20. Jän. 2020

Was bleibt und was kommt

Wir sitzen in unserem kuscheligen Appartement am Kachelofen und blicken übers Tal. Schnee und Stille, Lichterketten an den Nachbarhäusern, am gegenüberliegenden Berghang das kleine Dorf mit der kleinen, gedrungenen Kirche, die so viel Geborgenheit vermittelt. Wir genießen unseren Urlaub am Bauernhof in einem bekannten Skigebiet in Tirol. Alle Jahre wieder sind wir da. Die Hausleut sind längst von Vermietern zu Freunden geworden. Und alle Jahre wieder fließen Tränen beim Abschied. Manchmal werden wir gefragt, ob uns das nicht fad wird, immer an denselben Ort. Wird es nicht.

Im Winter, wenn wir vom Vorweihnachtswahnsinn und beginnender Grippewelle geplagt sind und uns die Zunge bis zum Boden hängt, passt uns das gut: wegfahren, ankommen und sich sofort zu Hause fühlen. Natürlich kann man postulieren, dass wir alt, faul und einfallslos geworden sind. Ich meine aber, dass wir Glück gehabt haben, vor vielen Jahren dieses spezielle Plätzchen zu finden, und jetzt dieses Glück immer wieder genießen wollen. Zufriedenheit mit dem, was man hat, mag zwar nicht modern sein, aber what shalls? Man muss sich sowieso jeden Tag neu erfinden, da darf meinetwegen die Umgebung gerne konstant bleiben.

E wie Einfühlungsvermögen

Und der heurige Urlaub hatte einiges zu bieten. Alleine die Wetterkapriolen gaben uns das Gefühl, durch mehrere Zeitzonen zu reisen. Bei unserer Ankunft war es eisig kalt, die Bäume waren in typischer Wintermärchenmanier angereift und sahen aus, als wären sie aus zart gesponnenem Zucker. An unserem ersten Skitag kam ein Schneesturm auf und ich von der Piste ab. Die Berge zeigten sich von ihrer majestätischen, aber auch gefährlichen Seite. Am Tag danach strahlte die Sonne von einem kitschig blauen Himmel, als unsere Ski über die eisige Piste kratzten. Kaum Menschen, nur der Schnee, die Berge und wir.

Im Sessellift sitzend sagte ich zu meinem Mann: Was für ein Geschenk, ein Tag wie heute. Das hätte nach dieser Wetterprognose keiner erwartet.“ Zehn Sekunden später hob ein Sturm an, der uns fast aus dem Sessel schleuderte. Die Anlagen am Berg wurden gesperrt und wir versuchten irgendwie mit einem Rest von Würde ins Tal zu kugeln. Danach kam der Fön. Statt mit geschliffenen Kanten übers Eis zu kratzen, gruben wir uns bei zwölf Grad durch den Schneematsch. Herrlicher Muskelkater! Also gönnten wir unseren Energiespeichern eine Pause und uns einen Ausflug nach Südtirol. Mit Kinderpunsch, Apfelstrudel und Wurst mit Sauerkraut in Ciabatta verpackt am verregneten Weihnachtsmarkt von Sterzing. Wir haben Frost, Schnee Regen, Sturm und Sonne erlebt, uns viel bewegt, wunderbar gegessen und nette Menschen getroffen. Unsere neue Skiausrüstung haben wir in einem kleinen Laden gekauft. Dort wurden wir super betreut und beraten.

Es ist nicht einfach, unsere Platt- Senk-Knick-Hobbitfüße in passende Skischuhe zu bekommen. Und Ski bekamen wir auch die richtigen. Der junge Mann fasste unseren Versuch der Selbstbeschreibung mit den Worten zusammen: „I siach Ihr, seid’s scho sehr sportlich, aber die FIS wird’s nimmer brauchen.“ Ich nutze solche Begebenheiten auch immer zu Vergleichen und zur Selbstevaluierung. „Ja, genau so wollen wir arbeiten. Genau mit diesem Engagement und dieser Begeisterung und mit diesem Einfühlungsvermögen!“ Oder wie die Wirtin in unserem Lieblingsrestaurant, die noch genau wusste, wer wir sind und welchen ihrer edlen Rotweine wir vor einem Jahr genossen hatten. Und dazwischen hat die Hunderte von Menschen gesehen!

10 Jahre Kassenordination

Ich will meinen Patienten auch das Gefühl geben, dass ich mich an sie erinnere und dass ich weiß, was sie plagt und bewegt. Ich will den Eindruck vermitteln, dass der andere keine anonyme Nummer ist, sondern in Erinnerung geblieben. (Das geht klarerweise nicht mit allen, aber dort, wo es geht, freut sich der Mensch, wenn er persönlich wahrgenommen wird.) Zehn Jahre bin ich jetzt in der Kassenordination. Was will ich in meiner Praxis für die nächsten zehn? Vergrößern will ich nicht, auch keine großen Veränderungen. Vieles ändert sich ohnehin von selber, zum Beispiel die Zusammenlegung der Krankenkassen, die nicht mehr Verrechenbarkeit der Laborwerte und meine Assistentin geht in Pension. Andere Dinge wie zum Beispiel die EDV erfinden sich erfahrungsgemäß ganz von selbst ständig neu. Und zwar immer dann, wenn man endlich gelernt hat, wie man am besten damit arbeitet, und alles endlich rund läuft.

In diesem Moment gibt’s ein Update und das Chaos beginnt von Neuem. Wie bei diesen Brettspielen, wo man durch Würfelpech oder bösartige Kärtchen immer wieder an den Start zurück muss. Mir werden auch die kleinen Veränderungen reichen und das tägliche Mich-selbst-neu-Erfinden und die ständig anderen Menschen mit neuen Bedürfnissen. Und ich werde mich bemühen und verbessern. Aber nicht mehr verbiegen. Ich habe gestern die Erwiderung einer Wirtin auf eine unverschämte Restaurantkritik gelesen, die mit den Worten „… dieses Restaurant werden wir nicht mehr besuchen“ endet: „Is auch besser, wenn’s net wiederkommt’s, so wie Ihr Euch aufg’führt habt’s!“ Sehr inspirierend. Danke!

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune