament der Kommission mit auf den Weg für die weiteren Verhandlungen mit den USA über die Transatlantische Handels- und Investionspartnerschaft (TTIP). Am 8. Juli verabschiedete das Parlament nach langen Diskussionen mehrheitlich eine zuvor vertagte Resolution. Sie enthält auch eine Stellungnahme des parlamentarischen Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). Chancen und Risiken des zur Diskussion stehenden Zusammenrückens der beiden großen Wirtschaftssysteme USA und EU in Bezug auf Gesundheit, Lebensmittel und Umwelt werden darin aufgeführt. Auf der Positivseite stehen u.a. die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum und Absicherung der Sozialsysteme im von Überalterung geprägten Europa sowie die Chance auf Vorgabe von (höheren) weltweiten Standards durch den entstehenden größten globalen Wirtschaftsraum.

Auf der Negativseite stehen Sorgen um die höheren Schutzstandards in Europa bei Lebensmitteln, Tiergesundheit und Umwelt, die von den USA als Handelshemmnisse betrachtet werden. Das Parlament fordert daher die Kommission auf, sicherzustellen, dass TTIP das Recht, die Fähigkeiten und die Gesetzgebungsverfahren der EU und der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt, Maßnahmen zu setzen, um legitime Gemeinwohlziele zu verfolgen. Rechtlich bindend ist die Resolution für die Kommission nicht, allerdings muss das Gesamtergebnis der Verhandlungen mit den USA auch vom EU-Parlament beschlossen werden.
Die österreichische EU-Parlamentarierin Karin Kadenbach (SP) ist seit mittlerweile sieben Jahren ENVI-Mitglied und steht TTIP „persönlich sehr kritisch gegenüber“. Gemeinsam mit den anderen SPÖ-EU-Abgeordneten hat sie der Resolution des Parlaments nicht zugestimmt. Sie fürchtet v.a. eine mittelfristige Absenkung bzw. Verunmöglichung der Weiterentwicklung der Standards bei Lebensmitteln und in Umweltfragen durch den zur Verhandlung stehenden Investitionsschutz für Konzerne.

Bedenken der deutschen Heilberufe

Die Entwicklungen rund um TTIP werden von vielen Interessensgruppen beobachtet, kommentiert und soweit möglich zu beeinflussen versucht. Bereits im Mai 2015 veröffentlichte die deutsche Bundesärztekammer gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bundeszahnärztekammer, der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sowie der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände eine gemeinsame Erklärung zu TTIP. Darin fordern die Präsidenten und Vorsitzenden, dass Gesundheitsdienstleistungen überhaupt aus dem Anwendungsbereich von Freihandels­abkommen ausgeschlossen und bestehende Standards nicht gesenkt werden. Mitgliedstaaten sollten ihre Souveränität in der Gestaltung ihrer Gesundheitswesen behalten. Patientenrechte, Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung dürften nicht eingeschränkt werden. Die deutschen Heilberufe forderten daher eine Positivliste, die klarstellt, dass TTIP keine Anwendung auf das Gesundheitswesen und die Heilberufe findet. Aus Brüssel wurde kurz darauf knapp vermeldet, das Gesundheitswesen werde aus den TTIP-Verhandlungen nicht ausgenommen werden.

In Österreich gab es zu TTIP bisher kaum Wortmeldungen aus dem Gesundheitswesen. Auf MT-Nachfrage teilte ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger mit, dass die österreichische Standesvertretung wie die deutschen Heilberufsverbände die Entwicklung von TTIP wachsam beobachte. Die ÖÄK erwarte sich Widerstand, wenn auch nationale Gesundheitssysteme von TTIP betroffen sein sollten.
Univ.-Prof. Dr. Markus Metka, OA  an der Universitätsfrauenklinik in Wien, beschäftigt sich schon länger mit den möglichen Auswirkungen von TTIP auf die Gesundheit und versucht auch seine Kollegen von der Bedeutung des Themas zu überzeugen. Aufmerksam geworden ist er, wie er offen zugibt, durch seine ernährungsmedizinische Beratertätigkeit für den Handelskonzern Spar. Dieser lobbyiert etwa mit einem „Manifest zur Erhaltung der österreichischen Qualitätslandwirtschaft“ gegen TTIP. Metka selbst sieht es als „ärztliche Pflicht“, sich mit den Auswirkungen von TTIP auf die Gesundheit auseinanderzusetzen. Er sieht vor allem in der Angleichung der Standards bei Lebensmitteln und in der Landwirtschaft eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Dem „American Way of Life“ sollten nicht Tür und Tor geöffnet werden. Die US-­Lebensmittelindustrie würde etwa die in Verruf geratene Fruktose viel mehr einsetzen als die europäische.

Erleichterungen bei Arzneimittelzulassungen

Die pharmazeutische Industrie verfolgt über ihre Dachverbände die TTIP-Verhandlungen. Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig, würde sich allerdings sowohl für die Industrie als auch für die Bevölkerung ein Mehr an Transparenz wünschen. Für Huber ist klar: „Wir brauchen Wirtschaftswachstum, daher ist die engere Verschränkung der europäisch-amerikanischen Märkte und der Abbau von Handelshemmnissen ein Gebot der Zeit. Populistische Angstmache ist hier kontraproduktiv.“ Schon jetzt würden 80 Prozent des weltweiten Umsatzes mit neuen Medikamenten in den USA und der EU gemacht. Für europäische Arzneimittelhersteller ergäbe sich durch TTIP ein vereinfachter Marktzugang in den USA, und US-Arzneimittelhersteller könnten ihre Produkte in Europa leichter auf den Markt bringen.

Huber: „Als großen Vorteil sehe ich den angestrebten Abbau regulatorischer Hürden, beispielsweise durch die Angleichung von Zulassungsprozessen und technischen Normen. Dies würde signifikante Kosteneinsparungen für Industrie und Behörden mit sich bringen. Medikamente könnten damit rascher zugelassen werden.“ Sowohl in den USA als auch in Europa würden höchste Standards in der Arzneimittelzulassung gelten, so Huber. Der Industrie gehe es bei TTIP nicht darum, Sicherheitsbestimmungen herunterzuschrauben, sondern Abläufe zu harmonisieren. So könnten etwa Doppelarbeiten bei Studien und Tests vermieden werden, die sich heute durch jeweils leicht abweichende Anforderungen auf beiden Seiten des Atlantiks ergeben.

Anerkennung der Kontrollen in USA und EU

Zudem strebt die pharmazeutische Industrie eine gegenseitige Anerkennung von Inspektionen in Produk­tionsstätten für Medikamente (Good Manufacturing Practice) an. Eine Anerkennung der von der jeweils anderen Kontrollbehörde durchgeführten Inspektionen würde Kosten und Zeit einsparen. Auf die Frage, ob durch TTIP die Preise für Medikamente in Europa tendenziell eher steigen oder sinken würden, antwortete Huber: „Für die Patienten bringen offenere Märkte eine größere Auswahl an Arzneimitteln zu besseren Konditionen.“
Die zehnte TTIP-Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA ist für den 13. bis 17. Juli in Brüssel ­geplant.

Info:
Resolution des europäischen Parlaments:
www.europarl.europa.eu
Erklärung der deutschen Heilberufe:
www.abda.de/uploads/tx_news/Erklaerung_TTIP_BAEK_KBV_BZAEK_ABDA_KZBV.pdf

Autorin: Mag. Silvia Jirsa

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune