21. Nov. 2017

Medizingeschichte: Pflegen, beten und arbeiten

Foto:ke77kz/GettyImages, Shaiith/GettyImagesSpitäler in der Frühen Neuzeit waren mehr als eine Krankenanstalt, vereinten viele soziale, wirtschaftliche und religiöse Funktionen in sich. Der Tagesablauf ihrer „Bewohner“ war minutiös geregelt. CliniCum 11/17)

Nahezu jede Stadt seit dem Mittelalter verfügt über ein Spital, wie heute noch Straßen- und Platznamen andeuten: Spitalgassen, -mühlen, -bäche finden sich im urbanen Raum, auf dem flachen Land stolpert man noch heute über Spitalwiesen, Spitaläcker und Spitalwälder. Tausende (Ho-)Spitäler gab es im Mittelalter und der Neuzeit, meist waren dies kleine Einrichtungen. Ein Lexikon aus dem 18. Jahrhundert definiert: „Hospital [Lat. für Gastfreundschaft] oder Spital, ist dasjenige […] mit schönen Einkünfften versehene Gebäude, in welches diejenigen, welche in tieffer Armuth, hohem Alter, oder sonst mit schwerer Leibes-Kranckheit der Maßen beladen“ sind, aufgenommen werden. Spitäler waren dabei Einrichtungen, die viele Funktionen in sich vereinten. Das Spital musste sich als Wirtschafts­betrieb selbst erhalten, war aber gleichzeitig eine Art Altersheim, eine Gebäranstalt, ein Waisenhaus und ein wenig auch ein Krankenhaus. Während Krankenhäuser heute meist nur akut Kranke aufnehmen, waren die Hospitäler der Neuzeit den Alten und Armen, den Personen mit geistigen Gebrechen, den Wöchnerinnen und auch den Waisenkindern gewidmet.

Um diese umfangreichen Aufgaben bewältigen zu können, verfügte jedes Spital über verschiedene Formen von Einnahmen. Das Wiener Bürgerspital besaß etwa das Recht, in Wien Bier zu brauen, andere Spitäler verfügten über Bodenbesitz, auf dem Getreide und Wein angebaut wurde. Die meisten Spitäler befanden sich in Städten, die jeweiligen Stadträte kontrollierten genau, was in diesen Spitälern vor sich ging, wer aufgenommen wurde und wie man wirtschaftete. Ein eigener Spitalmeister wurde vom Rat eingesetzt, der dem Stadtrat jedes Jahr Rechnungen legen musste, die im Gegenzug minutiös vom Rat kontrolliert wurden. Der Tagesablauf in den Spitälern erscheint genau geregelt, die Glo­cke der Kapelle bzw. die Hausglocke des Spitals weckte die Bewohner des Spitals zu früher Stunde – etwa in Seckau um fünf Uhr morgens; gleichermaßen die Hilfsbedürftigen als auch das Wirtschafts- und das Krankenpflegepersonal hatten damit aufzustehen.

Verschriftlichter Tagesablauf

Eigene verschriftlichte Spitalregeln regelten das Leben im gemeinsamen Haus Spital recht genau, das gemeinsame Aufstehen, das gemeinsame Schlafengehen, die Essenszeiten, die Zeiten des gemeinsamen Gebets, die Abstände zwischen den Bädern, die Reinigung der Wäsche und überhaupt die Ordnung im Haus. Die Bewohner des Spitals waren verpflichtet, diesen Spitalregeln genau Folge zu leisten. Wer sich der Hausordnung nicht „gerne und mit freuden“ unterziehen wollte, so in der Stadt Mühldorf am Inn, galt als „verzärtelt und eigensinnig“ und fand ohnedies keine Aufnahme im beschützenden Haus. Neben dem gebetsmühlenartig wiederholten Hinweis auf die Frömmigkeit der Bewohner sollte diese vor allem „ihre Armuth und Unvermögenheit in auferbaulicher Geduld“ zu ertragen versuchen. Wer arm war und im Spital oder im Armenhaus lebte, erfüllte den Willen Gottes, den der Mensch nicht hinterfragen konnte. Hausordnungen waren trotz der damit verbundenen Problematik aus der Sicht des frühneuzeitlichen (Ordnungs-)Staates durchaus notwendige, wenn auch meist nicht positiv formulierte „Steuerungselemente“ des Alltags.

Jeder Bewohner des Spitals war verpflichtet, am gemeinsamen Haushalt mitzuwirken. In der Praxis bedeutete dies, dass die „gesünderen“ Bewohner des Spitals die Kranken mitzupflegen hatten, dass man sich an den Erntearbeiten nach Möglichkeit beteiligte oder dass etwa die Männer zum Holzhacken eingesetzt wurden. Um Ordnung und geregelte Abläufe im Spital überhaupt erst zu ermöglichen, war die Bewegungsfreiheit der Insassen nur im Haus einigermaßen uneingeschränkt, die Bewohner des Spitals konnten das Haus nicht einfach verlassen. Nach außen hingegen herrschte gleichsam eine mehr oder minder strenge Klausur vor. Ausgangsgenehmigungen (bisweilen in der Form von Blechmarken überliefert) mussten erteilt werden. Die Spitals­leitung wollte damit verhindern, dass die Spitalbewohner außerhalb des Spitals bettelten oder etwa dem Alkohol zusprachen. Die frühneuzeitlichen Spitalquellen verweisen darauf, dass im Spital nicht nur intensive Gebetsarbeit zu leisten war, sondern dass darüber hinaus die Insassen im Haus, auf den Feldern, Wiesen und Weiden, in den spitaleigenen Wäldern und in den Weingärten nach ihren jeweiligen gesundheitlichen und altersbedingten Möglichkeiten mithelfen mussten.

Gebet und Arbeit waren Teil des Pflichtenkataloges von Insassen. Der Stadtrat eines kleinen niederösterreichischen Marktes verpflichtete zwei Frauen, denen eine gemeinsame Wohnung im Spital abwechselnd (!) verliehen wurde, dazu, sich wegen „des gebetts und der arbeith wochentlich ab[zu]wexlen“. Arbeit im Spital interpretierten die Stadträte der Vormoderne einerseits als Agrar-, andererseits als Pflegearbeit. Im Bürgerspital Zwettl wurde 1787 beispiels­weise einem Tuchmacher und seiner Frau die Aufnahme in das Spital erlaubt gegen die Pflicht, den Kranken und Sterbenden beizustehen und „das vorgeschriebene gebett zu verrichten“. Arbeit und Gebet waren Pflichten für die Spitalinsassen. Dominierten bei den Männern landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeiten sowie Tätigkeiten zur Erhaltung des Hauses, so beschäftigten sich die Frauen ebenfalls mit Arbeiten im Garten, vor allem jedoch mit den vielfältigen Bereichen in Küche, Haushalt und in der Krankenpflege. Manche Arbeiten verrichtete man auch kollegial (z.B. Heuarbeiten, Obsternte etc.).

Pflege und Sterbebegleitung

Gebeten und Essen kam tages- und wochenstrukturierende Bedeutung in den Ordnungen zu, und die Spitalbewohner mussten im Sommer bereits sehr früh, um 4.30 Uhr, im Winter eine Stunde später, aufstehen, woran aber die ehemals arbeitende kleinstädtische Bevölkerung ohnedies gewohnt war. Sofort nach dem Aufstehen und dem Ankleiden sollte in der Kirche, in der Kapelle oder zumindest in der Winterstube Gott „vor die beschuzung dieser verflossener nacht“ angerufen werden, anschließend besuchten die verarmten und behinderten Spitalbewohner die Messe; die Schwerkranken hörten zumindest von ihrem Bett aus den Gottesdienst in der Spitalkapelle. So konnten die Bettlägerigen beispielsweise in der Kärntner Stadt Bleiburg vom Krankenzimmer aus zwar nicht direkt auf den Altar blicken, aber durch ein Fens­ter der angebauten Kapelle hörten sie zumindest das beruhigende Gemurmel der täglich wiederkehrenden Gebete, die sie bis zum Tod begleiteten.

Die oft bereits todkranken Frauen und Männer blieben nicht alleine, sie hatten die Pflege ihrer Mitbewohner „dankbar“ anzunehmen und durften weniger mit medizinischer Kompetenz als vielmehr im Sinne einer Sterbebegleitung mit letzter menschlicher Zuwendung rechnen. Spitäler des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit waren multifunktionale Einrichtungen, die sich einerseits als ein selbsterhaltender Wirtschaftsbetrieb verstehen lassen. Was auf dem Acker erwirtschaftet wurde, schuf erst die ökonomische Basis für eine umfassende Versorgung der Alten, Armen und Kranken. Andererseits waren diese Spitäler vergleichsweise gut ausgestattete Versorgungseinrichtungen, wo nicht nur die Krankenpflege ihren Ort hatte, sondern auch die städtischen Mediziner über den Krankheitszustand der Spitalbewohner wachten. Die regelmäßigen Mahlzeiten ließen eine Aufnahme in ein Spital attraktiv erscheinen – die Kapazitäten der meist kleinen, etwa zwölf Personen umfassenden, Spitäler waren gering.

Univ.-Prof. Dr. Martin Scheutz,
Institut für Österreichische Geschichtsforschung/Institut für Geschichte der Universität Wien, martin.scheutz@univie.ac.at