4. Mai 2018ÖGIT 2018

Magere Durchimpfungsraten bei Erwachsenen

Während Impfungen im Kindesalter trotz steigender Zahlen von Impfgegnern für die meisten Eltern eine Selbstverständlichkeit sind, lassen die Durchimpfungsraten unter Erwachsenen nach zu wünschen übrig. Es reicht nicht aus, den Impfpass nur vor Fernreisen hervorzuholen. (Medical Tribune 18/18)

Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ist die immunologische Ausgangssituation noch nahezu ideal: Junge Erwachsene haben genügend naive T-Zellen, die fähig sind, auf neue Antigene zu reagieren, aber auch bereits einen großen Pool verschiedenster Memory-Zellen, der die immunologischen Erfahrungen des bisherigen Lebens widerspiegelt.

Immunoseneszenz

Doch spätestens ab dem 75. Lebensjahr sind die Veränderungen im T-Zell-Repertoire unübersehbar: Da aufgebrauchte naive T-Zellen durch den Verlust des Thymus nicht mehr nachgebildet werden können, nimmt ihre Zahl deutlich ab. Bei den Memory- Zellen kommt es zu einem Verlust der klonalen Diversität, es dominieren einige wenige Klone, die durch latente Infektionen wie CMV oder Varizellen getriggert werden (= Oligoklonalität). „Wichtig ist daher, dass wir im Erwachsenenalter – möglichst noch vor dem 60. Lebensjahr – versuchen, den bestehenden Memory-Zell-Pool durch Impfungen zu triggern, um diese Zellen so lange wie möglich ins hohe Alter mitnehmen zu können“, betont Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann- Schmidt, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, Medizinische Universität Wien. Altersbedingte Veränderungen findet man ebenso bei den B-Zellen und beim unspezifischen Immunsystem: So werden im Alter beispielsweise weniger Immunglobuline produziert und die Phagozytoseleistungen nehmen ab. Folgen der Immunoseneszenz sind eine erhöhte Suszeptibilität für Infektionskrankheiten, Malignome und Autoimmunerkrankungen sowie eine erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen, die mit einer chronischen Stimulation des Immunsystems verbunden sind (z.B. Atherosklerose, Osteoporose, Diabetes mellitus).

An Keuchhusten denken!

Im österreichischen Impfplan ist aufgelistet, welche Impfungen im Erwachsenenalter regelmäßig aufgefrischt werden sollten. Eines der Sorgenkinder ist die Keuchhustenimpfung. Seit dem Jahr 2014 ist bundesweit ein starker Anstieg der Pertussisfälle zu beobachten, der nur zum Teil durch eine geänderte Diagnostik und ein besseres Meldeverhalten erklärt werden kann. 2017 gab es in Österreich 1.411 gemeldete Fälle. Am größten war die Zunahme der Erkrankungen im Erwachsenenalter. Eine naheliegende Erklärung dafür ist die äußerst geringe Impfrate: „87,5 % der Erwachsenen haben in den letzten zehn Jahren keine Impfung gegen Keuchhusten erhalten!“, bemängelt Wiedermann- Schmidt. Neben dem Fehlen der regelmäßigen Booster-Immunisierungen spielt auch das Antikörper-Waning bei dieser Infektion eine wichtige Rolle: „Der Impfstoff, den wir derzeit zur Verfügung haben, ist zwar nebenwirkungsärmer als sein Vorgänger, leider aber auch weniger immunogen. Dadurch kommt es relativ bald zu einem Abfall der Antikörper. Nach sechs Jahren ist kaum mehr ein Schutz vorhanden.“

Aus diesem Grund wurden die empfohlenen Impfabstände für Personen über 60 Jahre in Österreich von zehn auf fünf Jahre reduziert. Ein Sonderweg, der von den meisten anderen europäischen Ländern aus Kostengründen noch nicht nachvollzogen wurde. Wiedermann-Schmidt kann jedoch auf gute Argumente für die Verkürzung der Impfabstände verweisen: Stichprobenmessungen, die die Pertussisreferenzzentrale in den letzten beiden Jahren durchführte, zeigten, dass nur ein Drittel der getesteten Erwachsenen mäßige bis ausreichende Pertussis-Titer hatte.

