ECCO: Gestörte Kommunikation zwischen Darm und Gehirn
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind häufig mit Angst und Depression assoziiert. Hintergrund ist nicht nur die oft schwierige Lebenssituation der Betroffenen. Vielmehr bestehen komplexe physiologische und im Krankheitsfall auch pathologische Beziehungen zwischen dem Darm und dem Gehirn.
Ein vermehrtes Auftreten von Depression und Angst im Zusammenhang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich, so Prof. Dr. Tine Jess von der Universität Aalborg, Dänemark. Die Erkrankungen treten oft relativ früh im Leben auf und verschwinden nicht mehr. Dies bedeutet Medikamenteneinnahme, Operationen, Schmerzen und oft genug auch Stigma. Geschätzt 20–25% aller CED-Patienten und -Patientinnen sind von Symptomen einer Depression betroffen, bis zu 35% leiden unter Angst. Der Überlappungsbereich zwischen diesen Zustandsbildern ist groß.1 Metaanalysen zeigen in der CED-Population im Vergleich zur Normalbevölkerung für Angst und Depression eine um 50–60% erhöhte Prävalenz.2 Der Zusammenhang dürfte bidirektional sein.
Untersuchungen in Kohorten depressiver Patientinnen und Patienten fanden ein etwa verdoppeltes Risiko, eine CED zu entwickeln. Eine dänische Kohortenstudie mit mehr als 20.000 Patientinnen und Patienten zeigt, dass das Risiko, eine derart schwere Depression zu entwickeln, dass diese einen Krankenhauskontakt erforderlich macht, bei CED-Patienten und -Patientinnen bereits vor der CED-Diagnose erhöht ist, rund um die Diagnose einen Peak erreicht und sich anschließend stabilisiert – dies allerdings auf einem im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöhten Niveau. Jess betont, dass die Prozentzahlen der Patientinnen und Patienten, die von einer so schweren Depression betroffen sind, im niedrigen einstelligen Bereich bleiben. Betrachtet man die Verschreibungen von Antidepressiva, also auch leichtere Depressionen, so zeigt sich ein ähnlicher Zusammenhang, diesmal jedoch mit deutlich höheren absoluten Fallzahlen. Sowohl Morbus Crohn als auch Colitis ulcerosa erhöhen das Depressionsrisiko, während der Effekt auf die Angst nur bei Colitis ulcerosa, nicht jedoch bei Morbus Crohn signifikant ist. Das erhöhte Depressionsrisiko zeigt sich bereits 5 Jahre vor der CED-Diagnose. Bipolare Erkrankung tritt in der CED-Population nicht vermehrt auf.3
Vielfältige Kommunikation zwischen Darm und Gehirn
Die Zusammenhänge zwischen CED und Depression sind komplex und auf das Zusammenspiel zwischen Darm und Gehirn, die sogenannte „Gut–Brain Axis“, zurückzuführen, so Dr. Sara Carloni von der Humanitas Universität in Mailand. Die Kommunikation zwischen diesen beiden Organen erfolgt in beide Richtungen über den Vagusnerv sowie über den Blutkreislauf. Das Gehirn kann so die Darmmotilität, die Permeabilität der Mukosa sowie deren Immunsystem beeinflussen. Gleichzeitig erreichen sensorische Signale aus dem Darm über den Vagus das Gehirn und beeinflussen dessen Funktion – inklusive unseres Verhaltens. Metaboliten, bakterielle Antigene und Neurotransmitter werden über die Zirkulation zwischen Darm und Gehirn ausgetauscht. Das Darmmikrobiom spielt dabei eine wichtige Rolle, beispielsweise über die Immunregulation sowie die Produktion kurzkettiger Fettsäuren.
Diese Prozesse können durch die im Rahmen von CED auftretende Dysbiose empfindlich gestört werden. Unter anderem kommt es zum verstärkten Auftreten von T-Effektorzellen, die proinflammatorische Zytokine ausschütten, die Darmbarriere wird geschädigt und ein chronischer inflammatorischer Zustand erzeugt. Diese Zytokine erreichen über die Zirkulation auch das Gehirn, wo sie die Blut-Hirn-Schranke schädigen und zu Neuroinflammation führen können.4 Umgekehrt kann beispielsweise bei chronischem Stress das Gehirn über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden(HPA)-Achse die Darmbarriere schwächen und damit den Darm schädigen.5
Carloni: „Wir haben hier im Krankheitsfall einen ungünstigen Informationskreislauf und wir wissen nicht, wie wir ihn durchbrechen können, zumal CED-Betroffene auch in vollständiger Remission noch ein erhöhtes Depressionsrisiko zeigen.“ Von erheblicher Bedeutung für diese Zusammenhänge dürften die Plexus choroidei sein, die für die Produktion von Liquor, die Bildung der Blut-Liquor-Schranke sowie die Resorption und Entgiftung des Liquors verantwortlich sind. Aktuelle Daten zeigen, dass die Permeabilität der Plexus choroidei bei Entzündung des Darms abnimmt, was weiter zu Auffälligkeiten in der Zusammensetzung des Liquors führt.
Wenig Evidenz zu medikamentösen Interventionen
Versuche, durch medikamentöse Therapien in das Wechselspiel von Darm und Gehirn einzugreifen, befinden sich in einem frühen, aktuell rein empirischen Stadium, wie Jess ausführt. Antidepressiva könnten nicht nur die depressive Symptomatik, sondern auch das entzündliche Geschehen im Darm beeinflussen. Zumindest im Tiermodell senken sie die Plasmaspiegel proinflammatorischer Zytokine sowie den Entzündungsfaktor Myeloperoxidase. Beim Menschen wird unter anderem eine Reduktion der CED-Schübe sowie der CED-Symptomatik diskutiert. Umgekehrt können auch CED-Medikamente durch die Reduktion der systemischen Inflammation die psychische Symptomatik in Zusammenhang mit CED beeinflussen. Jess weist darauf hin, dass diesbezügliche Daten ausschließlich für die Gruppe der Biologika vorliegen und insgesamt spärlich vorhanden sind.
Quelle: „Crossing borders in IBD: Session 7 – Gut brain axis – chicken or egg?“, ECCO 2024, Stockholm, 23.2.2024
- Bisgaard TH et al. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2022 Nov; 19(11):717–726
- Bisgaard TH et al. Gen Hosp Psychiatry. 2023 Jul–Aug; 83:109–116
- Bisgaard TH et al. EClinicalMedicine. 2023 May 5; 59:101986
- Suganya K, Koo BS. Int J Mol Sci. 2020 Oct 13; 21(20):7551
- Ge L et al. Front Immunol. 2022 Oct 6; 13:1016578
- Carloni S et al. Science. 2021 Oct 22; 374(6566):439–448