20. Okt. 2021E-Medikation

Software-Fehler in Apotheken: Gutachten in Auftrag, erster Fall beim Patientenanwalt

Die Aufregung ist groß: Durch einen technischen Fehler einer Software, die 33 Apotheken in ganz Österreich nutzen, sei es zu falschen Dosierungsangaben gekommen. Bisher seien 60 mutmaßliche Fälle in ganz Österreich bekannt. Die Ärztekammer spricht von gefährlichen Falschdosierungen, die Apothekerkammer gibt Entwarnung, es sei niemand zu Schaden gekommen. Doch nun ist der erste Fall beim Patientenanwalt – in Niederösterreich. Außerdem wird ein Gutachter beauftragt.

Alte gusseiserne Apothekenwaage isoliert auf weißem Hintergrund
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Aufgedeckt hat die anscheinend schon länger brodelnde Rezept-Affäre die „Kleine Zeitung“ vergangene Woche, gefolgt von einem Bericht der "Kronen Zeitung" zu Wochenbeginn, es solle sich um 3.500 Rezept-Verschreibungen bei rund 1.200 Patienten handeln – in 34 Apotheken, wie es zunächst hieß. „Bis jetzt ist es in 60 Fällen zu einer gefährlichen Falschdosierung gekommen“, wird Dr. Dietmar Bayer, Referent für Telemedizin und medizinische Informatik in der Österreichischen Ärztekammer, in einem Interview am 18.10.2021 zitiert. Von „zigfach“ überdosierten Blutverdünnern oder Insulin für Diabetiker war die Rede. Wie konnte das passieren?

Ärzte stellten Rezept korrekt aus, in den Apotheken plötzlich andere Anzeige

Im Rahmen der E-Medikation sollen korrekte Medikamentenverschreibungen von Hausärzten wie von „Geisterhand“ durch eine Computer-Panne bei den Apotheken verändert worden sein. Doch schnell stellte sich heraus, dass nicht die E-Medikation als Teilanwendung der elektronischen Gesundheitsakte ELGA schuld an der Panne war. Denn die E-Medikation bestehe aus „zentralen“ Komponenten (ELGA GmbH) und „dezentralen“ Komponenten (verschiedene externe Anbieter für Arzt- und Apotheken-Software), wie Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal am Montag bekräftigte.

Aufgefallen war der Software-Fehler durch die enge Zusammenarbeit einer Ärztin und einer Apothekerin in Wien. Es habe sich um einen „Darstellungsfehler“ gehandelt, der umgehend durch ein Software-Update behoben worden sei. Die betreffende Software-Firma M-Computer (Aposys) stellte noch am Montag in einer Aussendung klar, dass es sich um „teils falsche und überhöhte Zahlen“ gehandelt habe und hält fest: Am 24.9.2021 wurde das Unternehmen über ein mögliches Problem bei der Anzeige der Dosierung informiert. Am nächsten Tag hat die Firma den Fehler identifiziert und „bereits am 27. September“ korrigiert und die Software bei allen betroffenen Apotheken noch am selben Tag automatisch und proaktiv adaptiert.

Software-Unternehmen: Kritik an der „übereilten“ Einführung des E-Rezeptes

Es handle sich um „maximal“ 60 mit potenziell gefährdenden Dosierungen ausgestellte Rezepte. Alle möglichen betroffenen Patienten sowie deren Apotheken seien bereits „lückenlos“ im Zuge der Fehlerbehebung und mit einem Check aller bisher getätigten Verschreibungen von möglichen Fehlern verständigt worden. Außerdem weise das Software-Unternehmen auf die „übereilte“ Einführung des E-Rezeptes im Zuge der COVID-Pandemie hin. Von Seiten „aller betroffenen Software-Unternehmen“ würde jegliche Verbesserung der Qualitätssicherung begrüßt werden.

Am selben Tag gab es auch eine gemeinsame Aussendung der Systempartner, Apothekerkammer, Ärztekammer, Dachverband der Sozialversicherungsträger, ELGA GmbH und der Pharmazeutischen Gehaltskasse. Aufgrund eines Fehlers in der eingesetzten Software sei es zu einer von der ärztlichen Verordnung abweichenden Anzeige einer Dosierungsinformation gekommen, von dem Fehler seien aktuell rund 1.000 Patienten betroffen. Die Apotheker stünden persönlich in Kontakt mit allen betroffenen Patienten.

Systempartner: Zurzeit „kein Fall“ einer Abgabe bekannt

Zurzeit sei kein Fall bekannt, in dem die von der Software falsch angezeigte Einnahmeempfehlung im Zuge der Arzneimittelabgabe tatsächlich an einen Patienten weitergegeben worden sei. Betont wird auch, dass „kein Fehler“ in der zentralen Anwendung der E-Medikation vorliege. Die veränderte Einnahmeempfehlung werde aber in der E-Medikation gespeichert, weshalb auch die niedergelassenen Ärzte über den Software-Fehler informiert worden seien.

Apothekerkammer-Präsidentin: „Patientensicherheit stets gewährleistet“

Am Mittwoch gab dann Mag. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, in der „Kronen Zeitung“ Entwarnung: Niemand sei zu Schaden gekommen, „durch die sorgfältige pharmazeutische Kontrolle der Apothekerinnen und Apotheker war die Patientensicherheit stets gewährleistet“.

Das bestätigt Patientenanwalt-Sprecher Bachinger auf Nachfrage der Redaktion allerdings nicht. Denn noch sei die Überprüfung nicht abgeschlossen, sie werde sicher noch einige Tage dauern. Und: „Wir arbeiten bereits an einem Fall.“ Es habe sich ein verunsicherter Patient gemeldet, mehr könne er noch nicht sagen. Bachinger appelliert: Jeder Patient, der sich unsicher fühle und von den bisherigen Untersuchungen nicht überzeugt sei, soll sich bei der Patientenanwaltschaft in dem jeweiligen Bundesland melden.

Patientenanwalt: Zertifizierung von Arzt- und Apotheken-Software notwendig

Bachinger erneuert gegenüber medonline seine Forderung nach einer Qualitätskontrolle – sowohl der Ärzte-Software als auch der Apotheken-Software. Außerdem plädiert er für eine Zertifizierung der Software durch die ELGA GmbH. Generell betont der Patientenvertreter, dass die Vorteile der E-Medikation jedenfalls die Nachteile überwiegen würden.

Bisher seien vier Wochen „aufgearbeitet“ worden. Noch weiter zurückschauen müsse nun ein Datenforensiker, die Software sei seit zwei Jahren im Einsatz, berichtete die APA am Dienstag: „Derzeit wird der Gutachtensauftrag durch die Systempartner Apothekerkammer, Ärztekammer, ELGA GmbH, Dachverband der Sozialversicherungsträger und Pharmazeutische Gehaltskasse formuliert“, wird ein Sprecher der Apothekerkammer zum weiteren Prozedere zitiert, ein gerichtlich beeideter Gutachter werde mit einem technischen Gutachten beauftragt.

Betroffene Apotheken vor allem in Wien und im Westen

Nach der Redaktion vorliegenden Informationen sind 33 Apotheken in ganz Österreich betroffen: 18 in Wien, je vier in Vorarlberg und Tirol, drei in Niederösterreich, zwei im Burgenland und je eine Apotheke in Oberösterreich und der Steiermark.