Pneumokokken

Charakteristisch für die altersspezifische Inzidenz von invasiven Pneumokokkenerkrankungen ist der U-förmige Kurvenverlauf: Nach einem Gipfel im Kleinkindalter kommt es erst wieder ab dem 45. Lebensjahr zu einem deutlichen Anstieg der Fälle. Am meisten gefährdet sind über 80-Jährige. In Österreich sind mehrere Pneumokokken- Impfstoffe verfügbar, die 10, 13 oder 23 Serotypen abdecken. Seit 2012 gibt es auch ein kostenloses Impfprogramm für Kinder mit dem 10-valenten Impfstoff, durch das Erkrankungen mit den Stämmen, die vom Impfstoff erfasst sind, kontinuierlich zurückgegangen sind.

Prof. Dr. Ursula Wiedermann- Schmidt
Medizinische Universität Wien

„Die Durchimpfungsrate von Zweijährigen liegt derzeit bei rund 70 %“, berichtet Wiedermann-Schmidt. „Das ist erfreulich hoch und führte auch bei älteren Erwachsenen zu einem Herdeneffekt.“ Erkrankungen mit Pneumokokkenstämmen, die im Impfstoff des Kinderimpfprogramms enthalten sind, sind also auch bei Erwachsenen in den letzten sechs Jahren zurückgegangen. Von den vier Serotypen, die heute bei Erwachsenen am häufigsten zu finden sind, werden zwei vom Impfstoff PCV13 erfasst und die beiden anderen vom Impfstoff PPV23. Um das gesamte Spektrum abzudecken, wird daher bei der Pneumokokken-Erstimpfung im Erwachsenenalter empfohlen, erst mit dem 13-valenten Impfstoff zu impfen und ein Jahr später mit der 23-valenten Polysaccharidvakzine.

Herpes-Zoster-Impfstoff

Herpes Zoster entsteht, wenn das Varizella- Zoster-Virus (VZV), das nach stattgehabten Varizellen lebenslang in Ganglienzellen persistiert, reaktiviert wird. Da die VZV-spezifische zelluläre Immunität mit zunehmendem Alter sinkt, steigt parallel dazu die Herpes-Zoster- Inzidenz. Eine Möglichkeit, das meist auf ein Dermatom beschränkte papulovesikulöse Exanthem und die gefürchtete postherpetische Neuralgie zu verhindern, ist die Herpes-Zoster- Impfung. Bisher stand dafür ein Lebendimpfstoff zur Verfügung, der dem Kinderimpfstoff entspricht, allerdings eine 14-mal höhere Virenmenge enthält und einmalig verabreicht wird. „Die Wirksamkeit der Impfung gegen Herpes Zoster liegt allerdings nur bei 51 %“, räumt Wiedermann-Schmidt ein. Etwas besser ist der Schutz vor postherpetischen Neuralgien (67 %). Ein weiteres Manko des Impfstoffs ist, dass die Wirksamkeit nur etwa vier Jahre anhält. Nach sieben bis acht Jahren liegt die Schutzrate nur noch bei 21–32 %.

Und der vielleicht größte Nachteil: Immunsupprimierte, also die Personengruppe, die die Impfung am meisten benötigen würden, dürfen nicht geimpft werden, da es sich um einen Lebendimpfstoff handelt. Besseren Schutz verspricht nun ein neuer rekombinanter Totimpfstoff, der in den USA bereits auf dem Markt ist. Wirksame Komponente ist das Glykoprotein E, ein VZV-Membranprotein, das eine Rolle bei der Zell-zu-Zell-Verbreitung und Virusreplikation spielt. Nach zwei intramuskulären Injektionen im Abstand von zwei bis sechs Monaten zeigte sich in Phase-III-Studien eine Wirksamkeit gegen Herpes-Zoster- Reaktivierung von 96 %, die auch in höherem Alter kaum abfällt. Im Beobachtungszeitraum von vier Jahren kam es nur zu einem geringen Nachlassen der Wirksamkeit. Bezüglich postherpetischer Neuralgien lag die Schutzrate selbst bei über 80-Jährigen noch über 70 %. Die Kosten des Impfstoffs, der ab Mitte Mai in Deutschland zur Verfügung stehen wird, werden in etwa denen des Lebendimpfstoffs entsprechen. Für Österreich heißt es allerdings noch warten: Nach derzeitigem Stand der Dinge wird der neue Herpes-Zoster-Impfstoff hierzulande erst in zwei bis drei Jahren erhältlich sein.

12. Österreichischer Infektionskongress; Saalfelden, April 2018

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune